SteuerskandalDer zweite Absturz des Uli Hoeness
Eine Steueraffäre bringt Uli Hoeness in Bedrängnis. Doch der Bayern-Präsident will kämpfen: Wer einen Flugzeugabsturz überlebt, den haut so schnell nichts um.

Das Wrack der Piper Seneca, die am 17. Februar 1982 im Landeanflug auf den Flughafen Hannover abgestürzt war. Uli Hoeness überlebte als einziger der vier Insassen.
Am Abend des 17. Februar 1982 machte der Förster Karl-Heinz Deppe eine Kontrollfahrt im Heitlinger Moor unweit des Flughafens Hannover. Plötzlich sah er etwas durch ein Gebüsch kriechen. Als Deppe sich näherte, stellte er zu seinem Entsetzen fest, dass es kein Tier war, sondern ein blutüberströmter Mensch mit zerfetzten Kleidern, der offensichtlich unter Schock stand. Trotz Dunkelheit erkannte der Förster ihn sofort: Es war Uli Hoeness, ehemaliger Fussballprofi und Manager des FC Bayern München. «Mir ist kalt. Ich friere», stammelte dieser.
Hoeness war an jenem Abend mit drei Freunden mit einer Piper Seneca von München nach Hannover zum Länderspiel zwischen Deutschland und Portugal geflogen. Im Landeanflug stürzte das Flugzeug, das vom ehemaligen Skirennfahrer Wolfgang Junginger pilotiert wurde, aus ungeklärten Gründen ab. Uli Hoeness schlief zu jenem Zeitpunkt im hinteren Teil der Maschine, er hat bis heute keine Erinnerungen an den Absturz. Während seine Freunde ums Leben kamen, erlitt Hoeness nur leichte Verletzungen. Als Einziger war er «nicht im Sarg zurückgekommen», heisst es in einem Buch über den FC Bayern von 2006.
Gegen Barcelona im Stadion
Diese Episode ist vielleicht der Schlüssel zur Persönlichkeit von Ulrich «Uli» Hoeness. Wer einen Flugzeugabsturz überlebt, fühlt sich unverwundbar. Dies mag erklären, warum der 61-Jährige glaubte, mit den unversteuerten Erträgen auf seinem Konto bei der Bank Vontobel ungeschoren davonzukommen. Warum er sich erst selbst anzeigte, als er eine Strafverfolgung befürchten musste. Und warum er sich nun kämpferisch gibt, obwohl selbst bürgerliche Medien ihn als moralisch erledigt bezeichnen und Bundeskanzlerin Angela Merkel über ihren Sprecher ausrichten liess, sie sei von Uli Hoeness enttäuscht. Laut einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» befindet sich Hoeness nur deshalb auf freiem Fuss, weil er eine Kaution von fünf Millionen Euro gezahlt hat.
Hoeness aber will als Präsident des FC Bayern München nicht zurücktreten. Am Montag kündigte er rechtliche Schritte «gegen die Exzesse in einigen Berichterstattungen» an. Und heute will er am Abend in der Allianz Arena erscheinen, zum Halbfinal der Champions League zwischen «seinen» Bayern und Barcelona. Es ist die Begegnung des Jahres, ein vorweggenommener Final zwischen den derzeit wohl besten Vereinen Europas: Hier die Münchner, denen in dieser Saison einfach alles zu gelingen scheint, dort die überragende Fussballmannschaft der letzten Jahre, die zuletzt nicht mehr unwiderstehlich wirkte.
Jeden grossen Titel gewonnen
Dass der FC Bayern München in dieser Position ist, hat er einem Mann zu verdanken: Uli Hoeness. Eine Bemerkung in einem Fernsehinterview sagt eigentlich alles aus: «Ohne den FC Bayern wäre ich nicht das, was ich heute bin. Und ohne mich wäre der FC Bayern nicht das, was er heute ist.» Uli Hoeness stammt aus bescheidenen Verhältnissen, er wurde am 5. Januar 1952 in Ulm als Sohn eines Metzgers geboren. Konservative Werte prägten ihn. Vom Internet hält er wenig, angeblich besitzt er bis heute keine E-Mail-Adresse. Wie sein jüngerer Bruder Dieter wurde er erst Fussballprofi und dann Manager – nur um einiges erfolgreicher. Es gibt keinen bedeutenden Titel, den Uli Hoeness in seiner Karriere nicht gewonnen hat.
Als Spieler wurde er mit Deutschland 1972 Europa- und 1974 Weltmeister. Er stand im Olympiateam 1972 in München, zusammen mit einem gewissen Ottmar Hitzfeld, der später der erfolgreichste Trainer der Manager-Ära Hoeness werden sollte. Seinen grössten Flop produzierte er im EM-Final 1976 gegen die Tschechoslowakei, als er im Penaltyschiessen den Ball über die Latte drosch. Mit den Bayern gewann er von 1974 bis 1976 dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister, aus dem die Champions League hervorging. Eine schwere Knieverletzung beendet seine Karriere 1979 mit erst 27 Jahren.
Finanziell gesund und familiär
Der Wechsel ins Management erfolgte nahtlos, und hier vollbrachte Uli Hoeness sein wahres Meisterstück. Aus einem bereits sehr erfolgreichen Klub machte er einen wirtschaftlich hochpotenten, finanziell kerngesunden Verein – obwohl die Fernsehgelder in der Bundesliga noch immer weniger üppig fliessen als in England oder Spanien. Ein Teil der Erfolgs liegt im Merchandising, das Hoeness aus den USA importierte und zur Perfektion entwickelte. Und in der Nachwuchsarbeit. Holger Badstuber, Thomas Müller und Bastian Schweinsteiger sind drei «Eigengewächse», die es bis ins Nationalteam gebracht haben.
Der FC Bayern wurde in der Ära Hoeness zum FC Hollywood, der immer für eine Posse gut ist. Gleichzeitig herrschen im Hauptquartier an der Säbener Strasse in München sehr familiäre Verhältnisse. Nicht umsonst fühlt sich ein supersensibler Spieler wie Franck Ribéry hier ausgesprochen wohl. Darin zeigt sich die menschliche, soziale Seite von Uli Hoeness: Er gab seinem alten Kumpel Gerd Müller einen Job als Juniorentrainer, als der «Bomber» nach seiner Aktivkarriere im Alkohol versackt war. Er kümmerte sich um Sebastian Deisler, der an Depressionen litt, und stand Ribéry während seiner Prostituierten-Affäre bei.
Selbst Konkurrenten profitierten von der fürsorglichen Seite des Uli Hoeness, der seit 2010 als Nachfolger von Franz Beckenbauer Präsident des FC Bayern ist. Klamme Vereine wie der FC St. Pauli erhielten Solidaritätsspiele gegen die Münchner, und als Borussia Dortmund vor einigen Jahren finanziell so gut wie bankrott war, half der Bayern-Boss mit einem Kredit über zwei Millionen Euro. Auch in eigener Sache kann Uli Hoeness kann gut rechnen: 1985 gründete der Metzgersohn mit einem Kompagnon eine Wurstfabrik in Nürnberg. Sie beliefert den Grossverteiler Aldi und kreierte zusammen mit McDonald's den «Nürnburger».
Die Affäre Daum
Mediale Tiefschläge gab es für Hoeness, der seit 30 Jahren verheiratet ist und zwei Kinder hat – Sohn Florian leitet heute die Wurstfabrik – vor der Steueraffäre nur selten. Für Schlagzeilen sorgte seine Affäre mit einer Stewardess, am heftigsten unter Druck aber kam er im Herbst 2000, als er den designierten Bundestrainer Christoph Daum indirekt als Kokainschnupfer outete. Uli Hoeness sah sich massiven Anfeindungen ausgesetzt, sogar Freunde wie Paul Breitner gingen auf Distanz. Bis Christoph Daum in seiner Verblendung einer Haarprobe zustimmte. Sie fiel positiv aus. Daum war erledigt und Hoeness rehabilitiert.
Wer einen Flugzeugabsturz überlebt, den haut so schnell nichts um. Ohnehin befindet sich Hoeness bei Bayern München in einer sehr starken Position. «Er kann sich im Grunde nur selbst stürzen», schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Und er hat viele einflussreiche Freunde, die auch jetzt zu ihm halten. Wirklich entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Steuerkontroverse aber dürfte nach Ansicht der «Berliner Zeitung» die Reaktion der Fans heute gegen Barça haben. Werden sie «dem Übervater ihres Vereins mit einem kräftigen Applaus, vielleicht sogar mit stehenden Ovationen die Absolution erteilen?» Angesichts der Verdienste von Uli Hoeness ist dies mehr als nur vorstellbar.