Schleichende UmweltkatastropheDas steht auf dem Spiel, wenn die Insekten sterben
Die Zahl an Fluginsekten ist dramatisch zurückgegangen. Dieses Massensterben ist eine Gefahr für viele Ökosysteme und damit auch für den Menschen.
Wie sähe eine Welt ohne Insekten aus? (Video: Insect-Respect)
Die Zahl lässt aufhorchen: In einem Vierteljahrhundert nahm die Gesamtmasse an geflügelten Insekten in Teilen Deutschlands im Schnitt um 76 Prozent ab. Das ist das Ergebnis einer grossangelegten Studie, die das Insektenaufkommen in 63 deutschen Naturschutzgebieten zwischen 1989 und 2016 untersuchte. Es ist die erste Untersuchung, die belegt, dass alle Fluginsekten massiv vom Aussterben betroffen sind. Und das nicht nur in Deutschland, wie Insektenlobbyist Hans-Dietrich Reckhaus, der an der Studie nicht beteiligt war, bestätigt: «Die Situation in Deutschland ist auch repräsentativ für die Schweiz.»
Das Ausmass des Insktenschwundes überraschte die Studienautoren. Die Situation sei viel schwerwiegender als gedacht, erklärten die Forscher um Caspar Hallmann von der Radboud University in Nijmegen. Sie warnen vor den Folgen eines fortschreitenden Insektenschwunds.
«Kleine Riesen»
Tatsächlich steht viel auf dem Spiel, denn «Insekten sind unterschätzte kleine Riesen», betont Reckhaus. Sie sichern als Bestäuber von Pflanzen die Welternährung. Weiter seien sie für viele Fische und Vögel eine wichtige Nahrungsquelle, so der Autor des Buches «Jede Fliege zählt» weiter. Ohne sie als Glied in der Nahrungskette kämen viele Ökosysteme völlig aus dem Gleichgewicht. Der ebenfalls dramatische Rückgang bei den Vögeln wird denn auch in einem direkten Zusammenhang mit dem Insektenschwund gesehen (siehe Box).
Reckhaus weist noch auf eine weitere wichtige Funktion der Insekten hin. «Was viele nicht wissen: Insekten befreien uns von Müll, zum Beispiel von Exkrementen. Ohne sie müssten wir die Kuhfladen selber aufsammeln.» Mit dieser Zersetzungsleistung sorgten sie für fruchtbare Böden. Auch für die Textilproduktion und die Medizin sind Insekten unentbehrlich: Sie sind es auch, die Baumwoll- und Arzneipflanzen bestäuben.
Insektenschutz beginnt zu Hause
Die Ursachen des Insektensterbens waren nicht Gegenstand der aktuellen Studie. Sie wiesen lediglich darauf hin, dass viele Naturschutzgebiete von Agrarflächen umgeben seien und Pestizide dabei eine Rolle spielen könnten. Reckhaus weist ausserdem auf das Verschwinden der Lebensräume der Insekten als Ursache hin und bringt die Problematik auf die einfache Formel: weniger Lebensräume – weniger Insekten.
Während Umweltschützer als Reaktion auf die Studie eine tiefgreifende Neuausrichtung der Landwirtschaft fordern, betont Reckhaus, dass auch der Normalbürger seinen Beitrag zum Schutz der Insekten leisten kann. So könne man Insekten gezielt fördern, indem man ihnen im Garten, auf der Terrasse oder dem Balkon einen artenreichen Lebensraum mit abwechslungsreichem Nahrungsangebot biete. Besonders beliebt bei vielen Fluginsekten seien zum Beispiel Schafgarbe, Weisser Gänsefuss und Färberkamille. Eine Auswahl von Tipps findet sich auf Insect-respect.org als PDF-Download.
Massives Vogelsterben
Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) beklagt einen dramatischen Rückgang im Bestand von Vögeln wie Staren oder Spatzen. Deutschland habe von 1998 bis 2009 insgesamt rund 12,7 Millionen Vogelbrutpaare verloren, teilte der Nabu am Donnerstag mit. Für den Einbruch machte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke vor allem «unsere heutige aufgeräumten Agrarlandschaft» verantwortlich. Der Nabu sieht auch eine Verbindung zum Insektensterben. «Ein direkter Zusammenhang mit dem Vogelrückgang ist sehr wahrscheinlich, denn fast alle betroffenen Arten füttern zumindest ihre Jungen mit Insekten», erklärte der Nabu-Experte Lars Lachmann. (afp)