Nach Corona«Die Preise im ÖV werden steigen»
Die SBB schreibt wegen Corona Millionenverluste. Trotz Beteuerungen der SBB, die Preise im kommenden Jahr nicht zu erhöhen, führt an einer Preiserhöhung laut einem Experten kein Weg vorbei.
Darum gehts
- Die SBB schrieb im ersten Halbjahr 2020 tiefrote Zahlen.
- «An schlimmen Tagen haben wir eine Million Franken pro Stunde verloren», sagte SBB-CEO Vincent Ducrot.
- National- und Ständerat wollen dem Konzern mit einem 900-Millionen-Hilfspaket unter die Arme greifen.
- Verkehrsexperte Raimond Wüst rechnet daher mit höheren Billettpreisen.
- Verkehrssoziologe Timo Ohnmacht fordert ein Umdenken bei der SBB. Statt die Infrastruktur auszubauen, soll die SBB das Geld lieber in dringend benötigte Unterhaltsarbeiten stecken und so Preiserhöhungen vermeiden.
Die Corona-Krise hinterlässt in den Zügen der SBB etliche leere Sitzplätze. Statt 1,29 Millionen Passagiere fuhren im ersten Halbjahr pro Tag nur noch 810’000 Passagiere mit dem Zug von A nach B, wie der Konzern an einer Medienkonferenz am Donnerstag vermeldete. Gleichzeitig fuhr die SBB im ersten Halbjahr einen Verlust von 479 Millionen Franken ein. «An schlimmen Tagen haben wir eine Million Franken pro Stunde verloren», sagte SBB-CEO Vincent Ducrot. Auch weil viele Pendler nach wie vor im Homeoffice arbeiten oder mit dem Auto zur Arbeit fahren, liegen die Passagierzahlen um 25 bis 40 Prozent tiefer als im Vorjahr.
Nun will der Bund dem Konzern mit einer Finanzspritze von 900 Millionen Franken unter die Arme greifen. Am Donnerstag beschloss der Ständerat als Zweitrat ein entsprechendes Hilfspaket. Trotz tiefroter Zahlen sollen die Billettpreise – zumindest nächstes Jahr – nicht steigen, beteuert die SBB. Dass über kurz oder lang kein Weg an Preiserhöhungen im ÖV vorbeigeht, sagt aber Raimond Wüst, Leitung Transport and Traffic Engineering an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
«Mobilität wird noch mehr eine Luxusfrage»
«Die Corona-Situation hat die Diskussion über das Mobility-Pricing wieder angefacht», sagt Wüst. Wie die Ausgestaltung aussehe – etwa über das bereits diskutierte Homeoffice GA oder höhere Preise zu Stosszeiten –, sei noch offen. Grundsätzlich sei aber klar: «Bei der Preisgestaltung wird es eine Änderung geben. Und die Änderung wird dazu führen, dass am Ende der ÖV-Benutzer tiefer in die Tasche greifen muss», sagt Wüst. «Die Preise werden also steigen. Mobilität wird noch mehr eine Luxusfrage.»
Das durch Corona gezeichnete Mobilitätsverhalten werde die kommenden Jahre stark prägen, sagt Wüst. «Die Normalität wird auch im ÖV-Bereich nicht allzu schnell zurückkehren.» Zynischerweise habe Corona der SBB geholfen, das Problem der zu Spitzenzeiten völlig überlasteten Verbindungen in den Griff zu kriegen. «Nun muss die SBB dringend in bisher vernachlässigte Unterhaltsarbeiten und in den Infrastrukturausbau investieren – und das kostet.»
Experte: Angebot der SBB ausdünnen
Um Corona-bedingte Preiserhöhungen zu vermeiden, brauche es bei den SBB ein Umdenken, sagt Timo Ohnmacht, Verkehrssoziologe an der Hochschule Luzern. «Statt wie vor Corona geplant jetzt Millionen in den Ausbau und die Erweiterung der Infrastruktur zu investieren, sollte die SBB das Geld in den Unterhalt stecken.»
Der Boom von Home-Office werde auch in Zukunft erhebliche Auswirkungen auf den ÖV haben, sagt auch Ohnmacht. Daher müsse sich fragen, inwiefern der Trend zum stetigen Kapazitätsausbau momentan Sinn mache und ob es nicht zielführender sei, das Angebot vorübergehend auszudünnen. «Dann fährt zwischen Bern und Zürich nicht mehr alle 15, sondern nur noch alle 30 Minuten ein Zug.»
Auto statt ÖV

Gemäss einer Studie von Intervista AG, die das Verkehrsverhalten während Corona untersucht hat, sank die ÖV-Benutzung der Bevölkerung nach dem ersten Schweizer Corona-Fall am 25. Februar rapide. Während dem Lockdown waren demnach die meisten Leute zu Fuss unterwegs, seit den ersten Corona-Lockerungen nehmen aber immer mehr Leute ihr Auto oder Motorrad. Den ÖV benutzen trotz Erholung noch immer deutlich weniger Leute als vor Corona.