ArbeitsrechtDas Recht auf Nicht-Erreichbarkeit soll im Gesetz stehen
Um die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen, will die Grüne-Nationalrätin Greta Gysin das Arbeitsgesetz ändern. Juristen sagen, das Gesetz sei schon klar. Es handle sich um eine Frage der Kultur.
Darum gehts
Eine Nationalrätin will das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit in der Freizeit ausdrücklich ins Gesetz schreiben.
Bundesrat und Arbeitsrechtsexperten sagen, das sei nicht nötig. Das Gesetz sei heute schon klar.
Thomas Bauer vom Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse hingegen ist der Ansicht, dass es eine Konkretisierung braucht.
Anrufe am freien Tag, SMS in den Ferien, Mails am Wochenende. Die ständige Erreichbarkeit mache die Leute krank, sagt die Grüne-Nationalrätin und Gewerkschaftspräsidentin Greta Gysin. Sie fordert in einer Motion, dass das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit während der Freizeit im Arbeitsgesetz ausdrücklich festgehalten werde. Die Motion ist in der Frühlingssession traktandiert, die nächste Woche beginnt.
Durch Homeoffice sei die Trennung zwischen Privat- und Berufsleben immer weniger klar, es sei immer schwieriger, sich auszuloggen, begründet die Tessinerin ihren Vorstoss. So seien im Jahr 2020 rund 30 Prozent der Arbeitnehmenden sehr häufig mit dem Problem der ständigen Erreichbarkeit konfrontiert gewesen, dies eine Schätzung des Gewerkschaftsdachverbands Travailsuisse.
Bundesrat sagt: Das Gesetz ist klar
Anderer Ansicht ist der Bundesrat. Schon heute gälten gesetzliche Schranken für die Erreichbarkeit, schreibt die Regierung in ihrer Motionsantwort. Während der Ruhezeiten bestehe kein Anspruch des Chefs, die Angestellten zu erreichen. Es sei an den Unternehmen, Zeitfenster zu definieren und mit den Sozialpartnern in Gesamtarbeitsverträgen Regeln zu definieren.
Rechtsanwalt Benjamin Domenig, Experte für Arbeitsrecht, ist derselben Ansicht. Das Arbeitsrecht sei klar, es brauche keine Anpassung, sagt er. «Wenn der Arbeitgeber in der Freizeit anruft, dann erwartet er klar, dass ich den Hörer abnehme. Also ist das Arbeitszeit und soll als solche aufgeschrieben werden.» Ein anderes Beispiel: «Wenn der Arbeitgeber im Voraus ankündigt, er wäre froh um Erreichbarkeit am Wochenende während dreier Stunden – dann sind diese drei Stunden Arbeitszeit.» Anders bei Mails oder SMS. Dort bestehe nicht die Erwartung, dass sie sogleich beantwortet werden, sagt Domenig.
Es handle sich mehr um eine Frage der Betriebskultur als um eine juristische Frage. Er empfehle Arbeitgebern, ihre Angestellten in der Freizeit nicht zu kontaktieren, sofern sie für die Angestellten attraktiv sein wollen.
Auch Roger Rudolph, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich, ist der Ansicht, dass es keine gesetzlichen Anpassungen braucht. «Es steht zwar nirgendwo wörtlich im Gesetz, dass Arbeitnehmende in der Freizeit nicht dauernd erreichbar sein müssen. Dennoch ist die Rechtslage klar.»
«Leute dürfen sich nicht kaputtschaffen»
Anders beurteilt Thomas Bauer die Situation, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travailsuisse. Rund die Hälfte aller Angestellten arbeiten heute mindestens teilweise im Homeoffice, und hier gebe es Regelungsbedarf, sagt er. Weil die Erwartungen der Arbeitgeber oft nicht klar seien, brauche es zwingend Reglemente, welche die Ruhezeit und das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit sicherstellen.
Es gebe gute Beispiele für solche Betriebe, etwa die Swisscom, welche die Erwartungen an die Erreichbarkeit explizit festhalte. Greta Gysin nennt im Vorstoss auch SBB und Post (siehe Box).
Manchmal spiele neben dem Druck der Arbeitgeber auch der persönliche Ehrgeiz und Leistungswille des Arbeitnehmenden mit hinein, der seinen Job möglichst gut machen will, sagt Thomas Bauer. Doch auch dies sei kein Argument gegen eine gesetzliche Anpassung. «In der Arbeitsmedizin gibt es den Begriff der interessierten Selbstgefährdung. Wir wollen unseren Job möglichst gut machen. Doch es ist nicht im öffentlichen Interesse, dass wir wegen Stress und Erschöpfung krank werden. Auch wenn sich jemand kaputtschaffen möchte, sollte das unterbunden werden.»
So macht es die Post
«Mitarbeitende müssen Anrufe nicht entgegennehmen»
Die Post achte auf die Privatsphäre der Mitarbeitenden, diese sollen sich abgrenzen dürfen, sagt Mediensprecher Stefan Dauner. 2021 habe die Post deshalb mit ihren Sozialpartnern den GAV mit diesen Grundsätzen ergänzt:
- Die Mitarbeitenden haben das Recht, in ihrer Freizeit Anrufe nicht entgegenzunehmen und Nachrichten nicht zu lesen. Es dürfen ihnen keine Nachteile daraus entstehen.
- Kurzfristige Einsätze während der Freizeit dürfen von Mitarbeitenden abgelehnt werden. Es dürfen ihnen keine Nachteile daraus entstehen.
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