«Der kleine Schweizer auf der grossen Weltbühne»

Aktualisiert

Guido Keel über das Assad-Interview«Der kleine Schweizer auf der grossen Weltbühne»

Medienwissenschaftler Guido Keel von der ZHAW hat zusammen mit 20 Minuten das Rundschau-Interview mit Bashar al-Assad geschaut und analysiert.

von
O. Fischer

Guido Keel nennt die aus seiner Sicht stärksten und schwächsten Momente von Sandro Brotz im Gespräch mit Bashar al-Assad. (Video: 20min/ofi/vbi)

Guido Keel, wieso hebt Sandro Brotz zu Beginn so deutlich hervor, dass im Interview jede Frage gestellt werden darf und dass das Interview ungeschnitten veröffentlicht werden muss?

Ich denke, zum einen ist das die For-the-Record-Bestätigung der Abmachung mit Bashar al-Assad, zum anderen soll das Publikum die Rahmenbedingungen des Interviews kennen.

Ist es üblich, diese Bedingungen für das Publikum darzulegen?

Nein, aber es ist auch ein aussergewöhnliches Interview. Ich finde es in diesem Fall durchaus angebracht. Gerade weil das Publikum das Gefühl haben könnte, dass da zensiert worden sei. Bei einer so mächtigen Person wäre es üblich, dass zuvor bestimmt worden ist, welche Fragen gestellt und welche Punkte thematisiert werden dürfen.

Brotz fragt nach, ob Assad befürchte, das Interview werde manipuliert. Was ist davon zu halten?

Das ist natürlich eine Suggestivfrage, um Assad aus der Reserve zu locken. Aber er reagiert sehr professionell darauf. Er antwortet freundlich und zuvorkommend. Müsste ich nach diesem ersten kurzen Austausch Sympathiepunkte vergeben, wären die bei Assad. Er gibt sich freundlich, verständnisvoll und kooperativ.

Sehr früh bringt Brotz den von US-Aussenminister John Kerry angestellten Vergleich mit Hitler und Saddam Hussein. Bringt das etwas?

Ich finde es nicht klug, gleich mit dem Hitler-Vergleich zu kommen. Das ist immer ein billiger Vorwurf, den man einfach kontern und als unsachlich abtun kann. Das war sicher nicht die stärkste Frage für eine so frühe Phase des Interviews.

Wie wirkt Sandro Brotz bei diesen ersten Fragen im Interview auf Sie?

Er stellt kritische Fragen, was löblich ist. Was mich aber irritiert, ist, dass er stark an seinem Skript hängt. Dadurch wirkt er fast ein bisschen schuljungenhaft. Es wäre sicher besser gewesen, wenn er seine guten Fragen freier vorgetragen hätte. So wirkt es einstudiert und nicht wie ein kritisches Gespräch.

Spielt denn hier die Interviewanlage Assad in die Hände, der sich im Vorteil wähnt?

Eigentlich hat ja der Interviewer mit den Fragen das Heft in der Hand. Das würde aber bedingen, dass er die Schlagfertigkeit hat, spontan auf Aussagen zu reagieren. Das gelingt Sandro Brotz sehr selten. Das ist natürlich ein hoher Anspruch, aber weil ihm das nicht gelingt, verschiebt sich die Macht zum Interviewten. Sandro Brotz stellt sehr direkte, kritische Fragen und nimmt kein Blatt vor den Mund, wie zum Beispiel zu den Angriffen auf Spitäler. Assad reagiert aber fast noch direkter und nimmt ihm damit gleich wieder den Wind aus den Segeln. Diese Offenheit wirkt gewinnend.

Aber versucht Brotz nicht mit seinen Fragen, die ja zum Teil ganz direkt auf Assad persönlich zielen, ihn aus der Reserve zu locken?

Ja, aber es waren zum Teil suggestive Fragen. Es hat aber gleich mehrmals nicht funktioniert. Irgendwann hat sich die Masche totgelaufen. Es wirkt dann verzweifelt.

Es gibt im Interview einen Moment, in dem sich Assad quasi selbst eine Frage stellt. Entmachtet er Sandro Brotz damit nicht komplett?

Dieses rhetorische Mittel muss nicht unbedingt ein Machtverlust für Brotz sein. Es zeigt aber, welches Selbstvertrauen Assad in dem Gespräch ausstrahlt. Einige Fragen waren sehr allgemein gehalten, Assad konnte sehr ausführlich und detailliert antworten. Dadurch zeigt er, dass er in diesem Gespräch viel kompetenter ist und in der Sache besser Bescheid weiss.

Die Körpersprache und Mimik von Sandro Brotz wirken eher zurückhaltend. Wäre eine angriffigere Haltung wirkungsvoller gewesen?

Mein Eindruck ist, dass er etwas eingeschüchtert war. Im Stile von: Der kleine Schweizer ist plötzlich auf der grossen Weltbühne. Ich finde aber nicht, dass er angriffiger sein müsste. Wenn er zum Heisssporn geworden wäre, hätte er an Glaubwürdigkeit und Wirkung verloren. Die Fragen von Brotz sind gut, aber das Interview müsste mehr als freies Gespräch ablaufen, und es bräuchte ein stärkeres Nachhaken. Wenn er schon alles fragen darf, was er will, hätte er die Chance nützen und nachbohren können.

Assad wird im Laufe des Gesprächs in seiner Körpersprache offener, er gestikuliert und unterstreicht seine Aussagen. Ein Zeichen von gewachsenem Selbstvertrauen?

Auf mich hat er von Anfang an selbstsicher gewirkt. Er zeigt so zwar allmählich mehr Emotionen und wirkt engagiert. Aber er hat immer die Kontrolle über sich und das Gespräch. Ohne dieses Engagement hätte er über das ganze Interview wie eine sehr kalte, emotionslose Tötungsmaschine wirken können. So zeigt er, dass er sehr wohl menschlich und leidenschaftlich ist.

Brotz spricht Assad auf seine Vater-Rolle an. Er bringt damit eine emotionale Komponente ins Gespräch. Was bezweckt er damit?

Es ging wohl darum, Assad aus der Reserve zu locken und ihn zu verunsichern. Brotz appelliert an Assads innerste Gefühle und versucht eine andere Seite von Assad herauszubringen. Wie man sieht, funktioniert es nicht. Assad ist zu sehr Profi und bleibt sachlich. Das Problem ist, dass in diesem Interview immer die Aussagen von Assad als letztes Wort stehen bleiben. Weil Sandro Brotz das Hintergrundwissen oder die Schlagfertigkeit fehlten, um nachzuhaken, schliessen immer die Antworten ein Thema ab.

Sandro Brotz konfrontiert Assad auch mit einem Bild eines Kindes, spielt noch einmal auf die Emotionen. Da zeigt er sich angriffiger. Mit Erfolg?

Nein, weil Assad wiederum sehr ruhig und sachlich reagiert. So wirkt das Engagement eher unbeholfen. Brotz ist dann plötzlich auf dem Rückzug. Zuerst macht er einen klaren Vorwurf, dann muss er sich etwas zurücknehmen. Assad is running the show – er bestimmt, wo es durchgeht, und er bestimmt die Flughöhe der Argumente. Man merkt immer wieder, dass Brotz seine Liste von Vorwürfen abarbeitet, egal, was der andere sagt. Ein noch besserer Interviewer würde viel mehr auf das eingehen, was Assad sagt.

Assad referiert in vielen Antworten lange und ausführlich und hätte dem Interviewer Anknüpfungspunkte geliefert, um kritisch nachzufragen. Warum macht Sandro Brotz das nicht?

Mein Eindruck ist, dass Brotz gar nie die Strategie hatte, gross nachzufassen. Ich vermute, er wollte von Anfang an in erster Linie möglichst viele kritische Punkte ansprechen und Assad damit konfrontieren. Auf Detaildiskussionen wollte er sich wohl gar nicht einlassen, weil er Assad da klar unterlegen gewesen wäre. Ich finde es zwar schade, dass er Assad dadurch das Feld überlassen hat, aber ich denke, das war von Anfang an die Strategie.

Sandro Brotz hat im Gespräch mit 20 Minuten gesagt, es sei manchmal fast wichtiger, gewisse Fragen zu stellen, als was dann geantwortet werde. Merkt man das im Gespräch?

Ja, das merkt man. Und es kann eine gute Strategie sein, Assad einfach mit Themen und Vorwürfen zu konfrontieren. Es stellt sich dann aber die Frage, was aus journalistischer Sicht der Wert davon ist. Assad von Fehlern zu überzeugen ist sowieso unmöglich. Zeigen, dass Assad ein böser Mensch ist, muss man den Zuschauern im Westen auch nicht. Der Schuss kann nach hinten losgehen, weil man ihm einfach die Gelegenheit gibt, seine Argumente darzulegen. Auflösen kann man das dann im Interview auch nicht, weil einfach Aussage gegen Aussage steht. Es besteht schon die Gefahr, dass Assad plötzlich sympathisch rüberkommt. Die Strategie von Brotz ist sicher mutig, aber ich weiss nicht, wie zielführend sie war.

Als es dann um Foltergefängnisse und Berichte von Amnesty International und des IKRK geht, entsteht das einzige Mal ein echtes Gespräch. Und da hakt Brotz dann auch nach.

Das ist der mit Abstand stärkste Moment von Sandro Brotz in diesem Interview. Und gleichzeitig der schwächste von Assad. Da ist er überhaupt nicht mehr überzeugend und wird sogar unglaubwürdig. Brotz fällt ihm da sogar ins Wort und weist auf Widersprüche hin. In dieser Phase ist er ganz stark. Man wünscht sich, das wäre viel früher im Interview passiert. Wenn es früher gelungen wäre, Widersprüche aufzudecken, wäre das Gespräch vielleicht ganz anders verlaufen.

Ist es nicht sogar gut, dass dieser Moment ganz am Schluss kam? So bleibt er den Zuschauern besser in Erinnerung, als wenn er am Anfang gewesen wäre.

Darüber kann man nur spekulieren, aber ich sehe es anders. Assad hatte zwanzig Minuten Zeit zu zeigen, wie souverän er ist. Dieses Bild hat sich gefestigt. Ich hätte mir eher gewünscht, das wäre früher gekommen, es hätte möglicherweise eine andere Dynamik ausgelöst.

Übers Ganze gesehen: Wer hat sein Ziel eher erreicht?

Ich denke, beide haben ihre Ziele erreicht. Assad konnte sich sachlich, engagiert und kompetent präsentieren, und Brotz konnte viele kritische Themen und Vorwürfe an Assad vorbringen und schaffte es, dass Assad wenigstens einmal die Kontrolle über die Deutung verlor. Ich persönlich denke aber, dass Assad mehr von dem Gespräch profitiert hat. Das Gespräch war aus seiner Sicht Teil einer grossen PR-Kampagne; das Schweizer Medium hat er sicher auch ausgewählt, weil die Schweiz zwar als glaubwürdig und seriös gilt, aber Schweizer Journalisten im internationalen Vergleich nicht den Ruf haben, wahnsinnig kritisch zu sein.

Guido Keel kommentiert einige kritische Äusserungen zur Rundschau, die Zuschauer auf Twitter gemacht haben. (Video: 20min/ofi/vbi)

Guido Keels Gesamteinschätzung der Sendung Rundschau:

Guido Keels Gesamteinschätzung der Sendung Rundschau:

«Ich finde es ist richtig, dass die Rundschau dieses Interview gemacht hat und Assad eine Plattform gegeben hat. Es ist aber nur deshalb richtig, weil man das Gespräch in einen grösseren Kontext eingebettet hat. Sie lassen kompetente Assad-Kritiker zu Wort kommen in den Personen von Kurt Pelda und Pascal Weber. Als Gesamtsendung machen sie es richtig, und so ist es auch nicht gefährlich. Im Interview Assad das Leben schwerer zu machen, war fast nicht möglich. Das Bild Assads in einem Gespräch zu demontieren ist unrealistisch, dafür ist er viel zu professionell und sachlich. Umso wichtiger ist die anschliessende Einordnung. Das Problem daran war vielleicht, dass die Zeit sehr knapp bemessen war, um überhaupt das Interview zu analysieren und Assad zu widerlegen. Kurt Pelda hat sicher eine gewisse Glaubwürdigkeit, seine Meinung ist aber auch nicht abschliessend massgebend. Es bräuchte mehr Fakten und konkrete Beispiele, um Assads Antworten einzuordnen. Abschliessende Erkenntnisse kann der Journalismus in dieser Sache ohnehin nicht liefern. Was er kann, und was die Rundschau gemacht hat – gut gemacht hat – ist, verschiedene Perspektiven darzulegen. Ich glaube, ich kann jetzt besser einschätzen, wer Bashar al-Assad ist.»

Guido Keel ist Geschäftsführer und Dozent am Institut für angewandte Medienwissenschaft (IAM) an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur.

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