Regimekritiker: «Die Revolution im Iran scheint möglich»

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Regimekritiker«Die Revolution im Iran scheint möglich»

Die Proteste im Iran dauern weiter an, die Gewalt nimmt zu. Politexpertin und Nahost-Kennerin Elham Manea spricht von einer starken Bewegung, die in der Lage sei, einen Regimewechsel im Iran anzustossen.

In Iran gehen Menschen auf die Strasse, um gegen das iranische Regime zu protestieren. 
Auslöser für die Proteste ist der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Die 22-Jährige war von der Sittenpolizei wegen ihres «unislamischen Outfits» festgenommen worden. Kurze Zeit später starb die junge Iranerin.
Elham Manea, Islam-Expertin und Politologin an der Universität Zürich, sagt: «Nachdem letzte Woche die Aufstände eher weniger wurden, sehen wir diese Woche, dass sie wieder zunehmen. Das zeigt, wie stark die Bewegung ist und wie diese in der Lage ist, Menschen unterschiedlichster Schichten zu mobilisieren.
Es ist ein historischer Moment.» Eine Revolution im Iran, aufgrund der Proteste, scheint ihrer Ansicht nach möglich zu sein. 
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In Iran gehen Menschen auf die Strasse, um gegen das iranische Regime zu protestieren. 

REUTERS

Darum gehts

Trotz des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte im Iran dauern die Demonstrationen weiter an. Mittlerweile geht man von mehr als 130 Menschen aus, die durch die Polizeigewalt ihr Leben verloren haben. Auch in Städten weltweit wird gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran protestiert. Elham Manea, Islam-Expertin und Politologin, ordnet die Aufstände ein.

Frau Manea, wie ist die aktuelle Lage im Iran?

Elham Manea: Nachdem letzte Woche die Aufstände eher weniger wurden, sehen wir diese Woche, dass sie wieder zunehmen. Das zeigt, wie stark die Bewegung ist und wie diese in der Lage ist, Menschen unterschiedlichster Schichten zu mobilisieren.

Welche Bedeutung haben die Aufstände für das Land?

Es ist ein historischer Moment. Die Ermordung von Mahsa Amini hat verschiedene gesellschaftliche Gruppen zusammengeführt. Arbeiter, die gegen die wirtschaftliche Lage protestieren, Lehrkräfte, die gegen ihre Arbeitsbedingungen protestieren, die Landbevölkerung, die gegen die Dürre und den Wassermangel in ihren Regionen protestiert. Und eine gebildete Mittelschicht, die nach Freiheit und einem Ende der erdrückenden politischen, religiösen und sozialen Ordnung strebt.

Wer treibt die Proteste an?

Die treibenden Kräfte der Aufstände sind die Frauen. Und genau diese Tatsache macht die Situation so speziell. Sie weist auf eine soziale Bewegung hin, in der Frauen ein integraler Bestandteil der Gesellschaft sind und nicht wie heute systematisch und rechtlich ausgeschlossen werden. Die iranische Gesellschaft ist offen, gebildet und, wie Umfragen zeigen, säkular. Ebenfalls sind es nicht nur kurdische Regionen, die sich an den Aufständen beteiligen – in städtischen und ländlichen Regionen finden ebenfalls Aufstände statt.

Wird der Staat noch härter durchgreifen, sollten die Proteste nicht abklingen?

Aktuell zeigen der Staat und die Behörden nicht ihre ganze Macht. Nehmen die Aufstände aber zu, werden die Revolutionsgarde und die Basij-Miliz brutaler auf die Menschen reagieren.

Können sie die Protestierenden durch Gewalt zum Schweigen bringen?

In der Vergangenheit ist es dem Staat jeweils gelungen, die Aufstände zu unterdrücken. Mit Gewalt und Schüssen kam er ans Ziel. Dieses Mal ist die zentrale Frage jedoch, wie die Menschen auf die Gewalt reagieren. Dass verschiedene Gruppierungen wie auch Verbände sich zusammengeschlossen haben, macht die Bewegung extrem stark.

Glaubst du, das Regime im Iran wird aufgrund der Demonstrantinnen und Demonstranten wechseln?

Wie viele Menschen beteiligen sich an den Protesten?

Ich kann keine Zahl nennen. Die Regierung versucht, den Iran von der Aussenwelt zu isolieren, damit so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit gelangt. Die Tatsache, dass sich Ali Chamenei – das religiöse Oberhaupt Irans – gegen die Proteste ausgesprochen hat, zeigt, welches Gewicht die Aufständischen haben.

Ist eine Revolution im Iran also möglich?

Ich will nicht voreilig sein. Aber es könnte tatsächlich in diese Richtung gehen, ja.

Wer würde im Fall eines Systemwechsels auf den derzeitigen Präsidenten Ebrahim Raisi folgen?

Genau das ist ein Problem der Aufstände. Die Menschen im Iran kommen ohne Anführer zusammen. Das politische System im Iran ist in zwei Teile geteilt: Einen religiös begründeten, der die Oberhand hat, und einen anderen – dieser beinhaltet das Parlament und die Präsidentschaft – der gewählt wird. Der zweite Teil aber ist durch Mechanismen eingeschränkt. Die Kandidierenden werden erst zur Wahl zugelassen, wenn sie vom religiös begründeten Teil überprüft wurden. Derzeit sind die beiden Teile des iranischen Systems in den Händen von Hardlinern und Islamisten.
Es wird aus meiner Sicht schwer werden, einen Regimewechsel herbeizuführen, ohne dass es zu blutigen Kämpfen zwischen dem Staat und der Bevölkerung kommt. Und auch innerhalb des derzeit bestehenden Regimes gibt es niemanden, der eine gewünschte Änderung mit sich bringen würde. Am besten wäre es, wenn die Reformkräfte aus dem Jahr 2009 zusammenkommen würden.

Grund für die Protestaktionen

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