Fifa-Skandal«Das System Aussitzen funktioniert bei Blatter»
Während über die Fifa eine Welle der Empörung hereinbricht, ist für den Präsidenten der Rücktritt weiterhin kein Thema. Experten erklären, wie das möglich ist.

Fifa-Präsident Sepp Blatter vor der Eröffnung des Kongresses am Donnerstag in Zürich. Es war sein erster Auftritt nach Bekanntwerden des Korruptionsskandals und irgendwie sieht er nicht so entspannt aus.
«Crisis? What is a crisis?» Diese Gegenfrage stellte Fifa-Präsident Sepp Blatter einem Journalisten, der an einer Pressekonferenz vor vier Jahren fragte, ob der Weltfussballverband in der Krise stecke. Und auch jetzt wieder, als am Mittwoch der wohl grösste Korruptionsskandal in der Geschichte der Fifa über Blatter hereinbrach, liess er über seinen Kommunikationschef verlauten: Nein, der Präsident sei nicht unter den Beschuldigten. Nein, der Präsident habe von den Justiz-Aktionen nichts gewusst. Und nein, die Fifa sei nicht Täterin, sondern Opfer. Gestern am Fifa-Kongress beschwichtigte Blatter ebenfalls: «Wir haben einen grossen Teil des Vertrauens verloren. Wir müssen es uns erneut verdienen.»
Wie schafft es Sepp Blatter, auch in der aktuellen Krise die Vorwürfe kleinzureden und inmitten des tobenden Sturms ruhigere Zeiten abzuwarten? Es ist ja nicht der erste Skandal, der die Fifa erschüttert: Bestechungsgelder bei der WM-Vergabe, Intrigen bei der Präsidenten-Wahl oder Schmiergeld für Marketing-Deals – und trotzdem beherrscht Blatter weiterhin den Weltfussball.
Roland Binz, Experte für Krisenkommunikation, erstaunt das nicht. «Das System Aussitzen scheint bei Sepp Blatter zu funktionieren, weil er durch seine Machtfülle bei der Fifa die Gunst der Öffentlichkeit gar nicht mehr suchen muss.» Zur Machterhaltung zähle für ihn in der jetzigen Situation nicht primär die Zustimmung der Öffentlichkeit, sondern die Gunst der Fifa-Kongressmitglieder und der Justizbehörden. Binz ist überzeugt: «Das dürfte eine knallhart kalkulierte Taktik sein, für die Sepp Blatter mediale Prügel in Kauf nimmt.»
«Sehr viel Selbstüberschätzung» nötig
Für den Psychologen Hans-Werner Reinfried ist ein solches Vorgehen nur möglich, wenn jemand «enorm von den eigenen Fähigkeiten überzeugt ist und sehr viel Selbstüberschätzung» mitbringe. Dies zeige sich bei Blatter exemplarisch: «In seiner Weltsicht kann die Fifa ohne ihn an der Spitze nicht weiter existieren, sie ist ohne die ‹gottgegebene› Blatter'sche Ordnung undenkbar.»
Reinfried erklärt: «Mit dieser Überzeugung rechtfertigt er dann gegen aussen die bestehende Ordnung, die er nur mit ihm an der Spitze möglich sieht und lässt somit jegliche Kritik abprallen.» Gemäss dieser Logik sehe Blatter die verhafteten Funktionäre wohl als Kollateralschaden, den es jetzt rasch abzuhaken gelte. Das sei bei Managern ein verbreitetes Phänomen, sagt Reinfried: «Man geht über Leichen, solange es hilft, die eigene Macht zu sichern.»
Diesen Eindruck bestätigt Blatter-Biograf Bruno Affentranger im Interview mit 20 Minuten: «Sepp Blatter verteidigt sich mit allem, was er hat.»
«Sepp Blatter hätte hinstehen müssen»
Obwohl das Aussitzen für Blatter zu funktionieren scheint, wäre dies laut Binz in jeder anderen Organisation, die nicht über eine solche Monopolstellung verfügt, unmöglich. Er rät der Fifa zur Gegenoffensive: «Sepp Blatter hätte sofort hinstehen und sich selbstkritisch zum Skandal und zur Korruption äussern sollen.» Denn laut Binz funktioniert es nicht, wenn sich Blatter einfach in die Opferrolle stellen lässt und jede Verantwortung abschiebt. «Besonders das auffällige Betonen seiner Unschuld durch den PR-Chef wirkt unglaubwürdig. Damit geht Blatter ein hohes Risiko ein, dass weitere belastende Details gegen ihn ausgeschlachtet werden.»
Reputationsmanager Bernhard Bauhofer attestiert der Fifa eine «jämmerliche» Haltung. «Ein Chef in der Privatwirtschaft, der behauptet, er habe nichts von den Machenschaften in seinem Betrieb mitbekommen, wäre sofort gefeuert worden», sagt er und führt das Beispiel Siemens an: Nach Korruptionsvorwürfen gegen den Konzern musste das Unternehmen auf Druck der Aktionäre handeln und ein umfassendes Anti-Korruptionssystem einführen.
«Da die Fifa als Verein organisiert ist, wird das wohl nie passieren», sagt Bauhofer. Einzig die Sponsoren könnten Druck auf den Verband ausüben, indem sie ihre Verträge auflösen. «Leider scheint das nicht sehr realistisch, da im internationalen Markt sofort neue Sponsoren zur Stelle sein werden.»
Binz sieht nur eine Lösung: «Um das katastrophale Image der Fifa aufzubessern, bräuchte es einen kompletten Neuanfang bis ganz an die Spitze.» Ansonsten werde die Fifa weiterhin stets zuerst mit Korruption und Bestechung statt dem Sport, ihrer eigentlichen Aufgabe, in Verbindung gebracht.