Syrien-KonfliktDie wichtigsten Antworten zum Giftgasangriff
Der Giftgasangriff auf Duma sorgt für Empörung. Bringt das was? Und warum gibt es in Syrien überhaupt Chemiewaffen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte den mutmasslichen Giftgasangriff in Syrien. (Video: Tamedia/AFP)
Wie viele Giftgas-Angriffe hat es bisher gegeben?
Seit Kriegsbeginn 2011 wurde über zahlreiche Chemiewaffenangriffe in Syrien berichtet. Bei dem jüngsten mutmasslichen Giftgasangriff auf Duma in Ost-Ghuta kamen bis zu 150 Menschen ums Leben. Bereits im April 2017 starben bei einem Sarin-Angriff in Chan Scheichun mehr als 80 Menschen. 2013 wurden bei mehreren Angriffen mit dem Nervengas Sarin in der Region Ghuta rund 1300 Menschen getötet. Allein in 16 Fällen machte die UN-Menschenrechtskommission die syrische Regierung eindeutig für Giftgasangriffe verantwortlich.
Was sagt die syrische Regierung?
Damaskus weist die Vorwürfe stets zurück – so auch dieses Mal. Die syrische Nachrichtenagentur Sana warf den Rebellen vor, Lügen zu verbreiten. Ein Regierungsvertreter wies die Vorwürfe als «Farce» zurück. Der gleichen Meinung sind Syriens Verbündete Russland und Iran.
Wieso gibt es in Syrien Chemiewaffen?
Das Regime von Bashar al-Assad hatte 2013 einer Vereinbarung zugestimmt, wonach es seine Chemiewaffen zerstören sollte. Bis Januar 2016 wurden unter Aufsicht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) sämtliche von Damaskus offiziell deklarierten Chemiewaffen ins Ausland gebracht und unschädlich gemacht. Aber: Es gab Zweifel, ob Syrien wirklich sämtliche Bestände deklariert hatte. Ausserdem blieb Chlorgas bei der Vereinbarung aussen vor, weil es auch für zivile Zwecke eingesetzt werden kann.
Wie reagierte die internationale Gemeinschaft auf den jüngsten Chemiewaffenangriff?
Der Giftgasangriff ist am Montagabend Thema einer Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats. Zahlreiche Staaten machen die syrische Regierung für den Giftgasangriff verantwortlich. US-Präsident Donald Trump und sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron haben sich ausserdem darauf verständigt, dass die syrische Führung zur Verantwortung gezogen werden müsse. Die OPCW untersucht den mutmasslichen Giftgasangriff auf Duma. Zwei Tage nach dem Angriff auf Duma wurde ein syrischer Militärflughafen bombardiert – ob als Vergeltung für Duma, ist unklar. Syrien macht Israel für diesen Angriff verantwortlich.
Wie reagierte die Welt auf frühere Giftgasangriffe?
In der Vergangenheit hatte Frankreich mehrfach gewarnt, ein weiterer Einsatz von Chemiewaffen in Syrien sei eine «rote Linie», auf die Frankreich mit einem Militäreinsatz antworten könne. Auch der frühere US-Präsident Barack Obama hatte 2013 von einer «roten Linie» gesprochen, die nicht überschritten werden dürfe.
Welche Konsequenzen gab es?
Bisher fast keine, trotz überschrittener «roter Linien». Vor einem Jahr hatten die USA als Vergeltung für den Giftgasangriff auf Chan Scheichun einen syrischen Luftwaffenstützpunkt bombardiert. Trump wirft seinem Amtsvorgänger Obama vor, nicht entschlossen genug im Syrien-Konflikt durchgegriffen zu haben. «Wenn er seine selbst gezogene rote Linie im Sand überschritten hätte, dann wäre das syrische Desaster längst zu Ende», twitterte Trump am Sonntag. «Das Tier Assad wäre Geschichte.»
In den USA wächst nun der Druck auf Trump. Er könne in diesem «entscheidenden Moment» die Entschlossenheit zeigen, die Obama nie gehabt habe, sagte der republikanische Senator Lindsey Graham zu ABC. Moskau warnte Washington allerdings: Eine Militärintervention wäre «inakzeptabel und könnte schwerste Konsequenzen haben».
Wo verlaufen die Fronten im Syrien-Konflikt?
Die Lage ist kompliziert – aus dem Kampf der syrischen Opposition für eine Demokratisierung ist längst ein Stellvertreterkrieg zwischen verschiedenen internationalen und regionalen Mächten geworden. Die wichtigsten Player:
• Für das Assad-Regime sind alle Aufständischen «Terroristen», egal ob Jihadisten oder nicht. Die Kurden hat Assad bislang verschont. Im Februar entsandte Syrien sogar Truppen nach Afrin, um die YPG im Kampf gegen die Türkei zu unterstützen.
• Die Türkei will Assad absetzen und jede kurdische Autonomie verhindern, um kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen im eigenen Land zu ersticken. Sie unterstützt oppositionelle Gruppen, die Assad stürzen wollen, und bekämpft die YPG. Im März brachte die türkische Armee in ihrer «Operation Olivenzweig» die Kurden-Stadt Afrin unter ihre Kontrolle.
• Russland ist ein Verbündeter Assads und unterstützt diesen mit Luftschlägen. Zum anderen näherten sich Moskau und Ankara an. Russland hält sich deshalb zum Konflikt zwischen Türkei und Kurden bedeckt.
• Der Iran steht auf Assads Seite, da die pro-iranische Hisbollah im Libanon über Damaskus Waffen und finanzielle Unterstützung aus dem Iran bekommt. Der Iran hilft Assad deshalb mit Krediten und Elitesoldaten. Zudem will Teheran in Syrien seinen Einfluss gegen Aktivitäten aus Saudiarabien verteidigen.
• Die USA unterstützten die Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF), die von der kurdischen YPG angeführt werden, im Kampf gegen den inzwischen zurückgedrängten «Islamischen Staat» (IS). Zudem führen die USA die internationale Anti-IS-Koalition an, die aus der Luft angreift. Mit dem Nato-Partner Türkei und der YPG stehen sich zwei Verbündete der USA direkt gegenüber.
• Das Ziel der «Syrischen Nationalen Armee» (früher «Freie Syrische Armee», FSA) ist der Sturz des Assad-Regimes. Die Türkei unterstützt die FSA, die 2011 aus Deserteuren der Assad-Armee entstand.
• Die YPG ist der bewaffnete Arm der syrisch-kurdischen Partei PYD. Ihr Ziel: die kurdische Selbstverwaltung in einem föderalen Syrien. (mlr/sda/afp)