Die Nazi-Twins werden erwachsen
Können Sie sich noch an Prussian Blue erinnern – die singenden Olsen-Twins der Nazi-Szene? Erstmals durfte ein TV-Reporter längere Zeit mit der kalifornischen Girl-Group und ihrer Familie verbringen. Dabei kam Erstaunliches zu Tage: Ihr braunes Image zeigt erstmals Risse.
April Gaede sitzt auf der Heckklappe ihres Jeeps. In ihren Händen hält sie ein T-Shirt mit einem gelben Smiley drauf. Das Smiley-Gesicht hat einen Hitlerschnauzer und -scheitel. «Das berühmte T-Shirt. Ich verstehe heute noch nicht, weshalb Leute dieses Shirt nicht wahnsinnig lustig finden. Dass man ein schwarzes Dreieck und ein schwarzes Viereck draufkleben und damit eine solche Aufregung verursachen kann … [sie lacht] … es ist nur lustig. Irgendwie nur lustig.»
Das Foto ihrer Zwillingstöchter Lynx und Lamb Gaede mit den «Happy Hitler»-T-Shirts ging Anfang 2006 um die Welt – der Publicity-Knüller schlechthin. Die «Olsen-Twins der Nazi-Szene» wurden auf einen Schlag weltberühmt: Prussian Blue nennen sich die Girls, singen sanfte Folksongs über die Vorherrschafft der weissen Rasse (20minuten.ch berichtete) und wachsen in einer sehr sonderbaren Familie auf: Mutter und Bandmanagerin April Gaede ist eine der prominentesten Vertreterin der nordamerikanischen «White Pride»-Bewegung. Aprils jüngste Tochter ist inzwischen drei Jahre alt und heisst Dresden. Grossvater Gaede ist Farmer – das Brandzeichen seiner Rinder ist ein Hakenkreuz.
«Mami, schläfst du?»
Der britische TV-Journalist James Quinn durfte erstmals längere Zeit mit der Familie Gaede und den inzwischen 15-jährigen Zwillinge verbringen. Was er dort erlebte, wurde am 19. Juli 2007 in der Doku «Nazi Pop Twins» auf dem TV-Sender «Channel 4» gesendet. «Die Familie schien anfänglich sehr eng miteinander verbunden zu sein. Und die Zwillinge waren normaler als ich es erwartet hätte – vielleicht normaler als es ihre Mutter wahrhaben will», so Quinn.
Mutter April bemühte sich während des Doku-Drehs sehr, das Bild einer glücklichen, intakten Familie abzugeben. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus. Schon beim ersten Dreh im Haus der Gaedes wird es offensichtlich, dass die Teenie-Zwillinge die Nazi-Begeisterung ihrer Mutter nicht im gleichen Ausmass teilen. «Mami, schläfst du?» - offensichtlich ja, also kann Lamb frei sprechen: «Uns beiden geht es gar nicht um 'white power'. In den letzten vier Jahren ging es nur um Politik – es hat uns total ausgelaugt. Wir wollen eine Pause. Wir wollen weg von dem Zeugs.»
«Ich würde so gerne das ganze Mal auf Eis legen»
Die Doku beginnt mit einem Interview in der örtlichen Radiostation in Bakersfield, Kalifornien. Obwohl Meinungen zu Rassenfragen in Kalifornien sehr weit auseinander gehen, scheint die Bevölkerung von Bakersfield vereint gegen Prussian Blue zu sein. Der Gaede-Familie schlägt der blanke Hass entgegen. Die Moderatorin erklärt den Zwillingen, dass sie hunderte Mails bekommen habe, in denen Leute ihre Abscheu für Prussian Blue äussern. «Und ich verstehe diese Leute», sagt ihnen die Moderatorin ins Gesicht. Lynx und Lamb reagieren höflich. Jahrelange Medienaufmerksamkeit hat aus ihnen Profis gemacht. Auf Fragen wie «glaubt ihr, dass der Holocaust nicht stattgefunden hat?» antworten sie ausweichend: «Ich weiss es nicht, es scheint mir unwahrscheinlich, dass in Zeiten von Material- und Treibstoffknappheit die Deutschen so viel Aufwand für so was betreiben würden?», Lynxs Antwort endet mit einem Fragezeichen.
Am Schluss des Interviews sagt die Moderatorin zum Channel-4-Reporter: «Sie haben bei jeder Antwort ihre Mutter fragend angeschaut. Ich glaube nicht, dass diese jungen Mädchen hundertprozentig von ihrer Ideologie überzeugt sind.»
Szenenwechsel: Die Zwillinge sitzen mit ihrer Mutter in einem Restaurant. Sie besprechen Ideen für ein neues Musikvideo. Doch bei Lynx und Lamb kommt keine Begeisterung auf. Mutter April ist genervt: «Ich will keinen Streit vor der Kamera!» Sie ist bald den Tränen nah und geht nach draussen. «Ich würde so gerne das ganze Mal auf Eis legen. Wir werden dies nicht unser ganzes Leben lang machen,» seufzt Lamb, «ich werde weiterhin Gitarre spielen und Lieder schreiben … doch nicht dieselben wie jetzt». Die Mutter bittet die Mädchen nach draussen: Eine Aussprache ohne TV-Mikrofone. Die Doku verläuft nicht so, wie es sich April gewünscht hätte. Das Image der gesunden arischen Familie zeigt Risse. Folgt gar die Entnazifizierung der Nazi-Twins?
Oliver Baroni