Kritik an Avenir Suisse«Das wäre das Ende unserer Landwirtschaft»
Die «Privilegien» der Bauern kosten die Schweiz laut Avenir Suisse 20 Milliarden Franken. Der Bauern-Präsident findet die Berechnung abstrus.
Der liberale Thinktank Avenir Suisse schiesst scharf gegen die Schweizer Bauern. Die aktuelle Agrarpolitik mit Direktzahlungen, Absatzförderung und Grenzschutz koste die Schweiz 20 Milliarden Franken, rechnet Avenir Suisse vor. Für knapp die Hälfte davon kommen die Steuerzahler auf. Und durch den Grenzschutz bezahlten die Konsumenten pro Jahr und Haushalt 1000 Franken mehr für Lebensmittel.
Avenir Suisse empfiehlt als Gegenrezept Freihandel, die Streichung von Direktzahlungen sowie Absatzförderungen. Damit könnten 14 Milliarden Franken gespart werden. Zudem verweist sie im Anhang der Studie auf problematische «Privilegien» der Bauern.
Bauern üben heftige Kritik
Für Markus Ritter, CVP-Nationalrat und Präsident des Schweizer Bauernverbands, betreiben die Studienautoren von Avenir Suisse «Zahlenakrobatik». «Die Einnahmen der Bauern belaufen sich pro Jahr gesamthaft auf 13 Milliarden Franken. Vor diesem Hintergrund ist klar: Wenn Avenir Suisse mit ihren Vorschlägen 14,4 Milliarden Franken einsparen will, fordert sie nichts anderes als die Abschaffung der heimischen Landwirtschaft.»
Die Behauptung, die Bauern verursachten nur Kosten und generierten keinen Mehrwert für unser Land, sei abstrus und verletzend, wie Ritter sagt. «Die Schweizer Bauern garantieren, dass in der Schweiz hochwertige Lebensmittel hergestellt sowie das Kulturland gepflegt wird.» Auch dass Avenir Suisse die vermeintlichen «Privilegien» der Bauern auflistet, bezeichnet Ritter als «durchschaubares Bauern-Bashing»: «Von Privilegien kann keine Rede sein. Es geht schlussendlich darum, ob die Schweiz sich eine Landwirtschaft leisten will, die nachhaltig und regional produziert, oder ob sie auf Importe, industrielle Massentierhaltung und Gentech setzen will.»
«Nur noch grosse Betriebe könnten überleben»
«Ein Abbau-Programm, das Direktzahlungen streichen und die Grenzen öffnen will, würde das Ende der Schweizer Landwirtschaft bedeuten», sagt auch Mathias Stalder von der Bauern-Gewerkschaft Uniterre, welche die Ernährungssouveränitäts-Initiative lanciert hat. «Nur noch einige grosse Betriebe, die industriell produzieren, könnten überleben.»
Auch sei es verfehlt, mit mehr Freihandel für tiefere Konsumentenpreise zu werben, sagt Stalder: «Natürlich können wir alle Lebensmittel günstiger importieren – damit geben wir aber den Verfassungsauftrag auf, der eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit einheimischen Lebensmitteln vorsieht.» Die Folgen dieser Strategie wären laut Stalder verheerend: für die Umwelt sowie das Tierwohl. «Die Marktöffnung in Österreich hat etwa keineswegs zu günstigeren Konsumentenpreisen geführt, im Gegenteil. Jeder dritte Bauernhof musste schliessen.»
Dass von «Bauern-Privilegien» gesprochen werde, kann Stalder nicht nachvollziehen. «Schweizer Bauern arbeiten im Schnitt über 60 Stunden pro Woche, dazu kommt noch Arbeit ausserhalb des Hofs.» Und das bei einem Durchschnittseinkommen, das sich bei rund 50'000 Franken pro Jahr bewegt. «Es stünde den neoliberalen Vordenkern von Avenir Suisse gut an, einmal direkt auf einem Hof vorbeizuschauen und zu sehen, was die Bauern täglich leisten.» Er ist überzeugt, dass ein Programm, wie es Avenir Suisse vorsieht, bei den Bürgern nicht mehrheitsfähig ist.
Auch Bauern sehen Reformbedarf
Aus bäuerlichen Kreisen gibt es aber auch Stimmen, die den Avenir-Suisse als Debattengrundlage begrüssen. «Das ‹Privilegienregister der Landwirtschaft›, das der Berechnung zugrunde liegt, beinhaltet eine umfassende Übersicht über die direkten und indirekten Kosten der Landwirtschaft, die in dieser Form neu ist», sagt Andreas Bosshard, Geschäftsführer des Vereins Vision Landwirtschaft.
Darüber zu streiten, ob die volkswirtschaftlichen Kosten der Landwirtschaft nun 10 oder 20 Milliarden betragen, sei aber nicht der springende Punkt, sagt Bosshard. «Die Studie von Avenir Suisse bestätigt den hohen Reformbedarf: Die Agrarpolitik kostet sehr viel Geld, und trotzdem verfehlt sie, vor allem im Umweltbereich, fast alle ihrer Ziele.» So sei die Ammoniak-Belastung weiterhin viel zu hoch und die Biodiversität schrumpfe trotz Direktzahlungen stetig weiter.