Krieg in der Ukraine«Die Schweiz soll 10’000 ukrainische Flüchtlinge aufnehmen»
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine befinden sich Zehntausende Menschen auf der Flucht. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe und Politiker fordern nun, dass auch die Schweiz flüchtende Ukrainerinnen und Ukrainer aufnimmt.
Darum gehts
In der Ukraine flüchten derzeit Zehntausende Menschen vor den russischen Truppen. Verschiedene Videos zeigen, wie sich kilometerlange Autokolonnen aus Kiew wälzen, auch vor den Tankstellen bilden sich lange Schlangen. Die umliegenden Länder – Tschechien, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Polen – rechnen alle mit einem starken Zustrom ukrainischer Flüchtlinge. Erste Flüchtlinge sind bereits in der polnischen Hauptstadt Warschau angekommen. Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat am Donnerstag bereits angekündigt, osteuropäischen Ländern in der Flüchtlingsfrage beiseite zu stehen: «Wir werden die betroffenen Staaten – insbesondere unser Nachbarland Polen – bei grossen Flüchtlingsbewegungen massiv unterstützen.»
In einem offenen Brief an Bundesrätin Karin Keller-Sutter fordern nun verschiedene Organisationen, dass die Schweiz 10’000 Kriegsflüchtlinge aus der ukrainischen Krisenregion aufnehmen soll. Bisher haben über 4000 Personen die Petition unterzeichnet, die unter anderem von den Grünen, Campax, Solidarité sans frontières und den Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS) getragen wird.
Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) fordert jetzt, dass sich die Schweiz an Programmen zur Aufnahme von Geflüchteten beteiligen und Soforthilfe vor Ort leisten soll. Es sei davon auszugehen, dass bei einer andauernden Eskalation bis zu fünf Millionen Menschen vertrieben werden könnten, so SFH-Sprecherin Eliane Engeler. «Die Schweizerische Flüchtlingshilfe fordert, dass sich die Schweiz im Sinne der Verantwortungsteilung solidarisch mit den Erstaufnahmeländern zeigt und bereit ist, Schutzsuchende rasch und unkompliziert aufzunehmen.»
Aufnahme von Flüchtlingen und Soforthilfe vor Ort
Cédric Wermuth, Co-Präsident SP Schweiz, unterstützt die Forderung. Die Schweiz müsse Solidarität zeigen, betont der Nationalrat: «Wir müssen jetzt die Bereitschaft signalisieren, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen.» Schliesslich liege es in der DNA des Landes, schutzsuchenden Menschen Zuflucht zu bieten. «Zudem muss auch vor Ort Hilfe geleistet werden – sei das finanziell oder mit Hilfsgütern.»
Grünen-Präsident Balthasar Glättli stimmt zu: « Die Schweiz muss ihre humanitäre Unterstützung für die Zivilbevölkerung in der Ukraine verstärken.» Der Bundesrat müsse jetzt ankündigen, dass er bereit sei, 10'000 Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. «Wir müssen in diesem Moment ein klares Zeichen für den Frieden in der Ukraine setzen – auch in Solidarität mit der Bevölkerung in der Ukraine», so Glättli.
«Humanitäre Tradition»
Auch GLP-Präsident Jürg Grossen spricht sich grundsätzlich für eine Aufnahme von Flüchtlingen aus: «Das entspricht schliesslich unserer humanitären Tradition.» Klar sei auch, dass die Schweiz Hilfe vor Ort leisten müsse. «Bevor wir aber nicht einen ganzheitlichen Überblick über die Situation haben, macht es keinen Sinn, über ein Flüchtlingskontingent zu diskutieren oder Gelder zu sprechen.» Die Schweiz könne aber durchaus jetzt schon die Bereitschaft signalisieren, Geflüchtete aufzunehmen und Hilfe vor Ort zu leisten, sagt Grossen.
«Kommt es zu Flüchtlingsströmen, muss die Schweiz mit ihren westlichen Partnern den verfolgten Menschen selbstverständlich beistehen», sagt auch FDP-Präsident Thierry Burkart. «Leider hat der Nationalrat 2016 einen FDP-Vorstoss abgelehnt, der Kriegsflüchtlingen den S-Status – für Schutzbedürftige – zugesprochen hätte», so Thierry. Gerade in einem Konflikt wie dem Ukraine-Krieg hätte das jedoch die unkomplizierte Aufnahme von Kriegsflüchtlingen massiv vereinfacht.
Keine «übereilten» Entscheidungen
Die Schweiz müsse bei einer grossen Flüchtlingswelle vor Ort Unterstützung leisten, sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. «Dass man die Anrainerstaaten und Flüchtlinge finanziell und logistisch unterstützt, halte ich für richtig.» Dass die Schweiz jetzt Tausende von Ukrainerinnen und Ukrainern aufnehme, sei hingegen nicht zielführend, so Aeschi. «Der Fokus sollte darauf liegen, dass die geflüchteten Personen möglichst schnell wieder zurück in ihr Heimatland können.»
Für Mitte-Nationalrat und -Fraktionschef Philipp Matthias Bregy ist es hingegen zu früh, um übereilte Entscheidungen in der Flüchtlingsthematik zu treffen. «Höchste Priorität hat jetzt, dass Russland dazu gebracht wird, den Krieg zu stoppen.» Alles andere sei erst in den nächsten Tagen und Wochen absehbar. «Jetzt sich mit guten Vorschlägen zu übertun, würde der humanitären Katastrophe in der Ukraine nicht gerecht.»