OrganspendenDie Angehörigen entscheiden weiterhin, ob Organe entnommen werden
Der Kampf um das neue Transplantationsgesetz geht los. Es ist umstritten, ob damit überhaupt mehr Organe gespendet würden.
Darum gehts
Am 15. Mai stimmen wir über drei Vorlagen ab, unter anderem über eine Änderung des Transplantationsgesetzes. Künftig sollen einer verstorbenen Person die Organe auch dann entnommen werden können, wenn sie einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Man ginge künftig von einer stillschweigenden Zustimmung aus, wenn die Angehörigen nicht wissen oder nicht vermuten, dass der Verstorbene die Organspende ausdrücklich abgelehnt hat.
Sechs Wochen vor dem Urnengang hat der Abstimmungskampf begonnen. Am Montag lancierten die Befürworter ihre Kampagne, am Dienstag treten die Gegner vor die Medien. Beide Komitees präsentieren Politikerinnen und Politiker von SP bis SVP. Das Referendum wurde allerdings von einem Arzt und einer Hebamme im Alleingang ergriffen und wird nun von SVP, EVP und EDU unterstützt.
Befürworter erwarten mehr Spenden
Bei einer erweiterten Widerspruchslösung, wie Bundesrat und Parlament sie in der Schweiz einführen wollen, rechnen die Befürworter mit einer Verdoppelung der Organspenden. Heute seien es rund 150 pro Jahr, künftig würden es gegen 300 sein, sagt Franz Immer, Herzchirurg und Direktor der Stiftung Swisstransplant. Bei 700 Todesfällen wäre eine Organentnahme theoretisch möglich.
Franz Immer erwartet, dass die Bereitschaft zur Organspende mit dem neuen Gesetz stark steigen wird. Heute sind in der Schweiz laut offiziellen Zahlen rund 40 Prozent der Bevölkerung bereit, ihre Organe zu spenden – entweder explizit mit einer Registrierung im Spende-Register, mit einer Spender-Karte im Portmonnaie, oder aber auch durch Aussagen gegenüber Angehörigen.
Künftig werde diese Bereitschaft 60 bis 70 Prozent betragen, schätzt Franz Immer. In Frankreich beträgt die Spendenbereitschaft 75 Prozent, in Spanien sogar 85 Prozent. Frankreich sei das Vorbild der Schweiz, sagt Franz Immer. Eine Steigerung der Spendenbereitschaft auf gegen 70 Prozent «wäre denkbar». Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Schweiz ihre Strukturen jenen von Frankreich und Spanien angepasst habe: Heute wird geschultes Personal eingestellt, welches mögliche Spender aufspürt und dafür sorgt, dass die Frage nach einer Organspende gestellt wird.
Gegner glauben, es bleibe alles beim Alten
Die Gegner glauben hingegen nicht, dass sich etwas ändern wird mit dem neuen Gesetz. «Ich denke, es passiert nicht viel», sagt Alex Frei, pensionierter Arzt in Winterthur und Initiant des Referendums. «Man muss wissen: Wenn die Angehörigen nicht einverstanden sind mit der Organentnahme, dann werden in keinem europäischen Land Organe entnommen. Auch in der Schweiz nicht. Kein Team entnimmt Organe gegen den Willen der Angehörigen, weder jetzt noch in Zukunft. Das hat auch der Bundesrat in der Botschaft festgehalten.»
Dennoch kämpft Alex Frei gegen das Gesetz. Er hat generell Bedenken betreffend Organentnahme. «Es ist unmenschlich, dass man die Angehörigen in so einer Situation überhaupt zu einem Entscheid zwingt, die sind in einem Schockzustand.» Zudem sei die Organentnahme ein Eingriff in den Sterbeprozess. «Sie findet laut Gesetz nach dem Tod statt – biologisch gesehen aber vor dem Tod.»
Was die Spendenbereitschaft in der Schweiz betrifft, glaubt Alex Frei den offiziellen Zahlen nicht. Die Behörden gehen davon aus, dass rund 80 Prozent der Bevölkerung grundsätzlich zur Organspende bereit wären, die meisten dies jedoch nicht äussern oder explizit festhalten. «Es ist schnell Ja gesagt in einer Strassenumfrage. Aber im Ernstfall sieht es anders aus. Das ist auch der Grund, warum die effektive Spendenbereitschaft geringer ist als der Ja-Anteil in Umfragen.»
Angehörige sind «Auskunftspersonen»
Tatsächlich bliebe die Gesetzeslage betreffend Mitsprache der Angehörigen ungefähr gleich bei einer Annahme des Gesetzes. Heute müssen die Angehörigen gefragt werden, ob man die Organe entnehmen darf, wenn der Wille der verstorbenen Person nicht dokumentiert ist. Die Angehörigen müssen zuerst sagen, ob die verstorbene Person ihren Willen geäussert hat. Falls dies nicht der Fall ist, müssen die Angehörigen entscheiden, wobei sie den mutmasslichen Willen des Verstorbenen beachten müssen.
Dieses Vetorecht hätten Angehörige auch bei einer Annahme des Gesetzes, wie die Botschaft des Bundesrats zeigt. Zunächst hätten die Angehörigen die «Funktion von Auskunftspersonen», heisst es. Sie seien anzufragen, ob aus früheren Gesprächen oder privaten Dokumenten ein Wille bekannt ist. Falls nicht, haben die Angehörigen ein «subsidiäres Widerspruchsrecht»: Innert Frist können sie das Veto einlegen.
Auch der Bundesrat ist deshalb unsicher, ob die Zahl der Organspenden mit dem neuen Gesetz steigt. In der Botschaft zitiert er mehrere Studien und kommt zum Schluss: Es gebe zwar Hinweise, dass eine Widerspruchslösung, wie sie in den meisten Ländern Europas existiert, die Anzahl der Spenden erhöht. Doch einen wissenschaftlichen Beweis für die Kausalität gebe es nicht.