Ann in der Ukraine«Das schöne Wetter ist in einem Krieg mit Drohnen und Artillerie gefährlich»
Am Freitag jährt sich der Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine. 20-Minuten-Reporterin Ann Guenter ist erneut in die Ukraine gereist. Hier schildert sie, was sie unterwegs erlebt.
Darum gehts
Am Freitag jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine.
20-Minuten-Reporterin Ann Guenter befindet sich auf dem Weg nach Cherson.
Sie schildert, wie die Reise bisher verlaufen ist und was sie die nächsten Tage erwarten wird.
Ann, du bist seit Dienstag wieder unterwegs. Wohin geht es dieses Mal?
Mein erstes Ziel ist Cherson, die Stadt, die vor knapp einem Jahr als erstes den Russen in die Hände gefallen ist. Erst rund ein halbes Jahr später konnte sie wieder befreit werden. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben also die Eroberung, Besetzung und Befreiung im selben Jahr erlebt. Es wird interessant sein, wie sie damit umgehen.
Wo bist du im Moment?
Seit Dienstag bin ich über Moldavien und Odessa bis nach Mikolaiv gekommen. Heute Morgen ging es dann mit dem Auto weiter nach Cherson.
Bist du selber dorthin gefahren?
Nein, und es fährt auch kein ÖV. Ich musste auf der Reise schon zweimal ein Taxi nehmen, das mir ein Fixer organisiert hat, weil Züge ausgefallen sind. Und einmal hatte ich Glück, dass ich in einem Bus voll ukrainischer Soldaten mitfahren konnte.
Wie kam es dazu?
Von Odessa fuhr kein Zug nach Mikolaiv. Als ich herumfragte, sprach mich per Zufall ein Mann in zivil an, ob ich dahin müsste. Ich bejahte und er meinte, er müsse mit seinen «Jungs» eh dahin, für umgerechnet zehn Franken könne ich mitfahren. Erst war ich etwas verunsichert, doch als ich sah, dass lauter ukrainische Soldaten im Bus sitzen, wusste ich: Hier bin ich sicher.
Du hast einen Fixer angesprochen?
Ja. Um sich in einem Kriegsgebiet bewegen zu können, ist man auf sogenannte Fixer angewiesen, gut vernetzte Locals, die gegen Bezahlung Unterkünfte und Fahrten organisieren und einen mit den wichtigsten Informationen versorgen. Sie dienen auch als Übersetzer und wenn man wie ich alleine unterwegs ist, helfen sie teils mit der Kamera.
Wie hast du dich sonst vorbereitet?
Neben meiner kugelsicheren Presseweste und dem Helm und viel warmer Kleidung braucht es einen Presseausweis des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Sonst kriegt man an jedem Checkpoint Probleme. An den Checkpoints hat es vor allem viele Sandsäcke und bewaffnete Soldaten. Sie kontrollieren, wer wieso wohin will und ob er dazu berechtigt ist.
Hat sich der Krieg schon vor Cherson bemerkbar gemacht?
Man sieht natürlich in der ganzen Ukraine die Werbungen für die Armee und die an Russland gerichteten Schmähbotschaften. Aber das deutlichste Zeichen bevor ich ins Kriegsgebiet gekommen bin, war ein riesiges Zeltlager in Moldavien, direkt vor der Grenze zur Ukraine. Bei den Temperaturen monatelang in einem Zelt zu leben, muss hart sein. Und in Moldawien geht das Gerücht um, dass Russland zum Jahrestags des Kriegs den Flughafen einnehmen könnte. Die Angst vor einer Ausweitung des Kriegs geht also auch hier um.
Was hat dich in Cherson erwartet?
Hier hat sich das Bild sehr schnell verändert. Gerade am Montag sind hier sechs Menschen bei einem Raketenangriff umgekommen. Auf der Fahrt nach Cherson herrschte klares, sonniges Wetter. Das freut hier aber niemanden, weil schönes Wetter in einem Drohnen-Artillerie-Krieg schlecht ist.
In Cherson selber sind nur einige wenige Cafés und ein Supermarkt offen. Hier ist die Zerstörung offensichtlichh. Zwischen 14 und 15 Uhr ist alles geschlossen, ab 19 Uhr gilt eine Ausgangssperre. Angesichts der täglichen Angriffe sind nicht viele Menschen zurückgekehrt. «Wir haben Angst vor dem morgigen Jahrestag», sagt meine Fixerin Katja, die hier geboren wurde.
Ich habe jetzt in einem der wenigen offenen Hotels ein Zimmer reserviert. Ob ich aber wirklich bleiben kann, ist unsicher – viele fürchten einen heftigen Raketenangriff am Freitag auf Cherson. Im Kriegsgebiet ist Flexibilität extrem wichtig.
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