«Die Bilder lösten auch Schadenfreude aus»

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Verunfalltes Google-Auto«Die Bilder lösten auch Schadenfreude aus»

Wie lanciert man ein virales Video und führt die Internet-Welt an der Nase herum? Der Art Director von Wirz Werbung verrät Details zu einer Kampagne, die rund um den Globus für Wirbel sorgte.

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dsc

Diesen Sommer machte ein ungewöhnliches Filmdokument im Internet die Runde: Das bei YouTube veröffentlichte Video zeigt das Wrack eines angeblich in der Wüste Indiens gestrandeten Street-View-Autos. Gepostet wurde der Film von Gisela Treichler, Gründerin und Geschäftsführerin des Travel Book Shops in Zürich. Tatsächlich handelt es sich um eine geschickte Werbekampagne für den vor kurzem noch von der Schliessung bedrohten Reisebuchladen. Im Interview nimmt der Art Director von Wirz Werbung, Rob Hartmann, Stellung.

Wie ist Wirz Werbung zu diesem Auftrag gekommen?

Rob Hartmann: Der Travel Book Shop am Rindermarkt in Zürich ist ein kleiner, aber feiner Kunde, der wirtschaftlich vor dem Ende stand. Grösster Konkurrent für die auf Reiseliteratur spezialisierte Nischenbuchhandlung ist das Internet. Dies hat zur Idee der Agentur geführt, mit einer Aktion für den Travel Book Shop das Internet mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

Wie beurteilen Sie den Erfolg der Kampagne?

Die Resonanz ist unerwartet stark ausgefallen, weltweit, aber auch in der Schweiz – das zeigte sich anhand der vielen Seitenaufrufe und Anfragen per Mail und Facebook.

Warum dieses grosse Interesse?

Ich führe das zu einem grossen Teil darauf zurück, dass es in der Welt der Internet-Virals noch nie ein Bild eines «gestrandeten» Street-View-Autos zu sehen gab. Das löste einerseits eine gewisse Schadenfreude aus, andererseits aber auch sehr lebhafte Diskussionen in der Web-Community über die Echtheit bzw. die Entstehung des Videos und der Fotos.

Was waren die grössten Herausforderungen?

Konzeptionell und technisch gesehen: Die Story und ihr Material so zu gestalten und zu perfektionieren, dass sie über einen möglichst langen Zeitraum glaubhaft bleibt. Strategisch und taktisch betrachtet, galt es das «Seeding» im Web so anzulegen, dass möglichst schnell möglichst grosses Aufsehen entsteht und die weltweit ausgelöste Diskussion auch in die Schweiz getragen wird.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Nach einer ausgeklügelten Strategie, die wir nicht im Detail verraten können. Als Ergebnis haben über 3000 Webportale rund um die Welt das Thema aufgegriffen und wiederum hunderttausende Views generiert.

Wie ist die Inhaberin des Reisebuchladens instruiert worden?

Die gebriefte Story lautete, Gisela Treichler hat das Video von einem Kunden via E-Mail erhalten und spontan gefunden: Der Film passt genau zu ihrer Philosophie, dass wahre Abenteuer dort beginnen, wo das Internet aufhört. Indem sie mit dem Hochladen des Materials selber eine Scheinwahrheit in Umlauf brachte, deckt sie gekonnt die Schwächen des zwar alles umfassenden, aber nicht ganz zweifelsfreien Internet-Contents auf.

Wie viele Leute wussten, dass es sich um einen Fake handelt?

Neben Gisela Treichler vom Travel Book Shop und dem Team von Wirz Werbung waren dies die Spezialisten von fluxif.com und die Fotoagentur scheffold.vizner.com.

Haben Sie Google vorgängig informiert?

Dazu bestand kein Anlass.

Warum das?

Wir sind überzeugt, dass auch einige Mitarbeiter bei Google über die Bilder und das Video gestolpert sind und wohl auch etwas schmunzeln mussten. Für Google Insider haben wir einen eindeutigen Beweis im Bild versteckt, dass es sich nicht um ein echtes Google Street View Auto handeln kann.

Was kostet eine Kampagne dieser Grössenordnung?

Der Gegenwert an medialer Resonanz ist schwer zu beziffern, dürfte aber in die Hunderttausende Franken gehen.

Wie viel hat Gisela Treichler für die Kampagne bezahlt?

Die Kampagnenkosten belaufen sich inklusive denn noch folgenden Plakaten auf rund 50 000 Franken. Wobei wir bereits jetzt einen Gegenwert an Medialeistung von mehreren hunderttausend Franken erreicht haben. Bilder und Viral-Movie entstanden auf Reisen des Fototeams und in enger Zusammenarbeit mit den Spezialisten der Bildbearbeitung.

Wer hat die Bilder in Indien gemacht Selbst die Bilder sind nicht in Indien aufgenommen, sondern in der Nähe von Las Vegas, beim Red Rock Canyon.

Muss bei einer solchen Kampagne auch mit negativen Folgen gerechnet werden?

Die Aktion ist vom Start weg auf so viel Zustimmung gestossen, dass eine negative Wirkung ausgeschlossen werden konnte. Zudem bietet die Etikette «David gegen Goliath» viel Sympathiepotenzial.

Wie geht es nun konkret weiter?

Die nächste Phase löst das Rätsel «Echt oder Fake?» auf und belegt dies mit Fotos und Videos zum Making-of. Parallel dazu werden Fotomotive in einer Print- und Posterkampagne für den Travel Book Shop eingesetzt.

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