Der beste Final aller Zeiten

Aktualisiert

«Time-out»Der beste Final aller Zeiten

Wenn wir das grandiose Finale von 2012 und vor allem Spiel 7 in die Geschichte einordnen, dann sehen wir: Es war der beste Final aller Zeiten.

von
Klaus Zaugg

Die ZSC Lions sind spielerisch kein grosses Meisterteam. Kein Vergleich zum «Grande Lugano» der 1980er-Jahre oder dem «Grande Lugano» von 2006. Und schon gar kein Vergleich zum dynamischen Powerhockey des meisterlichen HC Davos. Das hat aber durchaus seine Logik: Schliesslich haben die Zürcher die Qualifikation nur auf dem 7. Rang abgeschlossen und Finalgegner SC Bern war auch nicht über den 5. Platz hinausgekommen.

Die ZSC Lions und der SC Bern sind Mannschaften ohne charismatische Superstars, von Andres Ambühl vielleicht abgesehen. Noch selten haben zwei Finalteams so sehr die nordamerikanische Weisheit bestätigt, die besagt, dass Eishockey der letzte und wahre Teamsport sei. Taktik statt pures Talent, Disziplin statt Kreativität, Härte statt Eleganz. Ein Finale der sportlichen Durchschnittlichkeit.

Warum war es trotzdem das grösste Finale aller Zeiten? Weil es die Sportschweiz bewegt hat wie noch keine andere Finalserie und weil Spiel 7 eines der grössten Dramen unserer Hockeygeschichte geworden ist.

Beste Werbung fürs Schweizer Hockey

Zum ersten Mal im 21. Jahrhundert haben Kult-Sportunternehmen aus Bern und Zürich auf Augenhöhe um eine Meisterschaft in einer wichtigen Sportart gespielt. Oder besser gesagt: gerungen und gekämpft. Noch nie hatte das Eishockey während einer Finalserie eine so grosse Medienpräsenz. Bessere Werbung hatte unser Hockey noch nie – und genau zum richtigen Zeitpunkt: Während die nationale Fussballmeisterschaft zur Sport-Operette verkommen ist, hat sich das Eishockey im besten Lichte präsentiert.

Für dieses erste Finale zwischen Bern und Zürich haben sich nicht nur die «Hardcore-Fans» interessiert. Deshalb waren Spannung und Dramatik wichtiger als spielerische Kunststücke. So defensiv, ja destruktiv die beiden Teams (vor allem der SCB) auch gespielt haben: Langweilig war es nie.

ZSC-Aufholjagd hat elektrisiert

Wenn die Berner dieses Finale mit 4:1 gewonnen hätten (und sie standen kurz davor), dann würden wir jetzt nicht vom besten Finale aller Zeiten reden, sondern von einem unvollendeten Finale, das die grossen Erwartungen nicht zu erfüllen vermochte.

Erst die Aufholjagd der ZSC Lions hat das Publikum weit über die sonst am Eishockey interessierten Kreise hinaus elektrisiert und das siebte Spiel hat schliesslich das Finale, die ganze Saison gekrönt: Der Titelkampf ist zweieinhalb Sekunden vor dem Ende des letzten Spiels entschieden worden. Dramatischer ist nicht möglich. Noch in 25 Jahren werden wir uns an dieses Spiel erinnern.

Unentschlossene Hockeygötter

Es war in dieser siebten Partie, als könnten sich die Hockeygötter einfach nicht entscheiden, wem sie die Gunst erweisen wollen. Es war kein Spiel. Es war ein zähes Ringen um jeden Zentimeter, jeden Puck. Mit einer Intensität, die irgendwo zwischen NHL und NLA steht. Mit einer Disziplin, die jeden Coach begeistert. In einer elektrisierenden Atmosphäre, die es so in einem Finale vielleicht erst einmal gegeben hat: Beim Titelgewinn der ZSC Lions im Frühjahr 2000 im Hallenstadion.

Erst zweieinhalb Sekunden vor Schluss (!) gewährten die Hockeygötter den ZSC Lions die meisterliche Krönung. Der kanadische Verteidigerhaudegen Steve McCarthy trifft zum ersten Mal in diesen Playoffs. Zum 2:1. Er ist der Meisterschütze. Andres Ambühl, der dominierendste Stürmer dieser ganzen Finalserie, hatte sich zuvor durch die SCB-Abwehr gepflügt. Aber weil es ein Drama ist, geben die hervorragenden Schiedsrichter das Tor, das diese Meisterschaft entscheidet, nicht sofort. Erst nach Konsultation des Videos, nach bangem Warten, bestätigen sie das 2:1.

Perfekt defensives Eishockeyschach

Vielleicht hat es in der Geschichte unserer Playoffs noch nie eine so gute Defensivleistung gegeben wie jene der ZSC Lions in dieser siebten Finalpartie. Die Berner waren wohl optisch leicht überlegen. Aber sie vermochten die ZSC-Abwehr nur einzudrücken und mit einer einzigen Ausnahme (die führte zum Ausgleich) nie auszuhebeln, auszuspielen, auszumanöverieren. Die Zürcher spielten perfektes defensives Eishockeyschach. Wenn es denn stimmt, dass ein Torhüter nur so gut ist, wie die Vorderleute ihn machen: In diesem siebten Spiel ist für diese These der Beweis geliefert worden. Lukas Flüeler ist von seinen Vorderleuten zum Meistergoalie gemacht worden.

Die letzten Minuten dieses letzten Spiels der Saison gehören zum Besten, was es je im Schweizer Hockey gegeben hat: Viereinhalb Minuten vor Schluss stehen die Zuschauer in der grössten Arena Europas auf. Als wollten sie ihren SCB zur Schlussattacke, zum Titelgewinn vorwärts treiben. Als ob sie gespürt hätten, dass Unheil im Anzug ist. Aber es sind die Zürcher, die diese finalen Minuten dominieren und sie elektrisieren ihren mitgereisten Anhang.

Hartley setzt alles auf eine Karte und gewinnt

Dichter war die Atmosphäre im Berner-Hockey Tempel vielleicht noch nie. Für die letzten Minuten vor der unvermeidlich scheinenden Verlängerung setzt ZSC-Coach Bob Hartley zum ersten Mal alles auf eine Karte. Auf einmal stürmen die Zürcher wild vorwärts. Sie dominieren in dieser finalen Partie nur diese finale Phase – und damit überraschen sie den Gegner.

Der SCB wird in seiner eigenen Arena zweieinhalb Sekunden vor Schluss um den Lohn seiner Anstrengungen gebracht. Es ist das verrückte Ende eines grossen Sport-Dramas.

Das Schlusswort überlassen wir dem Milliardär Walter Frey, dem Präsidenten und Besitzer des neuen Meisters ZSC Lions. Er sagte nach dem grossen Triumph: «Die Zufriedenheit überwiegt.» So kommentiert ein wahrer Gentleman eine der dramatischsten Hockey-Nächte des 21. Jahrhunderts.

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