Das Kurhaus Lenzerheide schafft die Job-Titel ab

Aktualisiert

Flache HierarchienDas Kurhaus Lenzerheide schafft die Job-Titel ab

Im Kurhaus Lenzerheide gibt es keine Maître d'hôtel und keinen Chef de Partie mehr. Einer der Hotel-Manager erklärt, was das für die Mitarbeitenden bedeutet.

Einen Küchenchef gibts im Kurhaus Lenzerheide nicht mehr, die Mitarbeitenden sind aber immer noch da. Im Foto siehst du Koch Pio, der im Gastrobetrieb angestellt ist.

Einen Küchenchef gibts im Kurhaus Lenzerheide nicht mehr, die Mitarbeitenden sind aber immer noch da. Im Foto siehst du Koch Pio, der im Gastrobetrieb angestellt ist.

Kurhaus Lenzerheide

Flache Hierarchien: Darum gehts

  • «Unser Hotel funktioniert nicht, wenn alle Verantwortung auf einer Person lastet», sagt Kurhaus-Manager Johannes Fredheim.

  • Der Gastrobetrieb hat darum die Job-Titel abgeschafft.

  • Nun könnten alle 43 Mitarbeitenden die Aufgaben übernehmen, die ihnen besonders gut liegen.

Das Kurhaus Lenzerheide verzichtet neu auf Titel für seine Mitarbeitenden an der Bar, im Restaurant, an der Rezeption, in der Küche und im Housekeeping. So gibts im Gastrobetrieb keine Maître d'hôtel und keinen Chef de Partie mehr. Wie soll das gehen? Kurhaus-Manager Johannes Fredheim nimmt auf Anfrage Stellung.

Flache Hierarchien statt Titel

«Wir haben gemerkt, dass unser Hotel nicht funktioniert, wenn alle Verantwortung auf einer Person lastet», sagt Fredheim. Neu setze man auf Rollen statt Titel und habe alle Serviceangestellte, Köche und Barkeeper gleichgestellt: Die 43 Mitarbeitenden könnten nun die Aufgaben übernehmen, die ihnen besonders gut liegen.

Sind Schweizer Unternehmen zu stark hierarchisch organisiert?

So pflegt Hotel-Managerin Xenia neu die Pflanzen, Barkeeper Anton arbeitet in der Holzwerkstatt mit, und Servicemitarbeiter Nick erstellt für das Hotel die Playlists. Alle dürften frei wählen, welche Rolle sie ausüben, verpflichtet dazu sei niemand, sagt Fredheim. Er selbst habe die Rolle des Hausfotografen übernommen. Bei der Reorganisation gehe es vor allem um Aufgaben, die man nicht jeden Tag erledigen müsse. 

Auch Xenia Picco, die im Management des Kurhaus Lenzerheide sitzt, hat sich eine neue Rolle geschnappt: Sie giesst im Gastrobetrieb jetzt auch die Pflanzen.

Auch Xenia Picco, die im Management des Kurhaus Lenzerheide sitzt, hat sich eine neue Rolle geschnappt: Sie giesst im Gastrobetrieb jetzt auch die Pflanzen.

Kurhaus Lenzerheide

«Keine Bestrafung für ausgebildetes Personal»

Den Mitarbeitenden habe er zuerst erklären müssen, dass die Abschaffung der Titel keine Bestrafung für ausgebildetes Personal sei, sagt Fredheim. Die Skepsis sei aber schnell verschwunden, nun komme das neue Modell gut an: «Seit wir uns neu organisiert haben, sieht unser ehemaliger Küchenchef zehn Jahre jünger aus.»

Der Serviceangestellte Nick war früher DJ und Tontechniker, jetzt erstellt er auch Playlists für die musikalische Unterhaltung im ganzen Kurhaus.

Der Serviceangestellte Nick war früher DJ und Tontechniker, jetzt erstellt er auch Playlists für die musikalische Unterhaltung im ganzen Kurhaus.

Kurhaus Lenzerheide

Die Verantwortung sei jetzt auf mehrere Schultern verteilt, so sei es auch nicht so schlimm, wenn mal jemand ausfalle. Doch gibt es auch ganz oben keine Titel mehr? Er nenne sich nun einfach «Manager», sagt Fredheim. Eine Geschäftsleitung gebe es aber weiterhin, und die Mitarbeitenden stelle immer noch das HR ein.

Liip kennt das schon lange

Die Digitalagentur Liip setzt bereits seit 2016 auf das Rollenmodell. Der Start war nicht einfach: Als die Firma die Hierarchien abschuf, war zunächst unklar, wer wem kündigen und wer wem eine Lohnerhöhung gewähren darf.

Mittlerweile gebe es eine gute Lösung: Liip setze auf ein «vollständig transparentes und nicht verhandelbares Lohnsystem», sagt Mitgründerin Nadja Perroulaz. Die Mitarbeitenden bewerten sich neu zuerst selbst, dann geben zwei bis fünf Arbeitsgspänli ihr Urteil ab, am Ende gebe es einen Quervergleich.

«Wir haben keine Vorgesetzten, die die Autorität haben, Mitarbeitende zu entlassen»

Nadja Perroulaz, Mitarbeiterin der Digitalagentur Liip

«Wir haben keine Vorgesetzten, die die Autorität haben, Mitarbeitende zu entlassen», sagt Perroulaz weiter. Das komme zum Glück nur sehr selten vor. Aber auch dafür gebe es einen Prozess: Mitarbeitende, die spezifische Rollen im Verantwortungsbereich «People» haben, entscheiden gemeinsam mit der sogenannten Lead-Link-Rolle, die verantwortlich für die Zuteilung der Ressourcen ist.

«Firmen müssen erklären, warum sie das tun»

«Viele Firmen haben wohl gemerkt, dass es sinnvoll ist, die Verantwortung im Job auf mehrere Schultern zu verteilen», sagt Stefanie Moser, Inhaberin und Geschäftsführerin des Unternehmens Trans4m.

«Viele Firmen haben wohl gemerkt, dass es sinnvoll ist, die Verantwortung im Job auf mehrere Schultern zu verteilen», sagt Stefanie Moser, Inhaberin und Geschäftsführerin des Unternehmens Trans4m.

Privat

Viele Schweizer Unternehmen überlegen sich, auf flache Hierarchien zu setzen. Warum?
Stefanie Moser: Die Anforderungen an Firmen haben sich gewandelt, sie müssen Entscheidungen heute viel schneller treffen als früher. Flache Hierarchien und Rollenmodelle sind ein Mittel, um das zu erreichen. Und viele haben wohl gemerkt, dass es sinnvoll ist, die Verantwortung im Job auf mehrere Schultern zu verteilen.

Empfehlen Sie allen Firmen, die Titel und Chefrollen abzuschaffen?
Nein, das funktioniert nicht bei allen – und nur die Abschaffung von Titeln ohne Strukturanpassung ist Kosmetik. Für einige ist es aber sinnvoll, denn Titel sind oft einschränkend. Viele kleine und mittlere Unternehmen setzen schon heute auf flache Hierarchien und Rollenmodelle, auch bei Grossfirmen wie Roche gibt es bereits solche Projekte.

Worauf muss ein Unternehmen achten, wenn es seine Hierarchien abflacht?
Der Weg dahin mit Einbezug des Teams ist das A und O. Die Firmen müssen erklären, warum sie das tun, und was es für die Mitarbeitenden bedeutet. Wer flache Hierarchien will, kann zum Beispiel betonen, dass ein solcher Wandel auch mehr Autonomie und Entscheidungsfreiheit bringt.

Keine News mehr verpassen

Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.

Deine Meinung zählt

25 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen