Tinner-ProzessDie Affäre um die Tinners im Zeitraffer
Der Fall Tinner beschäftigt die Schweiz seit über sechs Jahren. In der ganzen Affäre die Übersicht zu behalten, ist nicht ganz einfach. Lesen Sie deshalb hier die Affäre um die Tinners im Zeitraffer.
Die Affäre Tinner beschäftigt Politik, Gerichte und Öffentlichkeit seit über sechs Jahren. Die Schweizer Ingenieure werden des Atomschmuggels verdächtigt, der Bundesrat der Aktenvernichtung auf Druck der USA. Hier die wichtigsten Etappen:
Ab Ende der 1970er-Jahre: Der Schweizer Friedrich Tinner und seine Söhne Urs und Marco arbeiten für das Netzwerk von Abdul Qader (Qadir, Qadeer) Khan, «Vater» der pakistanischen Atombombe. Dieses liefert illegal Atomtechnologie an Iran, Libyen und Nordkorea. Manager des Netzwerkes ist der Sri Lanker Buhary Sayed Abu Tahir.
1. April 1998: In der Schweiz tritt ein neues Kriegsmaterialgesetz in Kraft. Lieferungen für Komponenten für die Anreicherung von waffenfähigem Uran werden damit gesetzlich verboten.
Mai 1998: Pakistan zündet seine erste Atombombe.
Juni 2003: Die Tinners beginnen, mit dem US-Geheimdienst CIA zusammenzuarbeiten und informieren diesen über die Geschäfte.
Ende 2003/Anfang 2004: Nach dem Auffliegen einer Lieferung von nuklear-technischem Material an Libyen stellt das nordafrikanische Land sein Atomwaffenprogramm ein, Khan gibt öffentlich den Atomschmuggel zu.
Oktober 2004 bis September 2005: Die Tinners und andere Mitarbeiter von Khans Beschaffungsnetz werden verhaftet - wegen Verstössen gegen das Güterkontroll- oder Kriegsmaterialgesetz.
2006: Friedrich Tinner wird aus der Haft entlassen. Die USA ignorieren Rechtshilfegesuche aus der Schweiz in der Affäre Tinner.
Juli 2007: Bundesrat Christoph Blocher bespricht in Washington mit US-Justizminister Alberto Gonzales die Tinner-Affäre.
27. August 2007: Der Bundesrat lehnt eine Ausweitung der Strafverfolgung der Tinners auf den Bereich Spionage ab. Dies geschieht offenbar auf Drängen der USA, die vermeiden wollen, dass bei einem Strafverfahren die Zusammenarbeit des CIA mit den Tinners aufgedeckt würde.
14. November 2007: Der Bundesrat beschliesst per Notrecht, insgeheim den grössten Teil der Atomschmuggel-Akten zu vernichten, darunter Baupläne für Atomwaffen, Gaszentrifugen und Lenkwaffensysteme.
März bis Mai 2008: Die Aktenvernichtung wird publik. Die Bundesräte Couchepin, Schmid und Blocher verteidigen die Aktion: Sie sei in Absprache mit der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) erfolgt. Die Dokumente hätten ein Sicherheitsrisiko dargestellt.
8. August 2008: Die Bundesanwaltschaft erklärt, der Bundesrat habe die Vernichtung der Tinner-Akten auf Druck der USA angeordnet.
Dez. 2008/Jan. 2009: Urs und Marco Tinner werden nach gut vier Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen.
22. Januar 2009: Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) bezeichnet die Aktenvernichtung als unverhältnismässig.
1. April 2009: Überraschend tauchen Kopien der Tinner-Akten im Archiv der Bundesanwaltschaft auf, die der Schredder-Aktion des Bundesrates entgangen waren.
24./30. Juni 2009: Der Bundesrat beschliesst, die Tinner-Akten den Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen - ausser den Dokumenten mit Atombombendesign. Damit entbrennt ein Streit mit der GPDel und den Justizbehörden, die Einsicht in alle Akten verlangen.
9. Juli 2009: Das Untersuchungsrichteramt URA lässt einen Tresor beschlagnahmen, der die Schlüssel zu den Aktenschränken mit den Tinner-Akten enthält.
30. Aug. 2009: Das Bundesstrafgericht erlaubt dem URA die Sichtung und Durchsuchung der Akten, allerdings nur «soweit sie ihm vom Bundesrat zugänglich gemacht werden». Gemäss dem zuständigen Eidg. Untersuchungsrichter Andreas Müller hatte er danach auch Zugang zu den sensiblen Akten, jedoch war es ihm weder erlaubt diese mitzunehmen noch Kopien zu erstellen. Einzig handschriftliche Notizen waren möglich.
28. Jan. 2010: Das Bundesgericht stützt den Bundesrat: Das URA kann nur beschränkt auf die vom Bundesrat unter Verschluss gehaltenen Tinner-Akten zugreifen.
22. Dez. 2010: Der US-Atomwaffenexperte David Albright wirft dem CIA vor, zusammen mit der Bush-Regierung versucht zu haben, ein Strafverfahren gegen die Tinners zu verhindern. Die Schweiz habe die Tinners jahrelang gewähren lassen.
23. Dez. 2010: Der Eidg. Untersuchungsrichter Andreas Müller beantragt Anklageerhebung gegen die Tinners.
13. Dez. 2011: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Tinners. Dabei einigt sie sich mit Friedrich Tinner und dessen Söhnen Marco und Urs auf eine Anklage und ein Strafmass. Das Bundesstrafgericht muss über den im abgekürzten Verfahren getroffenen Handel befinden.
30. Mai 2012: Der auf Ende Mai anberaumte Prozess wird verschoben.
18. Sept. 2012: Das Bundesstrafgericht veröffentlicht die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Den drei Tinners soll ein erneuter Gang ins Gefängnis erspart bleiben. Beantragt werden 50 respektive 41 Monate Freiheitsstrafe für die Söhne Urs und Marco Tinner sowie 24 Monate bedingt für Vater Friedrich Tinner. Da die Söhne bereits im Untersuchungshaft waren, haben sie die beantragen Strafen schon abgesessen.
24. Sept. 2012: Der Prozess gegen Tinners am Bundesstrafgericht Bellinzona beginnt. Das Gericht wird über die im abgekürzten Verfahren erhobene Anklage verhandeln.
25. Sept. 2012: Das Bundesstrafgericht in Bellinzona zieht einen juristischen Schlussstrich unter die Affäre. Es hat den massgeschneiderten Deal zwischen den Tinners und der Bundesanwaltschaft abgesegnet und die beantragten Strafen bestätigt. Sowohl Vater Friedrich als auch seine beiden Söhne Urs und Marco bleiben damit auf freiem Fuss, da die Söhne die Strafen bereits abgesessen haben und jene des Vaters eine bedingte war. (sda)