Killer-Keim MRSADer Tod lauert im Spital
Schätzungen zufolge sterben in der Schweiz jährlich bis zu 2000 Patienten an den Folgen von Spitalinfektionen. Einfache Massnahmen hätten sie vor dem Tod bewahren können.

Den Weg ins Spital unternehmen die wenigsten freiwillig: Wer vertraut Leib und Leben schon gerne einem wildfremden Menschen an? Und so bleiben viele Fragen vor dem Eingriff offen: Werden dem Chirurg während der Operation Fehler unterlaufen? Wird der Narkosearzt genau so viel Anästhetikum verabreichen, damit ich zwar nicht während, dafür aber nach dem Eingriff wieder aufwache?
Normalerweise harmlos, im Einzelfall tödlich
Als wäre diese Ungewissheit nicht schon belastend genug, haben es Ärzte, Pfleger und vor allem die Patienten mit einer weiteren, nur schwer kalkulierbaren Gefahr zu tun: MRSA ( Methizillin-resistenter Staphylococcus aureus). Rund 30 Prozent der Bevölkerung trägt den Keim zwar auf sich – für die meisten Menschen bleibt die Besiedelung aber ohne Folgen für die Gesundheit.
Erst wenn das Immunsystem durch eine Erkrankung oder eine Wunde – etwa nach einer Operation – geschwächt ist, kann das Bakterium für den Träger zur Gefahr werden: Gängige Antibiotika, die die Ausbreitung problematischer Keime eindämmen, verlieren gegen MRSA häufig ihre Wirkung.
Durch den nahezu inflationären Gebrauch dieser Medikamente lernte das Bakterium den Gegenspieler zu tolerieren - eine Entwicklung, die Forscher in aller Welt vor eine grosse Herausforderung stellt. Diese wurde unter anderem von Wissenschaftlern des Albert Einstein College für Medizin in New York angenommen: Ihnen gelang es, ein Antibiotikum zu entwickeln, das zumindest im Versuch bei Bakterien keine Resistenzen hervorrief.
Spitalinfektionen bei Kindern verzehnfacht
Dass MRSA zunehmend zum Problem wird, zeigt eine am Montag im Fachmagazin «Pediatrics» veröffentlichten amerikanischen Studie unter der Leitung von Jason Newland. Der Arzt für Infektiologie am Mercy Kinderspital in Kanasas City analysierte die durch MRSA hervorgerufenen Infektionen bei Kindern in den USA – mit erschreckendem Ergebnis: Seiner Untersuchungen zufolge hat sich diese Zahl seit 1999 verzehnfacht. Betraf es damals nur zwei Infektionsfälle pro 1000 der behandelten Kinder, sind es heute bereits 21.
Warum die Resistenzen gerade in Amerika stark zunehmen, liegt vor allem am unbesorgten Umgang mit Antibiotika: «Solche Medikamente sind in der Schweiz verschreibungspflichtig. In anderen Ländern werden sie von Ärzten entweder leichtfertig abgeben oder sind sogar rezeptfrei erhältlich», kritisiert Christian Ruef, Infektiologe und Leiter der Spitalhygiene im Universitätsspital Zürich. Um die besorgniserregende Entwicklung nicht noch voranzutreiben, rät der Experte deshalb unbedingt von einer Behandlung in Eigenregie ab.
Doch auch in der Schweiz muss man sich diesem mikroskopisch kleinen Gegner stellen. Bis zu 2000 Menschen sollen jährlich an den Folgen von Spitalkeimen sterben – so eine 2005 durch Swissnoso (Prävention der nosokomialen Infektionen im Schweizer Gesundheitswesen) publizierte Schätzung. Eine kaum überprüfbare Aussage, denn ein auf nationaler oder kantonaler Ebene geführtes Meldesystem für MRSA-Fälle gibt es in der Schweiz nicht.
Das mache laut Gerhard Eich, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Spitalhygiene, auch überhaupt keinen Sinn, da sich ein Befall jederzeit spontan wieder zurückbilden könne. Auch eine Behandlung mit Hilfe von Nasensalben und anderen Massnahmen (der Erreger tritt vermehrt in der Nase und auf der Haut auf) kann zu einem Verschwinden des Keims führen. Diese dynamischen Verläufe liessen sich kaum empirisch festhalten.
Ausländische Patienten müssen in Quarantäne
Trotzdem setzt der Infektiologe und leitende Arzt für Spitalhygiene am Zürcher Triemli-Spital auf ein internes Sicherheitskonzept: Wird eine MRSA-Infektion bei einem Patienten festgestellt, wird er nur noch von einer überschaubaren Anzahl Mediziner und Pfleger betreut. Kommt es zu einer Überweisung an eine andere Institution, erfolgt gleichzeitig eine Information darüber, dass der Patient Träger des Keims ist. Im Triemli-Spital wurden laut Eich im vergangenen Jahr 18 Personen wegen eines MRSA-Nachweises isoliert.
Da die Zahl der Spitalinfektionen in anderen Ländern viel grösser ist als bei uns, besteht das Triemli-Spital auf eine Isolierung von Patienten mit offenen Wunden, die zuvor in einem ausländischen Spital versorgt wurden. In Deutschland zum Beispiel sterben jährlich bis zu 40 000 Menschen an den Folgen einer MRSA-Infektion – einige deutsche Ärzte lassen sich deshalb nicht mehr in ihrem eigenen Land operieren.
Penible Hygiene rettet Menschenleben
Lässt sich der Verbreitung der Keime, die für geschwächte oder verwundete Personen gefährlich werden können, überhaupt beikommen?
Der beste Schutz vor einer Infektion mit Spitalkeimen ist und bleibt Hygiene. Naturgemäss kommen Ärzte und Pflegepersonal in Spitälern mit besonders vielen Patienten in Kontakt. Ohne die Desinfektion der Hände oder Geräte wie Blutdruckmesser und Stethoskop (zur Überprüfung der Herztätigkeit) nach jedem Patientenkontakt, kann sich das hochansteckende MRSA-Bakterium ungehindert verbreiten.
Mit der Gefahr einer Wundinfektion muss der Patient also nicht nur während, sondern auch nach einem Eingriff rechnen. Doch nicht nur die Neubesiedelung mit dem Bakterium wird zum Problem: Ist der Patient bereits Träger des Bakteriums, kann er an seinen eigenen – bislang für ihn ungefährlichen – Keimen erkranken.
Die Suche nach den richtigen Antibiotika
Ist es erst einmal zu einer Infektion mit multiresistenten Keimen gekommen, muss ein noch wirksames Medikament gefunden werden: «Es gibt Antibiotika, mit denen MRSA-Infektionen behandelt werden können», weiss Eich. Um herauszufinden, welches Medikament überhaupt noch anschlägt, wird ein Abstrich des Patienten im Labor analysiert. Durch die Untersuchung findet der Mikrobiologe heraus, welche Antibiotika auf den Keim reagieren und verschreibt daraufhin die richtige Arznei.
Doch wieso kommt es trotz dieser Therapiemöglichkeit überhaupt zu MRSA-bedingten Todesfällen in der Schweiz? «Wir behandeln immer kränkere Menschen», erläutert Eich und ergänzt: «Bei Verkehrsunfällen kommen heute dank dem immer effizienteren Rettungssystem Unfallopfer ins Spital, die früher auf dem Unfallplatz verstorben wären. Krebserkrankungen werden mit immer wirksameren Methoden behandelt. Diese Behandlungen schwächen aber vorübergehend das Immunsystem des Patienten sehr – er wird äusserst infektanfällig», meint der Experte.
Somit sei die Zahl der Spitalinfektionen und damit gleichzeitig die Zahl der Patienten, die an diesen Infektionen sterben, eine Folge unserer ständig fortschreitenden medizinischen Möglichkeiten. Für diese Patienten bleibt Eich zufolge nur ein wirklich verlässlicher Schutz: die Hygiene. «Daran arbeiten wir intensiv», sagt er. Ein Versprechen, dessen Einhaltung zukünftig viele Menschen vor dem sicheren Tod bewahren kann.
Haben Sie schon einmal eine Spitalinfektion durchlebt? Mailen Sie Ihre Erfahrungen an community@20minuten.ch.
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MRSA:
Der Methicillin resistente Staphylococcus aureus (MRSA) ist eine Variante des Bakteriums Staphylococcus aureus. Ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung tragen diesen Keim in der Nase und auf der Haut. Für gesunde Menschen ist MRSA harmlos. Gefährlich kann MRSA aber für Personen werden, die von Natur aus über ein geschwächtes Immunsystem verfügen, ein Immunsuppressivum einnehmen (ein Medikament zur Dämpfung des Immunsystems - damit werden Transplantationspatienten, oder aber Personen mit Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder Lupus behandelt), durch eine Operation geschwächt sind und eine grössere Wunde haben. Bei ihnen kann sich MRSA-bedingt ein Geschwür bilden auch Blutvergiftungen und Lungenentzündungen können auftreten. Letztere sind allerdings selten.
Das Problem: Einige der Staphylococcus aureus sind unempfindlich oder immun gegen das Antibiotikum Methicillin und gegen die meisten anderen Antibiotika. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, dass der spezielle MRSA-Stamm eine besondere Gefährlichkeit (Virulenz) besitzt und zu einer lebensbedrohlichen Infektion führt. Diese hoch virulenten MRSA (CA-MRSA) machen aber momentan unter zwei Prozent aller MRSA-Nachweise aus.
Quelle: «mrsa-net.nl»