Die dreistesten Fälle von IV-Betrug

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ObservationsartikelDie dreistesten Fälle von IV-Betrug

Ein IV-Rentner pickelt, ein anderer bestreitet Golfturniere. Dass die Befürworter der Sozialdetektive mit solchen Fällen Abstimmungskampf machen, ärgert die Gegner der Vorlage.

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daw
Das Parlament hat eine neue gesetzliche Grundlage verabschiedet, die Sozialversicherungen  Observationen verdächtiger Versicherter wieder erlauben soll. Befürworter untermauern nun mit einer Sammlung von Missbrauchsfällen, dass Überwachung nötig ist.
Fall 1: Der Golf-Spieler. Seit dem 1. August 2000 bezieht A. wegen Schulter- und Kniebeschwerden nach zwei Unfällen eine IV-Rente. Später sagt er, er befinde sich in psychiatrischer Behandlung. (Symbolbild)
Die Zürcher IV-Stelle geht mithilfe einer Observation den anonymen Hinweisen nach, A. spiele auf hohem Niveau Golf und verbringe bei jeder Witterung mehrere Stunden auf dem Green. Gegenüber der IV-Stelle gibt A. als Hobby einzig das Spielen auf der Playstation an. Nachdem sich der Verdacht bestätigt, sistiert die IV die Rentenzahlung und fordert die zu viel ausbezahlten Renten zurück. (Symbolbild)
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Das Parlament hat eine neue gesetzliche Grundlage verabschiedet, die Sozialversicherungen Observationen verdächtiger Versicherter wieder erlauben soll. Befürworter untermauern nun mit einer Sammlung von Missbrauchsfällen, dass Überwachung nötig ist.

Keystone/Marcel Bieri

Schon seit über einem Jahr setzen die IV-Stellen keine Detektive mehr ein, um verdächtige Versicherte zu überwachen. Gerichte waren zum Schluss gekommen, dass es für die verdeckte Überwachung keine ausreichende gesetzliche Grundlage gebe (siehe Box).

Das Parlament hat im Eilzugstempo eine neue gesetzliche Grundlage verabschiedet, die Sozialversicherungen wie der IV oder der Unfallversicherung Suva Observationen verdächtiger Versicherter wieder erlauben soll – diese kommt am 25. November vors Volk. Dass eine Überwachung nötig ist, untermauern die Befürworter in ihrem Argumentarium mit einer Sammlung von Missbrauchsfällen.

Fall 1: Der Golf-Spieler

Seit dem 1. August 2000 bezieht A. wegen Schulter- und Kniebeschwerden nach zwei Unfällen eine IV-Rente. Später sagt er, er befinde sich in psychiatrischer Behandlung.

Die Zürcher IV-Stelle geht mithilfe einer Observation den anonymen Hinweisen nach, A. spiele auf hohem Niveau Golf (Handicap 4) und verbringe bei jeder Witterung mehrere Stunden auf dem Green. Auch nehme er an diversen Golfturnieren in der ganzen Schweiz teil. Gegenüber der IV-Stelle gibt A. als Hobby einzig das Spielen auf der Playstation an. Nachdem sich der Verdacht bestätigt, sistiert die IV die Rentenzahlung und fordert die zu viel ausbezahlten Renten zurück.

Fall 2: Der Gärtner

Laut einem ärztlichen Gutachten leidet der Walliser Schreiner L. unter einer inkompletten, linksbetonten Querschnittlähmung aller vier Gliedmassen mit einer Blasenfunktionsstörung. Er sei zwingend auf einen Rollstuhl angewiesen. Damit erstreitet er sich vor Gericht eine ganze Rente.

Im Sommer 2013 lässt ihn die IV Stelle Wallis observieren: Jemand hat gemeldet, dass L. sich in der Öffentlichkeit im Rollstuhl fortbewege, bei sich zu Hause aber mit Schaufel und Pickel arbeite, Holz säge und Bäume schneide. Die Detektive filmen ihn, wie er auf eine Leiter steigt und dabei nach vorne gebückt auf einem Bein stehend Aprikosen pflückt.

Fall 3: Der Biker

Der gelernte Strassenbauer Z. erhält eine ganze Invaldidenrente. Er gibt an, häufig auftretende Blockaden in der Wirbelsäule sorgten dafür, dass er sich nur mit der Hilfe seiner Frau anziehen könne. Wegen Rückenbeschwerden könne er nicht mehr Velo fahren und höchstens noch leichte Gegenstände wie eine Tasse heben.

Die IV-Stelle des Kantons Graubünden lässt ihn im Spätsommer 2013 mit einer Standkamera observieren. Z. setzt sich ohne Probleme auf einem rund 600 Kilo schweren Töff und fährt los. Auch kann er Pneus mit einem Gewicht von 15 Kilogramm aus dem Auto heben und sie vor dem Haus abstellen. Die IV-Stelle hebt den die Invalidenrente rückwirkend auf. Z. muss 55'000 Franken zurückerstatten.

«Wir sind nicht gegen Observationen»

Dimitri Rougy, SP-Politiker und Kampagnenleiter des Gegenkomitees, findet es «in höchstem Masse irreführend, dass die Befürworter die Missbrauchsfällen ins Feld führen: «Wir sind nicht gegen Observationen. Bezieht jemand unrechtmässig Leistungen, muss das geahndet werden.» Schon heute stünden dafür schon viele Mittel zur Verfügung.

Das geplante Gesetz sei aber «schludrig» und verstosse gegen «die Prinzipien des Rechtsstaates», weshalb es nicht angenommen werden dürfe: «Das Parlament stellt den Sozialversicherungen einen Blankoscheck aus.» Laut Rougy müsste die Observation eines Versicherten immer durch einen Richter geprüft werden.

«Überwachung dient der Prävention»

Dagegen sagt CVP-Nationalrätin Ruth Humbel: «Ich war konsterniert, als ich diese Fälle sah. Sie zeigen, dass sich Ärzte täuschen lassen, wenn sich jemand geschickt anstellt.» Natürlich nutze nur eine kleine Minderheit das System aus. Die Observationen seien aber wichtig als präventives Mittel: «Wenn man damit rechnen muss, dass ein Missbrauch auffliegt, schreckt das ab.» Das sei im Sinne der ehrlichen Versicherten.

Humbel sagt, ohne die gesetzliche Grundlage gebe es keine verdeckte Überwachung. Sozialversicherungen hätten durch diese in der Vergangenheit 80 Millionen Franken pro Jahr eingespart. Das Gesetz wahre die Rechtsstaatlichkeit, da der Versicherte eine Rentenkürzung nach der Observation anfechten könne. Die Aussage der Gegner, man sei nicht gegen die Überwachung, sei eine «Scheinargumentation»: «Die Linke hat gegen die 5. IV-Revision auch darum das Referendum ergriffen, weil sie gegen den Observationsartikel war.»

Ein Urteil aus Strassburg

Die IV und die Suva stoppten ihre Detektive wegen Urteilen des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Laut den Richtern war die gesetzliche Grundlage zur Überwachung mangelhaft. Das Parlament verabschiedete darum eine neue gesetzliche Grundlage. Sie sieht vor, dass Detektive Ton- und Filmaufnahmen verdächtiger Versicherter machen dürfen, solange dies von einem öffentlichen Ort aus geschieht. Der Einsatz von GPS-Trackern zur Ortung muss durch einen Richter genehmigt werden. Gegen die Gesetzesänderung hat ein Komitee rund um Schriftstellerin Sibylle Berg das Referendum ergriffen. Die Vorlage kommt am 25. November zur Abstimmung.

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