Aufstand in SyrienDas Schlimmste steht erst noch bevor
Kämpfe in der Hauptstadt Damaskus, ein angeblicher Fluchtversuch von Assads Familie – das syrische Regime gerät zunehmend in Bedrängnis. Oppositionelle fürchten ein Blutbad.

Deserteure aus der syrischen Armee bei einer Kundgebung am Dienstag in der umkämpften Stadt Idlib.
Die Lage in Syrien hat sich in den letzten Tagen weiter verschärft. Der Aufstand gegen das Regime von Präsident Baschar Assad rückt immer näher an die Hauptstadt Damaskus heran. Nur noch wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt gab es nach Angaben von Augenzeugen in der Nacht zum Montag heftige Gefechte zwischen Regierungstruppen und Deserteuren. Diese mussten sich im Laufe des Montags zurückziehen.
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtete unter Berufung auf das Innenministerium, dass in den vergangenen Tagen zahlreiche «Terroristen» getötet worden seien. Die Koordinationskomitees der Opposition hatten allein am Montag landesweit 100 Tote gezählt. Truppen des Regimes haben am Dienstag ihre Offensive gegen oppositionelle Soldaten der Freien Syrischen Armee (FSA) im Umland von Damaskus fortgesetzt. Nach Angaben des Staatsfernsehens wurde die Gegend «von Terrorgruppen gesäubert».
Assads Frau gestoppt
Beobachter werten die Kämpfe in der Nähe des Machtzentrums als untrügliches Zeichen dafür, dass das Regime wankt. Für Aufregung sorgten am Montag Gerüchte, wonach Mitglieder von Assads Familie das Land zu verlassen versuchten. Präsidentengattin Asma Assad und ihre Kinder, die Mutter des Präsidenten und sein Cousin seien zum Flughafen unterwegs gewesen, als sich ihnen Aufständische unter dem Kommando eines ehemaligen hochrangigen Offiziers in den Weg gestellt hätten, berichtete die ägyptische Zeitung «Al Masry Al Youm» unter Berufung auf syrische Quellen. Der Leibwache der Assad-Familie gelungen, den Konvoi zu wenden und zurück in den Präsidentenpalast zu bringen.
Ein genaues Bild der Lage in Syrien ist aufgrund fehlender unabhängiger Informationen kaum erhältlich. Offenbar kam es erneut zu schweren Kämpfen in der Protest-Hochburg Homs, ebenso in den Städten Hama und Idlib. Gleichzeitig hiess es aus Kreisen der Opposition, Deserteure hätten die zentrale Stadt Rastan nach tagelangen Gefechten am Dienstag vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Diese Angaben lassen darauf schliessen, dass der Kampfgeist der Aufständischen ungebrochen, ein Sieg aber noch fern ist.
Russland legt sich quer
Die Hoffnungen liegen derzeit beim UNO-Sicherheitsrat. Ein Resolutionsentwurf, über den am Dienstag in New York beraten werden sollte, sieht eine Machtübergabe von Präsident Assad an seinen Stellvertreter vor. In dem Entwurf, den die Nachrichtenagentur AP einsah, wird das Regime Assads zu einer sofortigen Beendigung «aller Menschenrechtsverstösse und Angriffe auf diejenigen, die ihr Recht auf freie Meinungsäusserung ausüben», aufgefordert. Eine Intervention aus dem Ausland ist in dem Text nicht vorgesehen.
Der Entwurf wurde unter Führung Marokkos ausgearbeitet. Russland hat ihn bereits kritisiert. Das Land werde auf «einen Pfad zum Bürgerkrieg» gedrängt, schrieb Vizeaussenminister Gennadi Gatilow auf Twitter. Russland hat seinem wichtigen Verbündeten Syrien gerade Kampfflugzeuge im Wert von 550 Millionen Dollar verkauft. Zudem unterhält die russische Marine im Hafen Tartus einen wichtigen Stützpunkt. Auch fühle sich Moskau vom Sicherheitsrat «hintergangen», weil die im letzten März beschlossene Libyen-Resolution zum Nato-Einsatz gegen Muammar Gaddafi geführt habe, so die «New York Times».
Die Zeichen stehen auf Sturm
Die russische Regierung hat die syrischen Konfliktparteien zu informellen Gesprächen «ohne Vorbedingungen» nach Moskau eingeladen. Baschar Assad soll zugestimmt haben, doch der Syrische Nationalrat als wichtigste Vertretung der Opposition will davon nichts wissen. Die Zeit für Verhandlungen sei angesichts der eskalierenden Gewalt abgelaufen, hiess es. Damit stehen die Zeichen zunehmend auf Sturm. «Wir hatten eine Krise», sagte ein Aktivist in Damaskus dem «Wall Street Journal». «Nun bewegen wir uns auf einen Krieg zu.»
Ein Anzeichen dafür ist auch, dass die syrische Regierung die internationalen Medien, die mit der Beobachtermission der Arabischen Liga zögerlich ins Land gelassen wurden, laut dem «Guardian» wieder aussperren will. Oppositionelle befürchten, dass der zunehmend bedrängte Baschar Assad dann ein Blutbad anrichten könnte. Auch der BBC-Korrespondent, der für zehn Tage nach Syrien reisen durfte, kommt zu einem beunruhigenden Fazit: «Alle mit denen ich gesprochen habe glauben, dass das Schlimmste noch bevorsteht.» (pbl/sda/dapd)
Hacker knackt Assads Mails
Einem Hacker aus Saudi-Arabien ist es angeblich gelungen, in ein E-Mail-Konto von Baschar Assad einzudringen und rund vier Gigabyte Daten herunterzuladen. Der Hacker namens Osama Salman al Ansi habe dem syrischen Präsidenten eine Botschaft übermittelt, in der er ihm drohte, die Informationen zu veröffentlichen, falls er die Gewalt gegen die Protestbewegung nicht einstelle, berichtete die saudische Zeitung «Al Madina» am Dienstag. Das Material könne zur Enthüllung etlicher «Skandale» beitragen. In den Mails gehe es unter anderem um die Rolle Irans bei der Niederschlagung des Aufstands in Syrien.
Schweizer Botschaft bleibt offen
Aufgrund der andauernden Gewalt in Syrien haben die USA mit der Schliessung ihrer Botschaft in Damaskus gedroht. Die Schweiz will vorerst ausharren. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) verfolge die Entwicklung der Lage in Syrien und namentlich in Damaskus «mit grösster Aufmerksamkeit», teilte Mediensprecher Stefan von Below auf Anfrage mit.
Zur Beurteilung der Lage vor Ort stehe die Schweizer Botschaft in ständigem Kontakt mit anderen ausländischen Vertretungen. Wie jede Botschaft verfüge auch die Schweizer Vertretung in Damaskus «über ein Krisen- und Sicherheitsdispositiv, das je nach Entwicklung der Situation rasch angepasst werden kann», hiess es weiter. Gegenwärtig sei die Botschaft geöffnet und in Betrieb.
Auf seiner Website rät das EDA seit April 2011 von Reisen nach Syrien ab. Zudem empfiehlt es Schweizer Staatsangehörigen, die sich in Syrien aufhalten, das Land sofort zu verlassen, solange noch kommerzielle Transportmittel zur Verfügung stehen.