Vermisste Zwillinge«Der Vater war fröhlich und gesellig»
Kurz vor seinem Tod ass Matthias S. bei Neapel eine Pizza - alleine. «Er wirkte normal», sagt der Chef der Pizzeria. Von Alessia und Livia aber fehlt jede Spur.
Ferdinando Trotta kann es noch immer nicht glauben: «Matthias S. ass seine letzte Mahlzeit bei mir», sagte der Geschäftsführer einer Pizzeria in Vietri sul Mare in der Zeitung «Le Matin». Bevor sich der Vater der beiden vermissten Mädchen Alessia und Livia um 23 Uhr in Cerignola vor den Zug warf, gönnte er sich zum Mittagessen ein ausgiebiges Mahl. «Er wirkte wie ein gewöhnlicher Kunde», sagt Trotta, «ich hätte nicht gedacht, dass er solche Schlagzeilen macht.»
Matthias S. sei gegen 13.20 Uhr gekommen. «Er war allein – ohne die Mädchen», sagt Trotta. Er habe gefragt, ob er noch eine Pizza bekomme. «Das Restaurant war halb voll. Ich gab ihm deshalb einen Tisch im ersten Stock», so Trotta weiter. Matthias S. wirkte weder gestresst, noch benahm er sich komisch. Im Gegenteil: «Er war zwar sehr ruhig, aber auch fröhlich und gesellig», sagt der Chef der Pizzeria. Der 44-Jährige habe sich Zeit gelassen. Er bestellte als Vorspeise einen Antipasti-Teller mit Salami und Schinken, eine Pizza Capricciosa, ein Dessert und zum Abschluss gönnte er sich einen Amaretto.
«Er schaute die Kinder am Nachbartisch nicht an»
«Er nahm auch eine Flasche Wasser – alles für 27,50 Euro», so Trotta weiter. Er habe grossen Appetit gehabt, danach sei man ins Gespräch gekommen. «Er sagte, die Pizza sei exzellent gewesen und wir unterhielten uns über ein Bild an der Wand.» Nur eines ist dem Pizzeria-Chef komisch vorgekommen am Mann in Jeans und Hemd. «Er sah die Kinder am benachbarten Tisch weder an, noch spielte er mit ihnen.» Er achtete aber nicht weiter darauf, doch als Trotta am nächsten Abend das Bild von Matthias S. in der Nachrichtensendung sah, gefror ihm das Blut in den Adern.
«Ich rief sofort die Polizei an. Ich war mir absolut sicher: Das ist mein Kunde», so Trotta. Er habe sich Sorgen um dessen beide Kinder gemacht. «Ich hoffte, dass sie durch den Hinweis die Mädchen finden», so der Pizzeria-Chef. Die Polizei kam am Sonntag mit Spürhunden vorbei und nahm die Fährte auf, von den Zwillingen aber fehlt weiterhin jede Spur. Obwohl es zurzeit noch keine Beweise gibt, dass sich die beiden Mädchen in Italien befinden, sucht die Polizei intensiv rund um Cerignola bei Bari nach den verschwundenen Mädchen, schreibt die Italienische Nachrichtenagentur ANSA. Neue Hoffnung schöpfte die Familie durch einen Hinweis aus Mailand.
Hoffnungsschimmer aus Mailand erblasst
Keine 24 Stunden nach dem Tod von Vater Matthias S. in Cerignola sollen die beiden Mädchen bei Mailand gesehen worden sein. «Alessia und Livia sind in Monza gesehen worden», sagte der Bruder der Mutter am Sonntag im Westschweizer Fernsehen. Die Kantonspolizei Waadt liess die Hoffnung allerdings kleiner werden. «Es gibt keine Belege, dass sie gesichtet wurden», sagt ein Sprecher zu 20 Minuten Online.
Auch die Polizei in Marseille tappt weiterhin im Dunkeln: «Wir arbeiten mit Hochdruck an der Aufklärung des Falls, er hat für uns höchste Priorität», so die zuständige Sprecherin. Man sei beispielsweise daran, alle vorhandenen Videoaufnahmen von den Häfen in Marseille und dem korsischen Propriano zu sichten. Die Mutter von Alessia und Livia gibt die Hoffnung nicht auf, wie sie sagt: «Ich bin mir sicher, dass Matthias ihnen nichts angetan hat.» (fum/amc/sda)
Chronologie
30. Januar - St. Sulpice: Matthias S. verschwindet mit den Zwillingen Richtung Marseille.
30. Januar Annecy: S. telefoniert zum letzten Mal mit seiner Frau.
31. Januar Marseille: S. kauft drei Tickets für die Fähre nach Korsika.
Der Vater fährt mit Alessia und Livia um 18.35 Uhr auf die Fähre.
1. Februar Propriano: Die Fähre kommt um 6.30 Uhr an. Der Vater fährt mit seinem Auto von der Fähre, die Mädchen werden nicht gesichtet.
2. Februar St. Sulpice: Die Mutter erhält eine Postkarte vom Vater. Aufgegeben wurde sie nach ersten Erkenntnissen am Montag in Toulon.
3. Februar Neapel/Cerignola: Matthias S. betritt um 13.20 Uhr eine Pizzeria. Er bestellt ein üppiges Mal, wirkt normal und hat grossen Appetit. Knapp 12 Stunden später wirft er sich in Cerignola bei Bari vor einen Zug.