SRG-Pläne«Es kann nicht sein, dass wir uns US-Plattformen unterwerfen»
Die SRG will den Dialog online von Hate Speech befreien. Zwei Medienexperten beurteilen das Vorhaben positiv – eine Kooperation mit privaten Medienhäusern sei aber wünschenswert.
Darum gehts
Die SRG, ZDF sowie ein kanadisches und ein belgisches öffentliches Medienhaus wollen gemeinsam gegen Hate Speech vorgehen – und den Big-Tech-Giganten den Kampf ansagen.
Zwei Professoren des Instituts für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung der Uni Zürich sehen das positiv.
Wünschenswert wäre laut den Experten aber eine Zusammenarbeit mit privaten Medienhäusern – die hätten bisher Bemühungen um neue Plattformen missen lassen.
Eine Online-Plattform von öffentlichen Medienhäusern. Kann das bei der Konkurrenz von Twitter, Facebook & Co. wirtschaftlich überhaupt funktionieren?
Mark Eisenegger*: In einer Zeit der Dominanz von Big-Tech ist es sinnvoll, dass die journalistischen Medienhäuser stärker auf Kooperationen setzen und sich darum bemühen, eine starke digitale Heimat aufzubauen, auf der Qualitätsstandards verankert sind und die genügend attraktiv ist, die Nutzerinnen und Nutzer zu erreichen. Eine Kooperation zwischen öffentlichen Medienhäusern kann ein guter erster Schritt sein, sollte aber à la longue auch private Medienanbieter mit Qualitätsanspruch einbeziehen.
Otfried Jarren*: Ob die Initiative der öffentlichen Medienhäuser Erfolg hat, das wird man sehen, aber bereits der Versuch ist das Engagement wert, um Erfahrungen zu sammeln mit neuen Technologien, mit neuen Angebotsformen. Es geht grundsätzlich darum, die Menschen mit relevanten journalistischen und publizistischen Angeboten zu erreichen. Das gelingt dem Fernsehen, aber eben auch den Zeitungen, immer weniger. Ich würde es begrüssen, wenn sich private Medienhäuser dem anschliessen könnten. Von den privaten Medienhäusern vermisse ich bislang jedes ernsthafte Bemühen bezogen auf neue Plattformen.
Welchen Nutzen könnte eine solche neue Plattform bieten, den es nicht schon gibt?
Otfried Jarren: Plattformnutzung ist bequem, bietet stets mehr als jedes einzelne Medienunternehmen anbietet, erlaubt zudem Austausch, Interaktionen und Transaktionen, also vielfältige Zusatznutzen. Und auch für die Werbung sind Plattformen attraktiv, weil sie hier kleinste Zielgruppen direkt erreichen, alle Nutzungs- und Bewertungsdaten erhalten und Transaktionen verfolgen können. Alles über eine App.
Glauben Sie, dass der Schritt auch eine Reaktion auf die Übernahme von Twitter durch Elon Musk ist?
Mark Eisenegger: Diskussionen zu solchen «Public Spaces» laufen schon länger. So gab es vor einiger Zeit zum Beispiel die Initiative zu «European Public Open Spaces» (EPOS). Es kann aber gut sein, dass die Debatte um Elon Musk dem Vorhaben, Big-Tech eigene «Open Spaces», also Alternativen entgegenzusetzen, die einen zivilisierten Austausch ermöglichen, neuen Auftrieb verschafft hat.
Hast du schon unter Hate Speech gelitten?
Was ist gefährlicher: eine Plattform, auf der kaum überprüft wird, was Fake News sind, oder eine, bei der eine Stelle die Deutungshoheit hat?
Mark Eisenegger: Die SRG, die anderen öffentlichen Medienhäuser wie auch private journalistische Anbieter mit Qualitätsanspruch orientierten sich an journalistischen Standards, die zum Beispiel im Pressekodex festgehalten sind. Einen solchen Kodex und entsprechende Standards kennen die Plattformen der Big-Tech noch nicht. Insofern ist eine neue Plattform, die sich auf überkommene und transparente Standards eines Qualitätsjournalismus bezieht und bei der auch transparent gemacht wird, gemäss welchen Standards und Regeln etwas als «Fake News» identifiziert wird, einer Digitalplattform vorzuziehen, die sich in radikalisierter Weise auf «free speech» beruft.
SRG-Gegner befürchten eine Ideologisierung des Dialogs. Ist diese Befürchtung gerechtfertigt?
Mark Eisenegger: Nein, diese Befürchtung ist nicht gerechtfertigt. Wäre sie gerechtfertigt, hätten wir bereits heute eine ideologisierte Berichterstattung der öffentlichen Anbieter. Faktisch aber unterziehen sich die öffentlichen Anbieter stark, manchmal zu stark, einer Objektivitäts- und Neutralitätsnorm.
Otfried Jarren: Wer von «Ideologisierung» spricht, der versteht von der Sache wohl recht wenig, ist sich aber seiner Haltung bewusst. Das ist eine ideologische Einstellung, eine arg alte zudem, die nicht mehr taugt, um Zukunftsthemen anzugehen.
Gehören Aufbau und Betrieb eines Online-Netzwerks zu den Aufgaben der SRG?
Mark Eisenegger: Die SRG hat als Service-Public-Unternehmen den Auftrag, mit ihren Inhalten die Nutzerinnen und Nutzer zu erreichen. Gleichzeitig hat die Digitalisierung dazu geführt, dass immer mehr Menschen soziale Medien respektive die Plattformen von Big Tech nutzen. Sich zu überlegen, wie Menschen auf den sozialen Plattformen erreicht werden können und wie dem Qualitätsanspruch eines zivilisierten Austausches Beachtung verschafft werden kann, ist ein legitimes Anliegen, insbesondere auch öffentlicher Medien.
Otfried Jarren: Es kann nicht sein, dass wir uns US-amerikanischen oder chinesischen Plattformen, Unternehmen und deren Normen und Regeln unterwerfen. Diese Plattformen aber dominieren den Markt, so auch in der Schweiz. Mehr denn je kommt es auf Kooperation an, zumal im Kleinstaat und auf den Mut für Innovationen. Hier beweist die SRG Mut.
*Mark Eisenegger und Otfried Jarren sind Professoren am Institut für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung der Uni Zürich.
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