ÄgyptenDie Revolution bekommt ein Gesicht
Fast dreihundert Menschen sind bei den Demonstrationen gegen Mubarak ums Leben gekommen. Eine davon war Sally Sahran. Sie wurde gerade mal 23 Jahre alt.

Sally Sahran, eines der rund 300 Opfer des Volksaufstands in Ägypten
Das Lächeln von Sally Sahran ist geblieben. Ganz in der Nähe von einem der Haupteingänge zum Tahrir-Platz in Kairo hängt das überdimensionale Foto der jungen Frau mit den dunklen Locken, die Ende Januar bei den Protesten in ihrer ägyptischen Heimat den Tod fand.
Es sei ihre erste Demonstration gewesen, sagt ihr Freund Ali Sobhi der englischsprachigen Tageszeitung «Al Masri al Joum», als sich die Übersetzerin Sahran am 28. Januar in dem südlichen Bezirk Sohag den Protesten anschloss.
Keine politische Aktivistin
«Sie ging davon aus, dass es zu diesem Zeitpunkt sicher sein würde. So viele andere nahmen an diesem Freitag teil», sagt Sobhi. Sahran, die gerade mal 23 Jahre alt wurde, sei keine politische Aktivistin gewesen. Sie habe einfach mithelfen wollen, die Situation in Ägypten zu verbessern.
Der Zeitung zufolge wurde sie von Mubaraks Schergen zu Tode geprügelt, die angeheuert worden waren, sich den Demonstranten entgegen zu stellen.
Sally Sahran ist nicht die einzige, deren Schicksal in diesen Tagen bekannt wird. Und doch ist es noch ein langer Weg, bis alle Toten der Proteste ermittelt werden.
Der Grund: Hinterbliebene zögern, an die Öffentlichkeit zu gehen, und Menschenrechtsgruppen klagen über Einschüchterungsversuche seitens der Behörden. Die vorläufige Zählung von Human Rights Watch kommt auf 297 Tote. Recherchiert wurde dafür in sieben Spitälern in Kairo, Alexandria und Suez.
Opfer aus allen Schichten
Sympathisanten zufolge stammen die Opfer aus allen gesellschaftlichen Schichten Ägyptens, was im Widerspruch zu der Aussage von Vizepräsident Omar Suleiman steht. Der hatte vergangene Woche noch Ausländer beschuldigt, die Proteste initiiert zu haben.
Auf unzähligen Wegen kommen nun immer mehr Einzelheiten über die Opfer ans Licht, auf Internetseiten, in Zeitungen oder eben auf den riesigen Postern am Tahrir-Platz, dem Zentrum der Revolte, die am 25. Januar begann. «Das gibt der Revolution ein Gesicht, sagt der Reporter Mai al-Wakil, der in «Al Masri al Joum» eine Kolumne unter dem Titel «Gesichter der Gefallenen» schreibt.
Von Auto zu Tode gefahren
Ahmed Basioni war Künstler, Musiker, Lehrer und von Beginn an mit dabei auf dem Tahrir-Platz. Dort habe er ein Video-Tagebuch erstellen wollen, sagt sein Freund, der Galerist Mohammed Allam.
Er und Basioni hätten beinahe täglich über ihre Frustration mit den Problemen im Land diskutiert - die Armut, die hohen Lebensmittelpreise, die um sich greifende Korruption.
Irgendwann am 28. Januar wurde Basioni von seinen Freunden getrennt. Drei Tage später fanden sie seine Leiche in einem Spital. Die Ärzte hätten gesagt, dass er von Gummigeschossen getroffen und offenbar von einem Auto angefahren worden war, sagt Allam.
Basioni hinterlässt eine Frau, seinen sechsjährigen Sohn Adam sowie die einjährige Tochter Salma. In seinem letzten Facebook- Eintrag schrieb er: «Ich habe viel Hoffnung, wenn wir so bleiben. Bereitschaftspolizei hat mich ziemlich zusammengeschlagen. Trotzdem werde ich morgen wieder hingehen.»
«Kugel in den Rücken»
An jenem «Tag des Zorns» gingen auch die beiden Brüder Ahmed und Baha al-Hag in Alexandria auf die Strasse. Als geschossen wurde, war auch der 21-jährige Ahmed, der erst kürzlich die Universität beendet hatte, unter den Getroffenen.
Der Vater der beiden, der nichts von vom Tun seiner Söhne wusste, sagt, ihm sei berichtet worden, dass ein örtlicher Polizei-Hauptmann die Menge angeschrien und anschliessend direkt auf die Demonstranten geschossen habe. «Mein Sohn hat eine Kugel in den Rücken bekommen, die seine Brust durchschlagen hat», sagt Magdi al-Hag.
Bisher keine Untersuchungen
Nicht minder tragisch ist das Schicksal der 16-jährigen Amira al- Sajjed. Sie starb in Alexandria im Haus eines Freundes, als Schüsse vom Dach einer nahe gelegenen Polizeiwache abgegeben wurden, um die Bewohner davon abzuhalten, sich den Protesten anzuschliessen.
«Eine Kugel durchschlug die Fensterscheibe, an der meine Tochter und ihr Freund sassen», sagt der Vater des Mädchens, Samir al-Sajjed.
Zwar haben die ägyptischen Behörden zugesagt, die Tötungen zu untersuchen, doch bislang haben sie weder Opferzahlen noch Namen der Toten veröffentlicht. Stattdessen haben Sicherheitskräfte die Büros zweier Menschenrechtsgruppen durchsucht und Laptops beschlagnahmt, berichteten Aktivisten. Die Gruppen hatten versucht, eine Liste der Opfer zu erstellen.