«Die Corona-Massnahmen des Bundes kommen zu spät»

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Infektiologe«Die Corona-Massnahmen des Bundes kommen zu spät»

Am Mittwoch hat der Bundesrat die Corona-Massnahmen deutlich verschärft. Laut dem Infektiologen Andreas Cerny wäre dies aber bereits deutlich früher nötig gewesen. Er warnt, dass die Gesundheitssysteme bald überlastet sein werden.

An der Medienkonferenz vom Mittwoch verkündete der Bundesrat diverse Verschärfungen der Corona-Massnahmen.

20 Minuten

Darum gehts

Herr Cerny, wie sinnvoll finden Sie die heute beschlossenen Massnahmen?
Andreas Cerny, Infektiologe am Moncucco-Spital in Lugano: Der Bundesrat hat ein gutes Massnahmenpaket ausgearbeitet. Zu begrüssen ist, dass die Regeln bereits um Mitternacht in Kraft treten. Die Einschränkungen hätten aber schon deutlich früher beschlossen werden müssen, es ging wertvolle Zeit verloren. Die neuen Massnahmen sind wohl der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Bund und Kantonen. Es gibt noch Luft nach oben.

Wo sind allenfalls noch strengere Massnahmen nötig?
Die Maskenpflicht an den Schulen wurde heute nur wenig ausgeweitet, obwohl wir bereits einige Corona-Ausbrüche an Primarschulen verzeichnen mussten. Das müssen wir im Auge behalten. Kommt es zu weiteren Ausbrüchen, braucht es zusätzliche Massnahmen.

Lassen sich die Fallzahlen so senken?
Die Massnahmen werden sicher dazu führen, dass die Infektionskurve abflacht. Wie stark, wird sich zeigen. Bereits jetzt lässt sich anhand der Infektionszahlen aber berechnen, dass die Gesundheitssysteme mehrerer Kantone bald überlastet sein werden. Die Priorität ist im Moment, die Kurve der Hospitalisationen und der Belegung der Intensivbetten wieder flach zu biegen. Nur so können wir dafür sorgen, dass alle Corona-Patienten adäquat versorgt werden können. Wir sind in einer Alarmsituation.

Können sich die Kantone jetzt zurücklehnen?
Nein, die Massnahmen des Bundes sind ein Minimalprogramm. Darauf müssen die vom Corona-Ausbruch stark betroffenen Kantone aufbauen und ihre Massnahmen noch verschärfen. Die Einschränkungen setzen nach wie vor stark auf Selbstverantwortung. Es ist zu hoffen, dass die Bevölkerung sich auch ohne Kontrollen und Bussen an die Regeln hält.

Der Tessiner Infektiologe Andreas Cerny.

Der Tessiner Infektiologe Andreas Cerny.

Privat

Reicht die 10-Personen-Regel für private Treffen aus?
Jein, sie ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. In einigen Kantonen braucht es aber schärfere Massnahmen. Wichtig ist, dass die Regel nicht ausgereizt wird. Es sollte sich jetzt niemand mit neun Personen aus neun verschiedenen Haushalten treffen. Dann bringt die 10-Personen-Regel nichts. Idealerweise pflegt jeder nur zu zwei anderen Haushalten Kontakte. Dann sind im Falle einer Ansteckung wenige Personen von der Quarantäne betroffen. Andere Länder haben bereits entsprechende Vorschriften.

Braucht es keinen Lockdown mehr?
Nein. Wir konnten gewisse Lehren aus dem Lockdown im Frühling ziehen. Massnahmen wie die Schliessung aller Geschäfte und auch von Fabriken und Baustellen haben wohl mehr geschadet als genützt. Die neuen Massnahmen setzen dort an, wo viele Ansteckungen passieren, ohne unser Leben zu fest einzuschränken. Wir können noch soziale Kontakte pflegen, arbeiten und ins Restaurant gehen.

Sollte ich jetzt überhaupt noch ins Restaurant und ins Fitnessstudio gehen?
Ich sehe kein Problem dabei, zu viert ins Restaurant zu gehen. Auch vom Training im Fitnesscenter sollte man sich nicht abhalten lassen, wenn das Schutzkonzept rigoros eingehalten wird.

Wird die Bevölkerung diese Massnahmen akzeptieren?
Ich denke schon. Die Bevölkerung sieht den rasanten Anstieg der Fallzahlen und Hospitalisationen. Darum verstehen die Schweizer auch, dass diese Massnahmen jetzt dringend nötig sind. Bis zur zweiten Welle blieb die Pandemie für die Deutschschweizer vor allem Theorie. Jetzt spüren sie diese am eigenen Leib – auch wegen Fällen im eigenen Umfeld. Der Groschen ist gefallen.

Wie lange müssen wir diese Massnahmen beibehalten?
Im Lockdown haben wir nach sechs Wochen zu lockern begonnen. So schnell wird es jetzt wohl nicht gehen. Weil die beschlossenen Massnahmen weniger drastisch sind, werden sie voraussichtlich länger beibehalten. Die jetzigen Einschränkungen werden uns wohl noch bis im Frühling begleiten. Mit der Grippesaison steht uns noch eine Herausforderung bevor.

Die Corona-Massnahmen

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