Streitgespräch«Der Koran erlaubt keine Zwangsheirat»
Die zweite Runde im Schlagabtausch zwischen der stenggläubigen Muslima Sara und der Alt-Feministin Julia Onken. (zum ersten Teil).
20 Minuten Online: Sara, konnten Sie frei entscheiden, ob Sie ein Kopftuch tragen wollen?
Sara: Ja. Für mich war das Kopftuch nie ein Muss. Es ist ein Zeichen von Religiosität und bietet mir eine Art Schutz. Ich mache alles mit Kopftuch. Ich gehe sogar im Zürichsee schwimmen. Ich fahre Inline-Skates. Das Kopftuch ist erst dann schlimm, wenn eine Frau gezwungen wird, es zu tragen.
Onken: Dann müssen wir an dieser Stelle festhalten: Es gibt nicht einen Islam. Es gibt offenbar verschiedene Islame. Aber warum zeigt ihr euren offenen, humanistischen Islam nicht öffentlich? Ihr solltet Vorträge halten und aufklären. Wenn wieder einmal mehr ein Fall einer 14-jährigen Muslima publik wird, die an einen 75-Jährigen verschachert wurde, solltet ihr an die Öffentlichkeit gehen und sagen: Moment! Es wäre eure Aufgabe, so etwas richtig zu stellen und euren Glaubensgenossen die Barbarei auszutreiben.
Sara: Wir informieren schon lange. Leider hat sich bisher niemand dafür interessiert. Nach der Annahme des Minarett-Bauverbots sehe ich Chancen, dass wir gehört werden. Wir wollen auch aktiver auftreten, die Schulen anschreiben und unsere Hilfe anbieten als Vermittler bei Problemen mit muslimischen Eltern oder Schülern.
20 Minuten Online: Frau Onken, hat Sie die deutliche Annahme der Minarett-Initiative mit Genugtuung erfüllt?
Onken: Ich wollte eine Diskussion, und die ist lanciert. Das Minarett ist nur ein Symbol. In einer Partnerschaft zum Beispiel verhält es sich ähnlich: Sie parkiert ihr Auto immer so saublöd in der Garage, dass er nebenan keinen Platz mehr hat, er macht den Klodeckel prinzipiell nicht zu. Das sind alles Symbole, mit denen der Streit anfängt. Dahinter aber stecken gegenseitige Kränkungen, die nie zur Sprache kamen, also ein ganzer Rattenschwanz an Emotionen – und genauso verhielt es sich jetzt bei der Minarett-Initaitve. Die Dämme sind gebrochen. Lehrerinnen, Polizisten, Sozialarbeiter und Krankenschwestern: Leute an der Front haben jetzt mal den Mund aufgemacht. Bislang hatten sie geschwiegen aus Angst, in die fremdenfeindliche Ecke gestellt zu werden. Auch ich bin für viele zur Rassistin geworden seit meiner Empfehlung. Dabei war die E-Mail, die ich versendet habe, völlig harmlos. Lesen Sie! (Reicht Sara einen Handzettel).
Sara: Ui nei! Das ist ja schlimm geschrieben. Sie haben gesagt, es sei gar nicht schlimm! Haben Sie sich überhaupt informiert, bevor Sie das geschrieben haben?
Onken: Aber natürlich. Ich habe den Koran studiert!
Sara: Den ganzen, von A bis Z?
Onken: Eine Übersetzung. (Deutet auf ihre Unterlagen) Hier steht alles drin, ich habe das übernommen.
Sara: Das kann nicht sein, meine Güte! Zuerst mal Zwangsheirat: Der Koran erlaubt so etwas nicht. Es gibt keine einzige Sure, die so etwas vorschreibt.
Onken: Aber es wird gemacht! Im Namen des Islam! Machen Sie die Augen auf!
Sara: In den Kreisen, aus denen ich stamme, verlangt der Imam der Gemeinde ein Zeugnis der Braut, auf dem sie mit ihrer Unterschrift garantiert, der Heirat ohne Zwang zugestimmt zu haben.
Onken: Letzte Woche hat sich in Bregenz ein Mädchen umgebracht, weil man es zwangsverheiraten wollte.
Sara: Das ist schrecklich!
Onken: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es so etwas gibt. Sehr viele Frauen werden im Namen des Islam unterdrückt. Elham Manea, eine Kritikerin des Islam und selbst Muslimin, bezeichnet die Moscheen als Männerhäuser. Was ist damit?
Sara: Ich gehe regelmässig in die Moschee. Jeden Freitag, jeden Samstag, jeden Sonntag …
Onken: Und da beten Sie nach Geschlechtern getrennt? Oder gemeinsam mit den Männern?
Sara: Wir beten tatsächlich getrennt und das hat einen simplen Grund. Beim Gebet wendet man sich an Gott, die ganze Konzentration muss bei ihm sein. Wenn ich aber neben mir eine tolle Frau habe, die betet, dann kann ich mich nicht auf Gott konzentrieren. Bei uns ist das aber nicht so streng organisiert. Bis vor Kurzem haben wir sogar in einem Raum gebetet – die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite. Jetzt wurden die Räumlichkeiten zu eng und darum beten die Frauen jetzt im unteren Stock.
Onken: Dann ist das aber eine sehr fortschrittliche Moschee!
Sara: Da ist unsere Moschee, aber nicht die einzige.
Onken: Es gibt aber noch eine andere Logik, weshalb Männer und Frauen getrennt beten.
Sara: Welche?
Onken: Da sich die Muslime beim Gebet bewegen, könnte der Mann sich durch die Bewegungen der Frau erotisch stimuliert fühlen.
Sara: Das habe ich noch nie gehört.
20 Minuten Online: Welche frauenfeindlichen Regeln schreibt der Koran vor?
Sara: Der Koran schreibt keine Regeln zur Unterdrückung der Frau vor. Der Frau ist es ausdrücklich erlaubt, zu arbeiten. Sie hat laut Koran sogar eine Pflicht zur Bildung. Sie hat Anspruch auf ihren eigenen Besitz und auf die Gütertrennug. Es gibt sogar ein Scheidungsrecht im Koran. Und das seit 1400 Jahren.
Onken: Aber das ist Ihr Islam! Der mag auch noch für einige andere – vor allem gebildete Frauen – zutreffen. Aber Sie machen einen grossen Fehler, Sie schliessen von sich auf andere und blenden konsequent all die anderen Frauen aus, die irgendwo in einer Blockwohnung leben, Kinder bekommen und dem Mann gehorchen müssen, falls nötig, mit Züchtigung. Da wird ein anderer Islam gelebt, fern humanistischer Grundrechte.
20 Minuten Online: Meinen Sie, das Minarett-Verbot wird etwas an der Situation dieser Frauen ändern?
Sara: Seit der Abstimmung werde ich auf offener Strasse mit abschätzigen Blicken bedacht oder sogar angerempelt.
Onken: Aber wo waren diese Leute, die Sie nun als bekennende Muslimin anfeinden, vor der Abstimmung? Hat man Ihnen etwas vorgemacht, etwa Toleranz vorgetäuscht? Darum geht es mir. Dass wir vorher in einem solchen Zwang waren, die unguten Gefühle gegenüber dem Islam nicht aussprechen zu dürfen. Man hat sich zwar höflich benommen, hat aber etwas anderes gedacht. Wenn Menschen nicht mehr sagen können, was sie bewegt und was sie ärgert, wird ihnen irgendwann der Kragen platzen.
Sara: Ich kann Ihre Argumente im Grunde genommen sehr gut nachvollziehen. Überhaupt ist es interessant zu merken, wie viele Gemeinsamkeiten wir haben.
20 Minuten Online: Und in welchen Punkten unterscheiden Sie sich von Frau Onken?
Sara: In der Tendenz zur Verallgemeinerung. Es ist nicht alles muslimisch, was unterdrückt wird. (Zu Onken gewandt) Nehmen Sie es nicht persönlich, aber ich sehe vor allem mangelnde Kenntnisse über unseren Glauben. Ein Urteil über den Islam erfordert ein vertieftes Verständnis für diese Religion.