Energiestrategie«Die Windanlagen hören sich an wie Düsenflieger»
Anwohner klagen im Schwarzwald über Schlafstörungen und Kopfschmerzen, an denen Windkraftanlagen schuld sein sollen. Befürworter der Windenergie halten dagegen.
Das Badische Schuttertal ist ein beschauliches Gebiet im Schwarzwald. Seit aber letzten Sommer sieben Windkraftanlagen installiert wurden, ist die Idylle getrübt. Anwohner klagen über störende Geräusche und kämpfen mittels einer Bürgerinitiative gegen die Anlagen.
«In den Nächten werden wir mehrfach wach und können nicht mehr einschlafen, auch die Kinder nicht», sagt Markus Schätzle in einem Beitrag des Nachrichtenportals Badisches.de. Das Geräusch beschreibt Schätzle als Wummern, als ein widerkehrendes «Wusch, wusch». Je nach Windstärke höre es sich an wie ein Düsenflieger.
Schätzle – im Grunde ein Befürworter der grünen Energiegewinnung – klagt über Kopfschmerzen, Übelkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Obwohl er ein ruhiger Mensch sei, reagiere er plötzlich schnell gereizt. «Wenn sich nichts ändert, sehen wir uns gezwungen, mein Elternhaus zu verlassen.»
Über 90 Prozent haben kein Problem mit Windkraftanlagen
Windkraft soll mit der Energiestrategie auch in der Schweiz gefördert werden (siehe Box). Doch was für Konsequenzen haben Windenergieanlagen für die Anwohner?
Der deutsche Arzt und Mitbegründer von «Ärzte für Immissionsschutz» Thomas Carl Stiller hat dazu auf der Website des Deutschen Arbeitgeberverbandes einen Gastkommentar verfasst. Gemäss Stiller sind 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung Infraschall-empfindlich. Diese litten bei «niederfrequente Schwingungen aus Kompressoren und Windkraftanlagen» an Schlafstörungen, Übelkeit, Tinnitus, Sehstörungen, Schwindel, Herzrhythmusstörungen, Depressionen oder Ohrenschmerzen.
Auch in der Schweiz wurde schon untersucht, wie Anwohner auf Windenergieanlagen reagieren. Im Rahmen einer Studie der Universität St. Gallen wurden hundert Menschen, die von ihrem Wohnort aus das Windrad von Calandawind im Churer Rheintal sehen, gefragt, wie sie die Geräuschemissionen beurteilten. 7 Prozent beantworteten die Frage mit «negativ», 35 Prozent mit «neutral» und 58 mit «positiv».
«Windanlagen machen nicht krank»
«Dass Windenergieanlagen gewisse Menschen stören können, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber krank machen sie sicher nicht, sofern die gesetzlichen Regelungen eingehalten werden», sagt Benjamin Szemkus von der Schweizerischen Windenergie-Vereinigung Suisse Eole. Es gebe weltweit keine wissenschaftlichen Studien, die belegten, dass Windenergieanlagen krank machten.
Aus Studien wisse man zwar, dass 6 Prozent der Anwohner sehr sensibel auf Windanlagen reagierten. «Natürlich wäre es schön, wenn es noch weniger wären. Aber wegen einer kleinen Minderheit auf den Ausbau von Windenergie zu verzichten, wäre absolut falsch», sagt Szemkus. Schliesslich gewinne man daraus sauberen, einheimischen Strom, insbesondere im Winter. Szemkus verweist weiter auf eine Studie, die zeigt, dass drei Viertel der Anwohner von bestehenden Windenergieanlagen in der Schweiz angeben, dass die Anlagen keine oder nur geringfügige Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden haben.
«Abstände von mindestens 450 Metern»
Auch müssten Schweizer Bürger dank dem föderalistischen System nicht befürchten, dass plötzlich ein Windrad in ihrem Garten stünde. «Hier kann jeder mitreden.» Zwar dauere das Bewilligungsprozedere deswegen zwar doppelt so lang wie etwa in Deutschland – dafür geniesse der Bau eine hohe Akzeptanz. Im Vergleich zu anderen Ländern sei zwar kein fixer Abstand zwischen Häusern und Windanlagen gesetzlich vorgegeben, es gelte aber, die Lärmschutzverordnung einzuhalten. Das führe zu Abständen von mehr als 450 Metern. «Anwohner werden durch die strengen gesetzlichen Vorgaben effektiv geschützt», sagt Szemkus.
Entstehen würden neue Projekte dort, wo ausreichend Wind vorherrsche, also «vor allem im Jura und dem Alpenraum und nicht in den Städten.» Kurz vor der Baubewilligung stehen fünf Windräder am Gotthardpass. Auf dem Grenchenberg soll ein weiterer Windpark entstehen. Geplant sind auch zwei Windräder – die bisher grössten der Schweiz – mit einem Rotordurchmesser von 127 Metern in Oberegg AI .
194 zusätzliche Mega-Winddräder
Gemäss der Energiestrategie des Bundes, über die wir im Mai abstimmen, soll Windstrom bis 2050 rund 7 Prozent des Strombedarfs der Schweiz decken. Noch fristet die Windkraft in der Schweiz ein Nischendasein: Ende 2015 waren in der Schweiz 37 Gross-Windenergieanlagen installiert. Ihre Jahresproduktion entsprach 2016 dem Verbrauch von rund 36'000 Schweizer Haushalten oder weniger als 0.2 Prozent des gesamten Stromverbrauchs der Schweiz.
Damit der Strom aus Wind seinen Beitrag zu den Zielen der Energiestrategie leistet, bräuchte es 194 Mega-Windräder zusätzlich - oder 11'450 mittelgrosse Anlagen, die 30 Meter hoch sind und deren Rotoren 24 Meter messen, wie eine Berechnung von 20 Minuten zeigt.