ReportageDieses Wohnhaus ist ein Kraftwerk
Im Mai ist das erste energieneutrale Haus der Welt in Brütten bezugsbereit. 20 Minuten gewährte der Architekt bereits jetzt einen Einblick.
Noch haben sich die letzten Staubwolken der Bauarbeiten nicht verzogen, ein Arbeiter wischt den Schutt auf dem Vorplatz zusammen, ein anderer plättet mit dem Bagger die noch angehäufte Erde. Mittendrin in dieser Baustelle in Brütten – einem 2000-Seelen-Dorf bei Winterthur – steht Architekt René Schmid und begutachtet die mattschwarze Hausfassade. «Alles Solarpanels, die zusammen mit den Zellen auf dem Dach genügend Strom für die ganze Überbauung liefern», erklärt er. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass er die Vorteile der Sonnenenergie anpreist. Als eine weitere Staubwolke in seine Richtung zieht, bittet er herein in das erste Haus der Welt, das den eigenen Energieverbrauch komplett selber produziert.
Drinnen, in der Küche einer der neun Wohnungen, die im Mai bezugsbereit sind, wiederholt Schmid sein Mantra: «Die Sonne allein bietet ein so grosses Potenzial, an dem wir uns nur noch bedienen müssten.» Um das zu illustrieren, wartet er mit Zahlen auf: An einem Sommertag produziert das hauseigene Kraftwerk allein durch die Sonne so viel Energie, dass damit die neun Haushalte im Winter für acht Tage versorgt sind. «Und das ohne Verzicht: In diesem Haus muss im Winter niemand dick eingepackt in der Stube sitzen und frieren», erklärt der Architekt. Auch diese Aussage ist ihm wichtig. Mehrmals betont er: «Energieautark leben heisst nicht, auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens zu verzichten.»
«Wir wollen andere inspirieren»
Dafür sind zwei Technologien nötig: Warmwasser- und Wasserstofftanks. Die überschüssige Energie, die im Sommer produziert wird, wird in Warmwassertanks gespeichert. Für den Winter wird gleichzeitig Energie in Wasserstoff eingelagert, die dann wieder herausgelöst und in Strom und Wärme umgewandelt wird. «Ohne die Einlagerung in Wasserstoff würde uns die Energie knapp nicht über den Winter reichen», sagt Schmid. «Es fehlen etwa 20 Tage.»
Wirtschaftlich sei die autarke Bauweise jedoch noch nicht, sagt Schmid. Der finanzielle Aufwand, ein Haus komplett unabhängig vom Stromnetz zu bauen, ist teurer als der Standard. Er geht darum nicht davon aus, dass in Zukunft nur noch solche Häuser gebaut werden. Das Ziel müsse nicht sein, dass jedes Haus künftig energieautark sei, sondern, dass möglichst effizient gebaut werde – «aber nicht um jeden Preis». «Es geht bei unserem Projekt vielmehr darum, zu zeigen, was mit der heutigen Technologie schon möglich ist. Wir wollen andere inspirieren», sagt der Architekt. Dies scheint zu funktionieren: Er habe bereits unzählige Anfragen von namhaften Architekturbüros und Investoren, sagt Schmid, «ich bin überzeugt, dass das Bauen mit Solartechnik in der Branche zum Standard wird».
Tablet zeigt den Energieverbrauch an
Im Obergeschoss montieren Arbeiter gerade eine Küche, andere verkleiden eine Decke mit hellem Täfer. In der Wand ist eine Einbuchtung eingelassen. «Für das Tablet», erklärt Schmid. Damit können die Bewohner jederzeit ihren aktuellen Energieverbrauch abrufen und sehen, ob sie ihr «Energie-Kontingent» bereits aufgebraucht haben. Denn auch wenn die Sonne laut Schmid Strom im Überfluss liefert, müssen die Bewohner auf ihren Verbrauch achten. Da sie Ende Monat keine Stromrechnung erhalten, setzen die Hausverwalter die Anreize: Wer wenig Energie verbraucht, erhält Geld zurück, wer die Energiereserven des Hauses übermässig strapaziert, zahlt nach.
Für Schmid ist energieeffizientes Bauen kein Neuland. Er war bereits beim Bau des ersten Minergie-Mehrfamilienhaus in der Schweiz dabei. Trotzdem sei für ihn der Bau eines Hauses, das sich komplett selbst mit Strom versorgt, eine Herausforderung gewesen. «Ich habe immer daran geglaubt, dass es möglich ist.» Wenn Bertrand Piccard mit Solarenergie fliegen könne, müsse es doch auch machbar sein, mit der Sonne ein Gebäude zu versorgen.
«Subventionen werden bald überflüssig»
Schmid sieht in der Solarenergie die Zukunft für die Baubranche. «Bald werden Solarzellen günstiger sein als herkömmliche Baustoffe wie Ziegel.» Auf der Terrasse stehend, zeigt er auf das Dach eines Mehrfamilienhauses auf der gegenüberliegenden Strassenseite: «Die Dachziegel dort wurden in einem energieintensiven Prozess hergestellt, werden aber keine einzige Kilowattstunde zurückgeben.» Aus wirtschaftlicher Sicht werde darum jeder Bauherr in Zukunft auf Solar setzen, weil er längerfristig so in jedem Fall günstiger fahre. Die Konsequenz für Schmid: «Subventionen für Solarpanels werden bald überflüssig.»
Das Haus besichtigen
Ein Modell des energieautarken Hauses in Brütten kann in der Umweltarena Spreitenbach, die den Bau in Auftrag gegeben hat, besichtigt werden. Die Ausstellung zeigt mit einem Grossmodell, wie es durch technische Lösungen möglich ist, ein Haus komplett unabhängig vom Stromnetz zu versorgen. Ebenfalls werden weitere aktuelle Trends und Innovationen in der Umwelttechnik vorgestellt.
www.umweltarena.ch