Sind das die wahren Vorbilder?Die Sinnfluencer kommen
Sie wollen Sinn stiften: die Sinnfluencer. Vermeintlich abseits der Scheinwelt auf Social Media werden sie zu Wortführern aktueller Trendthemen. Doch ihr Name wirft Fragen auf.

«Ästhetische und knackige Inhalte schliessen einen wertvollen Inhalt nicht aus», sagt Nachhaltigkeits-Influencerin Anina Mutter.
Mael OchsnerDarum gehts
Als Sinnfluencer werden Influencer und Influencerinnen bezeichnet, die sich für Themen wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Feminismus, Menschenrechte oder Body Positivity einsetzen und ihre Werte auf Social Media vertreten.
Die Plattformnutzer und -nutzerinnen begegnen ihnen mit unterschiedlichsten Erwartungshaltungen. Häufig wird das Sinnfluencing in Zusammenhang mit einem gesteigerten Verantwortungssinn, einer standhaften Treue gegenüber den eigenen Werten sowie Authentizität und Transparenz beim Posten im digitalen Raum gestellt.
Die Umwelt-Influencerin Anina Mutter und die Zero-Waste-Influencerin Anke Schmidt beleuchten die Bezeichnung kritisch: Die Frauen bemängeln, dass sie subjektive und wertende Ansichten mit sich bringt.
Ausserdem sei die Kategorisierung ungenau und müsse bei Verwendung immer wieder erklärt werden.
Es sei eine Bezeichnung, die sie sich selbst nicht geben würde – die Zürcherin Anina Mutter betreibt seit sechs Jahren einen Nachhaltigkeits-Blog und postet dazu auf Social Media. Immer häufiger wird sie als Sinnfluencerin bezeichnet. Der Begriff, der für Sinnstiftung in den sozialen Medien steht, nimmt seit etwa drei Jahren an Popularität zu. Noch sei er positiv konnotiert und werde mit Ideen wie Authentizität und Transparenz verknüpft, sagt Anina Mutter. Daher schätze sie es, in diese Sparte eingeordnet zu werden. Die Frage ist, wie lange das noch so anhält.
Jenseits des Massenkonsums formieren sich auf den sozialen Plattformen Influencer und Influencerinnen, welche die Gesellschaft zum Guten verändern und ihren eigenen Sinn in die Welt tragen wollen. Ihr Netzaktivismus bezieht sich auf gesellschaftliche oder politische Themen wie etwa Klima- und Umweltschutz, oder auch Feminismus, Menschenrechte oder Körperpositivität. Damit machen sie sich für weniger Müll, mehr Minimalismus, oder nachhaltige Mode stark und teilen im Internet Tipps, wie man beispielsweise ressourcenschonender lebt oder die eigenen Problemzonen akzeptiert.
Der Erklärungsbedarf steigt
Es sind die grossen Trendthemen der Zeit, welchen sich die Sinnfluencer widmen. Meist spezialisieren sie sich auf einen Bereich und werden zu regelrechten Vorbildern und Experten ihrer Domäne. Ihr Anliegen wird zum Lifestyle, welchen sie der Internetgemeinschaft demonstrativ und möglichst mustergültig vorleben. Bewiesen wird mit Postings und Webauftritten vor dem wachsamen Auge des World Wide Web. «Kritisiert wirst du auf Social Media ohnehin, egal wie du dich selbst bezeichnest, oder wie du bezeichnet wirst», sagt Anke Schmidt aus Köln dazu.
Unter dem Namen «Wastelesshero» demonstriert sie auf Social Media, wie ein Leben ohne Verpackungsmüll aussehen könnte. Dabei sieht sich die Familienmutter weniger als Meinungsmacherin und dafür mehr als Wissensvermittlerin. Was Sinnfluencing sein soll, ist für sie unklar: «Sinnfluencer wollen zeigen, wie man dem eigenen Leben Sinn gibt. Je nach Themenbereich kann das aber völlig unterschiedlich aussehen.» Anke Schmidt glaubt, der Begriff bringe schwankende Vorurteile mit sich, weswegen man ihn stets erklären müsse.
Dem eigenen Kodex treu
Zu den prominentesten Personen, die als Sinnfluencer bezeichnet werden, gehört die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Schweden, die für ihren auf Social Media geteilten Schulstreik für das Klima international Aufmerksamkeit erhielt und so zur Ikone der aktuellen Klimabewegung wurde. Auch der deutsche Youtuber Rezo, der 2019 mit seinem knapp einstündigen Video zur «Zerstörung der CDU» für Furore sorgte, wird als Influencer mit Sinn gehandelt. Er bewies, dass reichweitenstarke Social-Media-Accounts die öffentliche Meinungsbildung beeinflussen können.
Der Tenor im Netz lautet, dass sich Sinnfluencer als vermeintlich verantwortungsbewusstes Spreu trennen vom gekünstelten, oberflächlichen Weizen, der sonst auf den Plattformen vorherrscht. Umweltbloggerin Anina Mutter sieht hier zwischen Influencern und Sinnfluencern aber kaum einen Unterschied: «Verantwortung haben Personen mit einer digitalen Präsenz ohnehin. Sinnfluencer sind sich dem vielleicht mehr bewusst.» Die Gewissenhaftigkeit, von der sie spricht, kommt insbesondere bei Kollaborationen mit Marken ans Licht. Hier müssten im Idealfall Unternehmensphilosophien mit den persönlichen Werten der Content Creators zusammenstimmen und eine Selektion nach eigenem Kodex stattfinden, sagt sie. Nicht jeder, der von Postings auf Plattformen leben möchte, ist hier gleich strikt.
Das Kofferwort lässt Raum für Interpretation und bringt ambigue Erwartungen mit sich. Bloggerin Anina Mutter rät, den unscharfen Begriff nur mit Vorsicht zu geniessen: «Er beinhaltet eine wertende Komponente. Da eine subjektive Färbung hineinspielt, ist die Spezifizierung nicht unbedingt hilfreich.» Damit bricht eine redundante Seite der Kategorie hervor. Denn wie Nachhaltigkeits-Influencerin Anke Schmidt sagt: «Leute folgen letztlich denjenigen Influencern, deren Tun sie sinnvoll finden.»