Sophie Hunger«Die Schweiz ist fragil, dieses kleine Land»
Sophie Hunger hat sich neu erfunden: Ihre Songs sind elektronischer und persönlicher denn je. Weshalb, erklärt die Wahlberlinerin im Interview. Und teilt ihre Sicht auf die Schweiz.
Sophie Hunger hat es längst geschafft: Seit zehn Jahren lebt sie von der Musik, spielt in ausverkauften Hallen und schafft mit ihren Alben beeindruckende Chart-Höhen. Mit kunstvollen Kompositionen, die verschiedene Stile und Sprachen mischen, hat sie sich international Fans erspielt wie kaum eine Schweizer Pop-Künstlerin.
«Es ist ein privilegiertes Leben, wenn man Erfolg hat», sagt sie. «Ich bin sehr unabhängig.» Doch es ist nicht alles rosig in Sophies Welt: Im vergangenen Jahr zerbrach ihre Beziehung und damit ein Lebensentwurf, von dem sie glaubte, dass er für immer halten würde.
Vom Schock des Scheiterns und vom neu Zusammensetzen ihres Lebens erzählt Hungers sechstes Album «Molecules», das am 31. August erscheint. Die 35-Jährige, die seit einigen Jahren in Berlin lebt, hat sich dafür klare Regeln gesetzt. Alle Songs bestehen aus nur vier Elementen: Programmierte Beats, Gitarre, Synthie und Stimme. «Davon bin ich nie abgewichen. Das war mein Dogma.» Hunger nimmt in Kauf, dass sie damit ein paar Fans verlieren könnte.
Sophie, dein neues Album klingt elektronischer, ist aber auch persönlicher in den Texten. Was ist passiert?
Der Produktion ging eine Trennung voraus. Diese Liebe war absolut. Und so war auch ihr Scheitern absolut. Es war eine zerbrechliche Zeit. Einige der Lieder haben ihren Ursprung in diesen Gefühlen.
Wie geht es dir heute?
Ich bin froh, dass ich wieder spielen kann und gerade viel los ist. Es läuft wieder was, man wird gebraucht, macht sich nützlich, hat eine Rolle in der Welt, ist Teil einer Gruppe – das alles ist sehr hilfreich.
Wie sind die ersten Reaktionen auf den Stilwechsel?
Meine Berliner Freunde finden die Songs cool, weil sie elektronisch sind. Sie meinen, es sei ihr Einfluss. Ich weiss aber auch, dass ein paar ältere Fans auf diesen Trip nicht mitkommen.
Wie lange lebst du denn schon in Berlin?
Seit fünf Jahren.
Fühlst du dich dort zuhause?
Ich bin ja nirgends richtig zuhause. Ich lebe ein Lotterleben.
Inwiefern?
Nun, ich habe ein Zimmer in Paris, eins in Zürich, ein Studio in Berlin. Es ist alles ein provisorisches Konstrukt. Ich bin nie an den Punkt gekommen, an dem ich dachte: Hier bleibe ich die nächsten 20 Jahre. Mal schauen, wie lange ich das noch kann.
Was magst du an Berlin?
Dass man dort noch ungestört scheitern darf. Berlin ist einer der wenigen Orte in Europa, der Widerstand leistet gegen das Diktat der Effizienz. Man hat nicht gleich Schuldgefühle, wenn man einen Nachmittag mal nichts leistet.
Kommt dir das entgegen?
Ich finde, dass es solche Orte braucht, gerade in unserer Leistungsgesellschaft. Das fliegt uns irgendwann noch allen um die Ohren, der Druck spitzt sich immer mehr zu.
Wie nimmst du die Schweiz von Berlin aus wahr?
Mir fällt auf, wie fragil die Schweiz ist, dieses kleine Land. Und wie sehr wir auf andere angewiesen sind und das partout nicht wahrhaben wollen.
Das musst du ausführen.
Wir haben das Gefühl, wir könnten alles alleine machen und haben so eine kuriose Schadenfreude, wenn es der EU schlecht geht. Was ist das? Arroganz? Naivität? Die Kräfte um uns herum sind so viel stärker.
Das heisst?
Ich fände es gut, wir würden der EU beitreten, damit wir was zu sagen haben, anstatt nur die Kohle rüberwachsen zu lassen. Es nervt mich jedesmal, wenn ich sehe, dass ein Luxemburger Präsident der Europäischen Kommission ist und wir Schweizer stehen am Wegrand und machen Fotos. Ich wäre lieber selber Chef.
Siehst du dich als politische Musikerin?
Nein, ich will mit meinen Songs vielmehr eine Welt erschaffen, die es gar nicht gibt. Ich erfinde etwas, in dem ich mich wohler fühle als im Echten. Es geht um die Möglichkeit zur Flucht. Das ist mein Job, denke ich.
Hast du als weibliche Künstlerin eigentlich mit Vorurteilen oder Benachteiligungen zu kämpfen?
Klar. In der Musikbranche fehlt Gleichberechtigung wie in jeder anderen Branche. Es gibt noch keine Gleichstellung. Ich weiss, dass Frauen zum Teil weniger Gage erhalten. Oder Björk hat viel geredet darüber, wie Männer am Ende einer Produktion ein paar Knöpfe drehen, aber dann kreditiert sind als die Macher. Die Kacke ist auch bei uns am Dampfen, don't worry.
Und machst du was dagegen?
Erstens: Erfolg haben. Und zweitens: Quote einführen. 50 Prozent meines Teams müssen weiblich sein. Das ist jetzt Zwang. Meine Gage verhandle ich nicht selber, und da die Gagen nicht transparent sind, kann ich es nicht prüfen. Das wär doch eine Idee: alle Gagen und Löhne offenlegen!
Siehst du dich als Vorbild?
Nein. Aber Vorbilder sind natürlich wichtig. Meine Mutter hat immer gearbeitet, sie hatte eine Führungsfunktion. Sie war die grosse Nummer in der Familie. Ich hab erst später realisiert, dass das mein eigenes Selbstbild sehr geprägt und mir gezeigt hat, welchen Platz man als Frau für sich beanspruchen kann. Das hat für mich eine Selbstverständlichkeit, die mir als Kind vorgelebt wurde.
Was hat deine Mutter gerarbeitet?
Sie war Generalsekretärin der SVP in den 90ern. Das war die Zeit, als die SVP noch vor allem eine Bauernpartei war und es gerade zum Clash der Berner um Ogi und der Zürcher um Blocher kam.
Fühlst du dich erfolgreich?
Jetzt gerade schon, ja. Der Vorverkauf für die Tour läuft gut, das Interesse an meiner Musik ist immer noch da. Das weiss man vor einem Release ja nie. Aber in den Phasen, in denen ich dann wieder alleine für mich am Komponieren bin, kommen die Zweifel.
Hast du immer noch Bock auf den Job?
Auf eine kindische Art hintersinne ich meine Arbeit manchmal. Aber gleichzeitig weiss ich genau, dass ich nichts besser könnte. Es gibt keine alternative Rolle für mich.
Du kommst als Musikerin viel rum. Welcher ist für dich der beste Club der Welt?
Das Berghain in Berlin, ganz klar. Es ist ein Ort ohne Regeln. Alles ist erlaubt, man sieht auch alles Mögliche. Aber es gibt keine Aggressionen, keine Probleme – obwohl nicht alle nüchtern sind, um es mal so zu sagen. Es herrschen der grösstmögliche Respekt und Toleranz zwischen den Menschen. Ich kann dort fünf Stunden am Fleck stehen und mich in der Musik auflösen.
Wie oft warst du schon da?
Dutzende Male!
Immer gut am strengen Türsteher vorbei gekommen?
Ja, ich hab inzwischen meine Zeit, zu der es einfacher ist.
Molecules erscheint am 31. August. Ab September ist sie damit in Clubs in ganz Europa auf Tour. In der Schweiz tritt sie im Oktober und Dezember auf.