Sabotageakt«Die Angriffe können von U-Booten, Tauchern oder Unterwasser-Drohnen ausgehen»
Gezielte Angriffe auf Gaspipelines in der Ostsee sind laut Experten neu. Angriffe sind auch auf Pipelines denkbar, die in Betrieb sind. Trotzdem sei es extrem schwierig, Europa so vom Gas abzuschneiden.
Darum gehts
Woher kommt das Gas für Europa und die Schweiz?
Norbert Rücker, Energieexperte bei Julius Bär: Die Lecks in Nord Stream 1 haben keine grosse Auswirkungen auf die Gaslieferungen in die EU. Und vor allem: Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die EU nicht so sehr auf russisches Gas angewiesen ist. Die EU und somit auch die Schweiz beziehen ihr Gas vor allem aus Norwegen. Auch aus Grossbritannien, den Niederlanden, Aserbaidschan und Nordafrika kommt Gas nach Südeuropa. Aus den USA und Katar kommt LNG, also verflüssigtes Erdgas.
Wie viel Gas kommt aktuell über Pipelines, die durch die Nordsee verlaufen?
Durch Nord Stream floss kein Gas mehr. Norwegen macht 45 Prozent der Importe aus, LNG knapp 30 Prozent, Russland via die Ukraine über fünf Prozent. Grossbritannien und die Niederlande liefern die restlichen 20 Prozent. Diese Anteile ändern sich monatlich und sehen für Südeuropa anders aus. Woher die Schweiz beliefert wird, kann man nicht genau bestimmen. Gas aus der Nordsee und LNG vermischen sich auf dem Weg zu uns.
Die Saboteure zeigen, dass sie Gaspipelines angreifen können. Was, wenn nun andere Pipelines angegriffen werden?
Die Verwundbarkeit der Gas-Infrastruktur ist schon länger bekannt. Aus Norwegen führen diverse Gasstränge nach Europa. Allerdings scheint dieses Netz aus Pipelines wesentlich komplizierter zu sabotieren als Nord Stream. Und: Willkürliche Unterbrechungen gab es dieses Jahr bereits einige. Man denke beispielsweise an den Ausfall der Nord Stream-Kompressorstation. Die Sabotage diese Woche erscheint da wie das nächste Kapitel.
Marc Finaud, Waffenexperte beim Centre for Security Policy Genf: Es hat weltweit viele Angriffe auf Pipelines gegeben, die von verschiedenen Akteuren und mit unterschiedlichen Motiven verübt wurden. In diesem Fall ist eine Einschüchterung durch Russland wahrscheinlich und kann in Europa Angst verbreiten, da frühere Angriffe die Verwundbarkeit der Infrastruktur gezeigt haben.
Wie wurden solche Sabotageakte durchgeführt und werden nun Gaspipelines gesichert?
Finaud: Die Angriffe können von U-Booten, Tauchern oder Unterwasserdrohnen durchgeführt werden. Eine der Aufgaben der NATO-U-Boote ist bereits die Überwachung der Energieversorgungsleitungen. Sie kann jedoch nicht jeden Punkt eines so grossen Gebietes überwachen. Die Anwesenheit von Nato-Patrouillen und U-Booten dient der Abschreckung und der Verminderung des Risikos eines Angriffs, aber sie können keine hundertprozentige Sicherheit bieten. Russische U-Boote kreuzen seit Jahren in diesen Gebieten.
Könnten Sabotagen die gesamte Gasversorgung nach Europa lahmlegen?
Hier ginge es um einen Anschlag auf das weit gesponnene Pipelinenetz in der Nordsee. Das wäre eine weit kompliziertere Sabotage an diversen Orten, um einen grösseren Unterbruch auszulösen. Lecks lassen sich normalerweise in Wochen, nicht Monaten reparieren. Einen solchen Ausfall könnten die mittlerweile gut gefüllten Lager kompensieren. Nur ganz am Schluss, im Extremfall, würden Rationierungen anstehen. Ein solches Szenario ist eher unwahrscheinlich.
Wenn es trotzdem passiert: Wie lange würde es dauern, bis die Gasspeicher leer wären?
Das hängt vom Schaden an den Pipelines ab. Explodieren die Pipelines in Norwegen und die Reparaturarbeiten dauern mehrere Monate, würden die Füllstände der Gasspeicher drastisch sinken. Dies ist aber unwahrscheinlich, da man dann das Gas aus Nordafrika priorisieren würde.
Also verschärfen die jüngsten Sabotageakte die Gefahr von Versorgungslücken nicht?
Die Sabotage hat nichts an der Versorgungslage geändert. Die Sorgen, dass wir im Winter aufgrund des Gases frieren werden, ist übertrieben und die Politik sollte den Aktionismus herunterschrauben. Wenn uns die Vergangenheit in Energiefragen etwas lehrt, dann, dass überhastete Entscheidungen selten nachhaltig sind.
Glaubst du, dass weitere Gaspipelines sabotiert werden?
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