Bilder aus dem Krieg: «Die Bilder lösen Ekel aus – doch die Arbeit der Journalisten ist wertvoll» 

Aktualisiert

Bilder aus dem Krieg«Die Bilder lösen Ekel aus – doch die Arbeit der Journalisten ist wertvoll»

Journalistinnen und Journalisten sind seit Kriegsbeginn täglich mit schrecklichen Bildern konfrontiert. Notfallpsychologin Anne-Lise Schneider gibt Tipps, um mental bei Gesundheit zu bleiben.

Anne-Lise Schneider ist Notfallpsychologin. Sie sagt, es sei völlig normal, dass Bilder aus dem Krieg beim Betrachtenden oder der Betrachtenden negative Gefühle auslösten. «Doch ihre Arbeit ist wertvoll und nicht bedeutungslos.»
20 Minuten hat genaue Richtlinien erarbeitet, was den Lesenden gezeigt wird und was nicht. Dieses Bild zeigen wir unverpixelt. 
Auch Bilder, auf denen keine blutigen, zerfetzten oder geschändeten Leichen zu sehen sind, zeigen wir. Bevor entschieden werden kann, ob wir etwas zeigen, müssen die Mitarbeitenden sich aber auch jene Bilder anschauen, die grausamere Szenen zeigen. 
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Anne-Lise Schneider ist Notfallpsychologin. Sie sagt, es sei völlig normal, dass Bilder aus dem Krieg beim Betrachtenden oder der Betrachtenden negative Gefühle auslösten. «Doch ihre Arbeit ist wertvoll und nicht bedeutungslos.»

20min/Celia Nogler 

Darum gehts

Schreckliche Bilder und Videos aus dem Krieg machen Journalistinnen und Journalisten zu schaffen – auch auf der Redaktion von 20 Minuten. Notfallpsychologin Anne-Lise Schneider sagt: «Wenn wir solche Bilder betrachten müssen, kann das Wut, Ekel und weitere negative Emotionen auslösen. Das ist völlig normal und auch gesund.» In einem ersten Schritt sei es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass diese Reaktion in Ordnung ist: «Das ist keine normale Situation, der Mensch sollte nicht mit Bildern von Körperteilen und misshandelten Menschen konfrontiert werden.»

Schneider macht einen Vergleich: «Wenn wir ein faules Ei sehen und riechen, reagiert unser Körper auch mit Ekel oder Übelkeit. Ganz ähnlich ist es beim Betrachten solcher Bilder und Videos.» Falsch wäre laut Schneider, wenn wir gar nicht darauf reagieren würden. «Dann wäre etwas nicht normal.»

«Pausen einlegen, Katzenvideos anschauen»

Sind die ersten Gefühle einmal eingeordnet und als normal akzeptiert, fällt der weitere Umgang gemäss Schneider sehr individuell aus: «Ein Kriegsreporter reagiert verständlicherweise anders auf solche Bilder als jemand, der normalerweise Modekolumnen schreibt.» Je mehr sich jemand in seinem Beruf vor Kriegsausbruch mit solchen und ähnlichen Bildern auseinandergesetzt habe, desto grösser sei die Chance, dass er oder sie diese mit einer gewissen Distanz betrachten könne.

Distanz sei generell ein wichtiges Thema: «Wer sich stundenlang solches Material anschauen muss, soll unbedingt Pausen einlegen. Anstatt lange auf den Bildschirm zu starren, kann es helfen, den Blick hin und wieder nach draussen schweifen zu lassen und sich bewusst zu machen: Ich bin in der Schweiz, hier herrscht kein Krieg. Ich kenne diese Menschen nicht und habe nichts mit ihnen zu tun.» Auch regelmässige Pausen, in denen man etwas Schönes oder Niedliches wie ein Video von Katzenbabys betrachtet, können laut Schneider helfen.

«Die Arbeit der Medienschaffenden ist sehr wertvoll»

Auch Gespräche mit Arbeitskolleginnen und -kollegen oder Vertrauenspersonen im persönlichen Umfeld können laut Schneider helfen: «Hier ist es aber wichtig, sich bewusst zu sein, dass nicht alle helfen können. Wenn der Partner oder die Partnerin selber überfordert ist, ist das okay. Dann muss man sich eine andere Person suchen, mit der man darüber sprechen kann.»

Journalistinnen und Journalisten sollten sich laut Schneider ausserdem vor Augen führen, dass ihre Arbeit sehr wertvoll und nicht bedeutungslos ist: «Indem sie es auf sich nehmen, diese Bilder zu betrachten, zu bewerten und über Veröffentlichung oder Nichtveröffentlichung zu entscheiden, fungieren sie als Filter für die Gesellschaft. Und sie können etwas bewirken mit ihrer Berichterstattung: Etwa, indem sie über Sanktionen berichten und die Frage thematisieren, ob die Schweiz diese mittragen soll.»

Wenn alles nichts hilft und die Bilder einen bedrücken, ist laut Schneider professionelle Hilfe angesagt: «Das hat die 20-Minuten-Mitarbeiterin richtig erkannt, es ist zentral, dass man merkt, wenn es nicht mehr geht, und dann Distanz schafft. Ausgebildete Psychologen und Therapeuten können helfen, das Gesehene zu verarbeiten.»

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