«Der Bundesrat hört jetzt auf die Taskforce»

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Taskforce-Chef Ackermann«Der Bundesrat hört jetzt auf die Taskforce»

Taskforce-Chef Martin Ackermann hofft, dass es keine Einschränkungen für Ungeimpfte brauchen wird. Im grossen Interview erklärt er auch, weshalb die Gefahr noch nicht gebannt ist.

Martin Ackermann ist seit August Chef der Corona-Taskforce.
Ackermann und die Taskforce waren stets die warnende Stimme in der Frage, welche Massnahmen bei der Bekämpfung der Coronakrise nötig sind.
Am Mittwoch hatte der Bundesrat erste Lockerungsschritte bekanntgegeben.
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Martin Ackermann ist seit August Chef der Corona-Taskforce.

ETH Zürich/Ethan Oelman

Darum gehts

  • Die wissenschaftliche Taskforce berät den Bundesrat bei den Entscheiden zur Corona-Strategie.

  • Nicht immer war sie mit den Entscheiden des Bundesrats einverstanden. Im Sommer lockerte der Bundesrat trotz Warnungen vor der zweiten Welle.

  • «Jetzt hört der Bundesrat auf die Taskforce, er lockert langsam und schrittweise», sagt Taskforce-Chef Martin Ackermann im Interview.

Herr Ackermann, in einem Jahr trinken Guy Parmelin und Ueli Maurer ein Bier oder einen Weisswein auf einer Gartenterrasse. Werden Sie dabei sein?

Ich freue mich auch schon darauf, wieder auf einer Gartenterrasse zu sitzen oder ein Konzert zu besuchen. Und es würde mich natürlich freuen, wenn ich mal mit Mitgliedern des Bundesrates auf diese intensive Zeit zurückblicken könnte.

Wird jemand, der bis dahin die Impfung verweigert hat, dieselben Freiheiten geniessen?

Die Menschen sind coronamüde und viele möchten sich impfen lassen. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass der Anteil so gross ist, dass es keine weiteren Einschränkungen braucht.

In Israel sind fast 80 Prozent der Bevölkerung geimpft, das Land kehrt in die Normalität zurück. Allerdings nur für die, die geimpft sind und den grünen Pass haben. Ist dieses Szenario auch für die Schweiz denkbar?

Das ist ethisch eine heikle Frage. Die eidgenössische Ethikkommission hat ja empfohlen, das erst in Erwägung zu ziehen, wenn sich alle impfen lassen können und sichergestellt ist, dass man dadurch niemanden mehr ansteckt.

Am Mittwoch präsentierte der Bundesrat seinen Lockerungsplan. Wie wichtig ist diese langsame Öffnung dafür, dass die Bevölkerung weiter die Massnahmen mitträgt? Zuletzt dominierte das Gefühl der Corona-Müdigkeit.

Ziele und Perspektiven sind während der Pandemie enorm wichtig. Deshalb hat die Taskforce ja auch Ende letzten Jahres das Halbierungsziel vorgeschlagen. Wichtig ist: Das mit den Öffnungen funktioniert nur, wenn die Bevölkerung die Massnahmen gut umsetzt. Es braucht also einen wichtigen Effort von allen, um auf der Zielgeraden zu bleiben.

Wie gross ist die Gefahr, mit den geplanten Lockerungen per 1. März in die dritte Welle zu laufen?

Diese Gefahr ist nicht gebannt. Gleichzeitig mag ich grundsätzlich den Begriff Welle nicht besonders. Es entsteht das Bild, man werde überwältigt, ohne etwas dagegen tun zu können. Die jetzige Situation ist epidemiologisch schwer zu beurteilen. Wichtig ist jetzt umso mehr, dass wir alle mitmachen, Kontakte weiterhin vermeiden, Mobilität einschränken und die Schutzmassnahmen einhalten. Und wichtig ist auch, dass Politik und Behörden sich schon jetzt überlegen, was schnell gemacht werden muss, wenn die Fallzahlen wieder steigen würden. Dann können wir entsprechend schneller handeln.

Leider gibt es aus dem Contact Tracing kaum verlässliche Daten zu Ansteckungen in den Restaurants.

Die Wirte protestieren, sie dürften erst am 1. April die Terrassen öffnen, einzelne Kantone sprechen sich für frühere Öffnungen aus. Warum ist die frühe Öffnung der Restaurants ein Risiko?

Es geht immer darum, möglichst Kontakte zu vermeiden und dort, wo sie sich nicht vermeiden lassen, möglichst gute Schutzmassnahmen zu haben. In Restaurants treffen sich viele Menschen, oft sitzen sie in geschlossen Räumen länger zusammen und sie tragen keine Masken, weil sie essen, trinken und sich dazu unterhalten. Leider gibt es aus der Kontaktverfolgung der Kantone dazu kaum verlässliche Daten. Das heisst aber nicht, dass sich Menschen in Restaurants nicht anstecken können. Das zeigen auch internationale Studien aus den USA, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland. Aber wichtig ist natürlich, dass die Wirte, die ja unverschuldet in dieser Situation sind, schnell und unkompliziert finanziell unterstützt werden.

Gleichzeitig drängen sich im ÖV weiterhin viele Leute, gerade im Pendlerverkehr. Wie geht das zusammen?

Viele Menschen müssen zur Arbeit oder in die Schule fahren und sind auf den ÖV angewiesen. Zudem tragen dort alle eine Maske und oft reden die Menschen auch nicht so viel miteinander. Aber natürlich wäre es gut, wenn wir auch die Mobilität auf ein Minimum reduzieren könnten und noch mehr auf Homeoffice umgestellt wird, wo es geht.

Für die Jugend sind die geplanten Lockerungen wichtig: Sie bekommen einen Teil des Soziallebens zurück. Welche weiteren Massnahmen braucht es zusätzlich, damit die Zahl der psychisch belasteten Jugendlichen nicht noch weiter zunimmt?

Für Jugendliche ist die Corona-Krise schwer, unter anderem, weil das soziale Leben in diesem Alter sehr wichtig ist. Die Einschränkungen betreffen aber alle, von jung bis alt, weil das Virus unabhängig vom Alter bei Kontakten übertragen wird. Die Corona-Stress-Studie der Uni Basel hat gezeigt, dass es viele Stressfaktoren gibt, von Geld- und Zukunftssorgen bis hin zur Angst, jemanden anzustecken. Es ist daher wichtig, dass Hilfe auf mehreren Ebenen kommt. Eine Kompensation von Ausfällen für Betroffene ist für die psychische Gesundheit wichtig. Und Hilfsangebote von psychologischen und psychiatrischen Fachpersonen müssen für die Betroffenen schnell zugänglich sein. Ferner wäre es wichtig, dass Schulen den Lehrplan den Umständen anpassen, wenn sie von Schliessungen und Quarantäne betroffen sind. Um aus der Pandemie herauszufinden, wird es aber auch wichtig sein, dass sich junge Menschen sobald möglich impfen lassen.

Der Druck aus der Politik hat sich zuletzt verstärkt. Die SVP ist in der Totalopposition gegen jegliche Massnahmen. Macht Ihnen die politische Spaltung Sorgen?

Diese Pandemie ist eine ausserordentliche Krisensituation, und da ist es verständlich, dass zwischendurch auch die Nerven blank liegen. Letztendlich sitzen wir aber alle im gleichen Boot – wir können das Problem nur gemeinsam lösen.

Die Taskforce hat vor der 2. Welle immer vor dem exponentiellen Wachstum gewarnt.

Auch durch die Gesellschaft ziehen sich tiefe Gräben. Was sagen Sie Menschen, die überzeugt sind, dass die Corona-Massnahmen mehr Schaden anrichten, als das Virus selber?

Corona hat in der Schweiz bereits viel Leid angerichtet. Über 9000 Menschen sind an Covid gestorben, Tausende waren ernsthaft krank oder spüren die Langzeitfolgen immer noch. Und ohne Massnahmen wäre das Leid noch viel grösser gewesen. Ich glaube, die Einschätzung, wie schlimm Corona ist, hängt auch immer mit der persönlichen Betroffenheit zusammen.

Weshalb verimpft die Schweiz immer noch nur zwei Impfstoffe, bei denen Lieferengpässe bestehen?

Diese Frage müssen Sie dem BAG stellen.

Hat der Bundesrat im Sommer 2020 zu wenig auf die Wissenschaft gehört? Hätte die zweite Welle verhindert werden können?

Die Taskforce hat tatsächlich immer vor dem exponentiellen Wachstum bei den Fallzahlen gewarnt. Das Problem ist nur: Sind die Fallzahlen so tief wie im Sommer, ist wohl für viele der Anstieg kaum wahrnehmbar. Aber man kann aus der Situation im Sommer lernen und vorausschauender handeln.

Auch jetzt warnt die Taskforce angesichts der Mutationen vor Lockerungen. Des Bundesrat präsentiert trotzdem eine Öffnungs-Strategie. Hört er nicht auf die Taskforce?

Doch das tut er, indem er vorsichtig handelt, schrittweise öffnet, dort wo das Risiko am kleinsten ist und den nächsten Öffnungsschritt basierend auf Fakten und Daten abwägt.

Graubünden meldet heute, der Bund habe mehr als ein Viertel des zugesagten Impfstoffes gar nicht geliefert. Ist es überhaupt noch realistisch, bis Ende Juni alle zu impfen, die das wollen?

Das müssen Sie die Kantonsärzte und das BAG fragen.

Eine neue Studie zeigt, dass die mutierten Viren möglicherweise länger ansteckend sind. Muss die Quarantäne nun verlängert werden?

Diese Studie wirft wichtige Fragen auf, auch wenn sie noch nicht wissenschaftlich überprüft ist. Aber ganz grundsätzlich: Wie Quarantäne- und Isolationsmassnahmen gehandhabt werden, sollte regelmässig überprüft und allenfalls angepasst werden.

Die Mutationen werden stets für die Rechtfertigung von Massnahmen herangezogen. Aber wie gefährlich sind sie wirklich? In Genf kam es bisher zu keinem Anstieg, obwohl 75 Prozent der Fälle bereits Infektionen mit Mutanten sind.

Untersuchungen aus verschiedenen Ländern zeigen, dass B.1.1.7 ungefähr 50 Prozent ansteckender ist. Das macht es schwieriger, die Epidemie unter Kontrolle zu halten. Dass die Fallzahlen in Genf bislang nicht angestiegen sind, ist aber ermutigend. Das ist ja schliesslich auch das Ziel aller Massnahmen. Die Kombination von Massnahmen, dem Mitmachen der Leute und der Kontaktverfolgung hat bis jetzt offenbar funktioniert, um einen Anstieg zu verhindern. Das ist positiv, aber die Schweiz muss sehr auf der Hut sein.

Ich verpasse in der Taskforce natürlich keine Maulkörbe.

Neben den bekannten Mutanten gibt es auch noch rund 4000 Fälle von unbekannten VOC, die alle die Mutation N501Y tragen. Wie beunruhigend ist das?

Wir sequenzieren jede Woche einen Teil aller positiven Tests in der Schweiz und haben deshalb einen Überblick über die Varianten, die in der Schweiz zirkulieren. Viren mutieren immer – die Frage ist, welchen Effekt die Mutationen haben. Deshalb müssen wir alle Varianten im Auge behalten. Es ist übrigens grossartig, was hier nationale und internationale Forschungsnetzwerke leisten.

Zuletzt kam es in der Taskforce zu Misstönen: Diverse Experten sagten auf Anfragen, sie dürften sich nicht mehr zu gewissen Themen äussern. Verpassen Sie abweichenden Meinungen in der Taskforce einen Maulkorb?

Nein, das ist natürlich nicht so. Ich plädiere lediglich dafür, dass wir uns gut absprechen und koordinieren.

War dies der Grund, dass medienaffine Persönlichkeiten wie Marcel Tanner oder Christian Althaus die Taskforce verlassen haben?

Die Arbeitsbelastung in der Taskforce ist sehr hoch. Alle Expertinnen und Experten arbeiten freiwillig und ehrenamtlich. Deshalb gab es schon immer Fluktuationen in der Taskforce.

Wir müssen uns für die Zukunft gut rüsten.

Der Bundesrat hat die Lockerungen für April skizziert. Blicken wir in den Sommer: Was wird mit den wärmeren Temperaturen und der Impfung möglich sein? Soll man jetzt ein Openair-Ticket kaufen?

Ich hoffe vor allem, dass die Veranstalter mit dem Impffortschritt wieder mehr Planungssicherheit bekommen. Diese Branche leidet enorm, weil eine Pandemie immer mit vielen Unsicherheiten einhergeht.

Die Schweiz ist mit der grössten Krise der jüngeren Geschichte konfrontiert. Welche Lehren müssen wir daraus ziehen?

Wir müssen uns vor allem gut für die Zukunft rüsten. Wir sollten unsere Infrastrukturen überprüfen und zusätzliche Strukturen schaffen, die es uns ermöglichen, schneller und effizienter zu handeln. Ich denke da vor allem an die Digitalisierung und das schweizweite Erheben von Daten. Hier hat die Schweiz noch sehr viel Handlungsbedarf.

Martin Ackermann hat die Fragen schriftlich beantwortet.

Taskforce-Chef seit August

Martin Ackermann wurde im August zum Leiter der Corona-Taskforce des Bundes ernannt. Er studierte in Basel Biologie und promovierte 2002 mit einer Dissertation über Alterungsprozesse in Bakterien. Danach arbeitete er zwei Jahre an der University of California in San Diego. Seit 2004 forscht Martin Ackermann an der ETH Zürich, seit 2015 ist er ordentlicher Professor und leitet an der ETH und der Eawag die Forschungsgruppe für Ökologie mikrobieller Systeme. Seine Gruppe erforscht, wie Mikroorganismen mit der Umwelt und untereinander interagieren und sich dadurch gegenseitig beeinflussen. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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