Deutschland droht der Superstreik
Im Tarifkonflikt bei der Bahn dürfen die Lokführer jetzt auch den Fern- und Güterverkehr bestreiken. Ein solcher Streik würde ganze Wirtschaftszweige lahmlegen und pro Tag rund 50 Millionen Euro kosten.
Das Landesarbeitsgericht in Chemnitz hob am Freitag ein entsprechendes Verbot auf. «Das ist ein grosser Tag für die GDL», sagte Gewerkschaftschef Manfred Schell und forderte von der Bahn ein tragfähiges Angebot mit einem eigenen Tarifvertrag für die Lokführer. Bis mindestens einschliesslich Sonntag will die GDL auf neue Streiks verzichten. Sollte es dann zu Arbeitsniederlegungen kommen, werde man den Nahverkehr zunächst verschonen.
Richter Werner Leschinger begründete das Urteil damit, dass eine Beschränkung des im Grundgesetz verbrieften Streikrechts nicht zulässig sei. Die Wahl der Kampfmittel sei dabei den Tarifparteien selbst überlassen. Eine Ausweitung der Streiks sei per se nicht unverhältnismässig. In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht am 5. Oktober Streiks lediglich im S-Bahn- und Regionalverkehr erlaubt.
«Wir haben einen langen und schweren Kampf hinter uns», sagte Schell. Über Streikmassnahmen habe man noch nicht entschieden. Von der Bahn forderte er ein tragfähiges Angebot auf Basis des Moderatorenvertrags mit einem eigenständigen Tarifvertrag, in dem die Arbeitszeit und die Bezahlung geregelt seien. In der kommenden Woche solle die Bahn etwas ankündigen, sagte Schell.
Die Bahn äusserte sich enttäuscht über das Urteil. «Das ist kein guter Tag für unsere Kunden», sagte Bahnsprecher Werner Bayreuther. Man rechne mit erheblichen Beeinträchtigungen im Güter-, aber auch im Personenverkehr. Das Urteil werde die Bahn sorgfältig prüfen, eine Lösung des Konflikt könne es aber nur am Verhandlungstisch geben.
Der Bahn-Vorstand prüfe nun den Gang vor das Bundesverfassungsgericht, sagte Personalvorstand Margret Suckale in Berlin. Ein neues Angebot werde es eher nicht geben. Auch ein eigenständiger Tarifvertrag für die Lokführer komme nicht in Frage. Zugleich warnte sie vor den Folgen eines Streiks im Güterverkehr: «Dass die Wirtschaft so einen Streik sehr schwer verkraftet, haben inzwischen viele gemerkt.»
Industrie warnt Lokführer vor Streiks
Die Industrie hat die Lokführer eindringlich vor einem Dauerstreik im Güterverkehr gewarnt. «Eine Ausdehnung des Lokführerstreiks auf den Güterverkehr kann zu erheblichen Schäden in der Wirtschaft führen», sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen Thumann, der «Thüringer Allgemeinen» (Samstagausgabe). Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) würde ein solcher Streik die Volkswirtschaft bis zu 50 Millionen Euro pro Tag kosten.
Für viele Unternehmen sei ein reibungsloser Güterverkehr unverzichtbar, sagte Thumann und forderte eine rasche Einigung in dem seit Monaten andauernden Tarifkonflikt: «Im Interesse unserer Wirtschaft brauchen wir jetzt eine schnelle, aber auch vertretbare Lösung». Laut DIW wäre der Fahrzeugbau, die Stahlindustrie und die Versorgung mit fossilen Brennstoffen betroffen. (dapd)