Pazifisten im Klinsch«Die Linken merken jetzt, dass Frieden ohne Armee Wunschdenken ist»
Der bekannteste Pazifist der Schweiz, Jo Lang, ist damit einverstanden, dass Waffen in das Kriegsgebiet in der Ukraine geliefert werden. Tatsächlich findet bei Pazifisten ein Umdenken statt, sagt Soziologe Ueli Mäder.
Darum gehts
Waffen werden nie etwas Gutes sein, egal in wessen Händen. Diese Haltung hat sich bei Pazifisten und Pazifistinnen jahrzehntelang gehalten. Nun aber steht mit dem Ukraine-Krieg eine direkte Bedrohung vor der eigenen Haustür. Gleichzeitig bröckelt die Überzeugung der Pazifisten und Pazifistinnen. Das zeigte sich beispielsweise am Dienstagabend in der Talkshow von Markus Lanz, in der der deutsche Grünen-Politiker Anton Hofreiter die Überzeugung äusserte, dass man nur mit Waffen Frieden schaffen könne.
Die Frage, ob Waffenbestandteile in die Ukraine geliefert werden müssen, beschäftigt auch die Schweizer Politik. Das Kriegsmaterialgesetz untersagt dies zwar, doch der Ukraine-Krieg veranlasst dazu, dass auch Schweizer Pazifisten und Pazifistinnen Waffenlieferungen anderer Länder akzeptieren – auch der wohl bekannteste Pazifist der Schweiz, Jo Lang. In ihm befänden sich zwei Seelen, sagt er gegenüber 20 Minuten. Die eine sei dagegen, die andere dafür. «Letztendlich hat sich die pragmatische Seele durchgesetzt. Mit Waffenlieferungen bin ich grundsätzlich einverstanden», sagt Lang. Diese machten Sinn, weil Putin nicht gewinnen dürfe, wenn in Zukunft Frieden herrschen solle.
«Diskussionen über Waffenlieferungen sind auch für Pazifisten nicht einfach»
Die Frage von allfälligen Waffeneinsätzen sei für den Pazifismus nichts Neues: «Die Dringlichkeit und die Nähe sind aber vor allem für junge Pazifisten neu», sagt er. Eine Diskussion über Waffenexporte, wie sie etwa Mitte-Präsident Gerhard Pfister kürzlich auf Twitter befürwortete, ist für Lang aber so oder so müssig: «Die Rechtslage ist absolut klar: Die Schweiz darf keine Waffen liefern.»
Obwohl zwei Exponenten der Mitte sich für Waffenlieferungen ausgesprochen hatten, wollen alle dasselbe: Frieden. «In dem Sinn bin auch ich eine Pazifistin. Meine Art, für Frieden zu sorgen, ist aber eine andere als die der Linken», sagt Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger. Wo sich die pazifistischen Ansichten der Linken von ihren unterscheiden, erklärt sie gleich selbst. «Die Linken merken nun einfach, dass Frieden ohne Armee leider Wunschdenken ist.»
Auch die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) sagt, dass der Krieg in der Ukraine eine Herausforderung in den eigenen Reihen mit sich bringe. «Die Diskussion über die Waffenlieferung ist auch für Pazifisten nicht einfach», sagt Anja Gada von der GSoA. Zwar respektiere die GSoA das Recht auf Selbstverteidigung der Menschen in der Ukraine, aber Waffenlieferungen aus der Schweiz lehne sie klar ab. «Eine Änderung der Überzeugung nehme ich allerdings nicht wahr.»
Pazifismus erfährt Veränderung
Anders sieht das der emeritierte Soziologe Ueli Mäder: «Im Pazifismus zeigt sich teilweise ein Umdenken», sagt er. Zwar habe es schon vor dem Ukraine-Krieg unterschiedliche Haltungen gegeben, aber der Krieg vor der Haustür habe interne Kontroversen verstärkt. «Frieden zu schaffen ohne Waffen, ist für mich weiterhin zentral.» Das Aufrüsten fordere oft genug Krieg und somit mehr Tote. «Mit Waffenlieferungen läuft man meistens Gefahr, Probleme mit Mitteln lösen zu wollen, die das Problem mitverursacht haben», sagt Mäder.
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 058 105 05 55