Der Gottesstaat wird zur Militärdiktatur

Aktualisiert

Iranische MachtverhältnisseDer Gottesstaat wird zur Militärdiktatur

Seit der umstrittenen Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads weiten die Revolutionsgarden ihren Einfluss auf die iranische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aus. Die schiitische Geistlichkeit wird in den Hintergrund gedrängt.

Omid Marivani
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Omid Marivani

«Die Bewahrung der Islamischen Republik ist wichtiger als Beten», verkündete unlängst Mohammad Ali Dschafari, Kommandant der iranischen Revolutionsgarden. «Kommandant erlässt Fatwa», spottete tags darauf die exiliranische Zeitung «Ruz». Die Häme scheint unangebracht, drängen sich doch zwei Fragen auf: Wie «islamisch» ist eine Republik, deren Überleben wichtiger ist als die zweite Säule des Islam, das tägliche Gebet? Und da Iran auch keine echte Republik ist: Was eigentlich ist das Land, wenn weder islamisch noch Republik?

Auf dem Weg zu einer Militärdiktatur, meint einer, der es wissen muss: Mohsen Sazegara war Gründungsmitglied der Revolutionsgarden und in den 80er Jahren Mitarbeiter von Premierminister Mussawi, dem heutigen Oppositionsführer. Inzwischen lebt er im amerikanischen Exil und bezeichnet seine ehemaligen Kameraden als «etwas wie die kommunistische Partei, den KGB, einen Grosskonzern und die Mafia zusammen».

Putschdrohung gegen Chatami

Laut Verfassung obliegt ihnen die Verteidigung der Islamischen Revolution. Ein Auftrag, der reichlich Interpretationsspielraum zulässt. Politisch in Erscheinung traten die Revolutionsgarden erstmals während der Amtszeit des reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami (1997-2005), gegen den sie sich mit den konservativen Kräften um den obersten Führer Chamenei verbündeten. Unvergessen bleibt ein Brief aus dem Jahr 2002, gezeichnet von 24 Offizieren (darunter auch Dschafari), in dem diese Chatami unverhohlen mit einem Putsch drohten, sollte er nicht härter gegen die aufbegehrenden Studenten vorgehen.

Inzwischen sitzen ehemalige Gardisten in grosser Zahl in Präsident Ahmadinedschads Kabinett, im Parlament und weiteren politischen Schlüsselpositionen. Parlamentspräsident Laridschani war Offizier, der Teheraner Bürgermeister Qalibaf Luftwaffenchef der Revolutionsgarden. Mohsen Resai, der im Juni gegen Ahmadinedschad antrat, war ihr Oberbefehlshaber von 1981 bis 1997 und ist heute Generalsekretär des Schlichtungsrates.

Ahmadinedschad selbst war nie Gardist, sondern Mitglied der Freiwilligenmiliz «Basidsch», die von Beginn an eng mit den Revolutionsgarden verbunden war und ihnen seit 2007 auch formal unterstellt ist. Im Krieg gegen Saddam Hussein wurden sie als «menschliche Wellen» über irakische Minenfelder geschickt, heute sind die Basidischi vor allem für ihr brutales Vorgehen gegen oppositionelle Demonstranten bekannt.

SMS-und Wodkamonopol

Die zunehmende Militarisierung Irans lässt sich auch anhand der wirtschaftlichen Verflechtungen der Revolutionsgarden nachzeichnen. Über ein Netzwerk von Tochtergesellschaften und Subunternehmen sind sie in den Bereichen Immobilien, Infrastruktur, Automobilbau sowie Öl- und Gasförderung aktiv. Von ehemaligen Kameraden, die inzwischen im Energie- oder Verkehrsministerium sitzen, bekommen sie ohne öffentliche Ausschreibung lukrative Aufträge zugeschanzt.

Mit der Übernahme der Mehrheit an der staatlichen Telekomgesellschaft sind sie seit kurzem auch Mobilfunkbetreiber und können so bei drohenden Protesten das Netz gleich selbst abstellen oder den Versand von SMS unterbinden. Persönliche Bereicherung und Korruption müssten angesichts solcher Wirtschaftsmacht florieren, sind aber schwierig nachweisbar. Ein Indiz ist freilich die unbegrenzte Verfügbarkeit an streng verbotenem Alkohol, die privaten Schmuggel eigentlich ausschliesst. Eine plausiblere Erklärung ist die organisierte Einfuhr durch die Revolutionsgarden, die auch für den Grenzschutz verantwortlich sind.

Kontrolle über Atomprogramm

Auch in gesellschaftlichen Belangen verfügen die Revolutionsgarden über beachtliche Ressourcen. Basidsch-Studentenorganisationen (denen einige allerdings nur beitreten, um in den Genuss von Stipendien und anderen Vergünstigungen zu kommen) bilden auf dem Campus ein Gegengewicht zu reformorientierten Studenten. Die staatliche Fernseh- und Rundfunkanstalt wird ebenso von einem ehemaligen Gardisten geleitet wie die konservative Tageszeitung «Keyhan».

In den vernachlässigten Provinzen werben sie um die Sympathie der Bevölkerung, indem sie öffentliche Bauvorhaben realisieren und sich im Katastrophenschutz engagieren. Ihre militärische Kernkompetenz vernachlässigen sie bei aller Diversifizierung keineswegs: Irans Arsenal an Langstreckenraketen sowie das umstrittene Atomprogramm werden ebenfalls von den Revolutionsgarden kontrolliert.

Die Geistlichkeit auf dem Rückzug

Wie weit der oberste Führer Chamenei an der Spitze dieser Veränderungen steht oder den Revolutionsgarden als verfassungsrechtliches Feigenblatt dient, ist unklar. Tatsache ist, dass die Geistlichkeit immer weniger in Erscheinung tritt. Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, immerhin Vorsitzender des Experten- und des Schlichtungsrats und selbst schwerreicher Unternehmer, ist seit der Präsidentschaftswahl fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden.

Gemässigte Geistliche wie Mehdi Karrubi und Mohammad Chatami haben sich Mir-Hossein Mussawis Grüner Oppositionsbewegung angeschlossen und weisen zusammen mit anderen Kollegen regelmässig auf die fehlende Legitimation der Regierung Ahmadinedschads hin. Ansonsten ist von den einstigen Protagonisten der Islamischen Republik nur noch wenig zu hören.

Auf die Frage, ob die Revolutionsgarden dereinst nicht zu mächtig werden und einen Staatsstreich anzetteln könnten, soll Ayatollah Khomeini geantwortet haben: «Und wenn schon, das macht nichts. Das sind unsere Leute, alles bleibt in der Familie.» Die iranische Bevölkerung dürfte es ähnlich sehen: Unter dem Strich sind die Unterschiede zwischen der Diktatur der Geistlichkeit und jener des Militärs minimal.

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