«Die Schweiz hat das Potenzial, sehr gut durch diese Krise zu kommen»

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Epidemiologe Christian Althaus«Die Schweiz hat das Potenzial, sehr gut durch diese Krise zu kommen»

Christian Althaus warnte früh vor der Corona-Pandemie. Jetzt sagt der Epidemiologe, wie wir gut durch den Winter kommen.

Christian Althaus habilitierte an der Uni Bern. Er forscht intensiv zur Verbreitung von Infektionskrankheiten und ist Mitglied der wissenschaftlichen Covid-Taskforce des Bundes.
Althaus sagt: «Die Hände etwas öfter zu waschen, Abstand zu halten und im ÖV eine Maske zu tragen, finde ich einen kleinen Preis, den ich gern zu zahlen bereit bin.»
Dass Grossveranstaltungen bald möglich sind, sieht Althaus kritisch.
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Christian Althaus habilitierte an der Uni Bern. Er forscht intensiv zur Verbreitung von Infektionskrankheiten und ist Mitglied der wissenschaftlichen Covid-Taskforce des Bundes.

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Darum gehts

  • Laut Epidemiologe Christian Althaus ist die Corona-Lage in verschiedenen Regionen Europas «besorgniserregend».
  • Die Schweiz habe aber das Potenzial, gut durch die Krise zu kommen.
  • Einen zweiten Lockdown gelte es mit aller Kraft zu verhindern.

Herr Althaus, Sie gehörten zu den frühen Warnern einer Pandemie und fallen auf Twitter als Gegner einer Durchseuchungsstrategie auf. Sind Sie der Dr. Doom unter den Epidemiologen?
Nein, sicher nicht. Wir beschäftigen uns in unserer Forschung einfach schon seit Jahren mit der Ausbreitung von neu auftretenden Infektionskrankheiten. Deshalb war es unsere Aufgabe, auf die Auswirkungen der Pandemie rechtzeitig hinzuweisen, zumal das Bewusstsein für diese Gefahr in Europa im Vergleich zu asiatischen Ländern weniger vorhanden war.

Es gibt Leute, die die Nase voll haben von den Corona-Vorschriften und -Einschränkungen. Was denken Sie, wenn Sie Corona-Rebellen demonstrieren sehen?
Eine gewisse Ermüdung ist nachvollziehbar. Man darf jedoch auch etwas über den Tellerrand hinausschauen: Die Corona-Pandemie ist global ein dramatisches Problem, es gibt grosse gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Schäden. Die Hände etwas öfter zu waschen, Abstand zu halten und im ÖV eine Maske zu tragen, finde ich einen kleinen Preis, den ich gern zu zahlen bereit bin. Ich habe das Gefühl, dass die meisten Leute den Nutzen dieser Massnahmen nachvollziehen können.

«Die Idee einer Herdenimmunität war von Anfang an illusorisch.»

Christian Althaus

In Europa nimmt die Pandemie weiter Fahrt auf, in ersten Städten und Gebieten gibt es erneut Lockdowns. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?
Die Corona-Lage in verschiedenen Regionen Europas ist in der Tat besorgniserregend. Damit musste man leider rechnen. Das Virus ist weiterhin da, und die Idee einer Herdenimmunität war von Anfang an illusorisch. Auch in Schweden ziehen die Fälle nach den langen Sommerferien wieder an, sodass man über einen neuen Massnahmenkatalog nachdenkt. Der deutsche Virologe Christian Drosten hat es richtig gesagt: Die Pandemie geht jetzt erst richtig los. Deshalb müssen wir uns sehr gezielt auf die nächsten sechs Monate vorbereiten.

Was heisst das für die Schweiz? Bislang ist vor allem der Kanton Waadt stark betroffen.
Was sich im Waadtland ereignet hat, ist nicht gerade das, was man sich wünscht. Auch in der Ostschweiz sehen wir, dass die Fallzahlen deutlich ansteigen. Es gibt aber auch Kantone, das Tessin zum Beispiel, die frühzeitig Massnahmen ergriffen haben und damit sehr gut fahren. Das zeigt, dass man einiges richtig macht und das Contact-Tracing vielerorts funktioniert. Ich glaube, die Schweiz hat das Potenzial, sehr gut durch diese Krise zu kommen.

Machen wir genug?
Es wäre natürlich schön gewesen, mit 20 statt mit 400 täglich bestätigten Fällen in den Herbst zu starten. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir sehr genau aufpassen müssen, dass wir mit dem Contact Tracing weiterhin nachkommen.

Wird es auch in der Schweiz zu einem zweiten Lockdown kommen?
Dies gilt es mit aller Kraft zu verhindern, und die Entwicklung in anderen Gebieten Europas sollte uns eine Warnung sein. Wir müssen diesen Winter massgeschneidert vorgehen, und falls nötig schnell, aber dafür regional und kurzfristig strengere Massnahmen umsetzen. Auf jeden Fall sollten wir dafür sorgen, dass Schulen und Läden über den gesamten Zeitraum offen bleiben.

«Die Entwicklung in anderen Gebieten Europas sollte uns eine Warnung sein.»

Christian Althaus

Ab dem 1. Oktober darf man wieder ins Stadion. Wird man Sie im Stadion sehen?
Ausgerechnet im Herbst mit den Grossveranstaltungen zu starten, ist natürlich nicht gerade ideal. Ich gehe aber davon aus, dass die Kantone sehr vorsichtig sein werden, und nur Veranstaltungen mit wirksamen Schutzkonzepten bewilligen.

Inzwischen sind etwa 15’000 Personen in Quarantäne. Kann es so weitergehen?
Dazu gibt es keine einfache Lösung. Die Quarantäne-Regelung für Einreisende ist nicht ideal, da wir mittlerweile auch innerhalb der Schweiz Hotspots haben und gewisse Kantone auf der Quarantäneliste anderer Länder auftauchen. Sobald wir vermehrt, schneller und besser testen können, haben wir aber zusätzlichen Spielraum bei der Ausgestaltung der Quarantäne. Solange das nicht der Fall ist, sollten wir vorsichtig bleiben.

Beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) kam es zu einer Pannenserie. Wie beurteilen Sie die Kommunikation des BAG?
Zu Beginn wurden sicher Aussagen gemacht, die wissenschaftlich einfach nicht haltbar waren.

Zum Beispiel?
Dass die Gefährlichkeit des Virus mit der saisonalen Grippe vergleichbar sei. Zudem wurden öfters falsche Angaben zur internationalen Lage gemacht. Oder die ganze Geschichte mit den Masken. Wir müssen lernen, warum es zu Beginn zu diesen Fehleinschätzungen kommen konnte, damit wir in Zukunft besser auf eine Pandemie vorbereitet sind.

«Es wurden zu Beginn Aussagen gemacht, die wissenschaftlich nicht haltbar waren.»

Christian Althaus

Auch der neue «Mr. Corona», Stefan Kuster, zieht sich bereits zurück.
Diesen Entscheid bedaure ich sehr, da ich fand, dass er trotz einiger kleiner Pannen immer sehr klar kommuniziert hat. Die neue Direktorin des BAG (Anne Lévy, Anm. d. Red.) möchte nun die verschiedenen Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen, was ich für einen sehr sinnvollen Entscheid halte.

Hoffnungen ruhten auch auf der Swiss-Covid-App. Nützt sie wirklich etwas?
Ja. Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen an der EPFL konnten wir kürzlich zeigen, dass einige der Personen, die über die App eine Nachricht erhalten hatten, danach auch tatsächlich positiv auf das Virus getestet wurden. Dies sind vorläufig knapp 100 Personen, also noch relativ wenig. Diese Zahl sollte sich aber deutlich erhöhen, sobald noch mehr Leute die App benutzen. Damit haben wir ein zusätzliches Werkzeug, das Übertragungsketten frühzeitig unterbrechen kann, und damit einen weiteren kleinen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie leistet. Ich kann deshalb nur empfehlen, die Swiss-Covid-App herunterzuladen und zu aktivieren.

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