Weite Strecken«Drei Stunden gehen fürs Pendeln täglich flöten»
Für manche Berufstätige ist ein langer Arbeitsweg selbstverständlich. Die Sehnsucht nach weniger Zeit im Auto fährt aber mit.
14,8 Kilometer legten die Pendler 2016 im Schnitt pro Arbeitsweg zurück – zehn Prozent pendelten länger als eine Stunde. Dabei nimmt das Auto bei den Hauptverkehrsmitteln den Spitzenplatz ein. Leser erzählen, warum sie im Alltag weite Fahrstrecken auf sich nehmen.
Denise Dürst (28), Personalverantwortliche: «Fürs Pendeln mit dem Auto von Altenrhein SG nach Pfäffikon SZ gehen täglich rund drei Stunden flöten. Meist starte ich um 6 Uhr. Habe ich um 17 Uhr Feierabend, bin ich um 18.30 Uhr zu Hause. Standen aber noch Sitzungen an, kann es auch 20 Uhr werden, bis ich wieder in Altenrhein bin. Viel von meinem Feierabend habe ich nicht. Meist reicht es nur noch, um zu Abend zu essen und meinem Partner noch etwas im Büro zu helfen. Freizeit habe ich vor allem am Wochenende.
Den langen Weg nehme ich für die Liebe auf mich. Mein Partner ist selbstständig und wegen seines Kundenkontakts gezwungen, von zu Hause aus zu arbeiten. Da ich mit meinem vielseitigen Job sehr zufrieden bin, ist ein Jobwechsel auch für mich keine Option. Vielleicht besteht aber die Möglichkeit, am Standort in St. Gallen zu arbeiten. Damit würde sich meine Lebensqualität verbessern. Ich hätte viel mehr Zeit für mich selber. Auch könnte ich Sport machen sowie meine Freunde und meine Familie mehr treffen. Die Stunden im Auto sind verplemperte Zeit. Ausser telefonieren via Freisprechanlage kann ich nichts machen.»
«Verbringe täglich bis zu 3,5 Stunden im Auto»
I.W.*(30), Key Account Manager: «Gerade jetzt, wo meine Frau hochschwanger ist und meine Unterstützung brauchen könnte, ärgert mich meine weite Fahrstrecke sehr. Ich pendle täglich mit dem Auto von Ebikon LU nach Regensdorf ZH. Je nach Stau beim Limmattaler «Höllenkreuz» verbringe ich täglich bis zu 3,5 Stunden im Auto. Meine Frau muss zurzeit unter der Woche alles allein machen. Würde ich weniger Zeit mit Pendeln verbringen, könnte ich im Garten helfen, das Bett für den Nachwuchs zusammenbauen und einen Schrank reparieren. Sinnvoll nutzen kann ich nur einen Teil meiner Zeit im Auto, indem ich Kundentelefonate erledige.
Wäre ich im Zug unterwegs, könnte ich die Zeit besser nutzen und dabei auch arbeiten. Da ich aufgrund von Kundenterminen bei der Arbeit aber auf mein Auto angewiesen bin, liegt dies nicht drin. Auch ein Umzug nach Zürich kommt nicht infrage. Ich bin in Luzern zu stark verwurzelt – wer schafft es schon, mit 30 Jahren noch ein neues soziales Umfeld aufzubauen. Ewig will ich die Strecke aber nicht auf mich nehmen. Zurzeit bin ich mit meinem Arbeitgeber in Verhandlung, dass ich künftig in der Niederlassung in Ebikon arbeiten kann. Dann hätte ich nur noch einen Fussweg von gerade mal drei Minuten!»
Freiwillig längere Strecke gewählt
Rahel Abgottspon (23), Coiffeuse: «Als ich noch mit der Bahn von Kerns nach Steinhausen ZG fuhr, war ich um sechs Uhr morgens weg und meistens nicht vor 21 Uhr zuhause. Pro Weg hatte ich rund zweieinhalb Stunden. Vor vier Monaten bin ich auf das Auto umgestiegen. Ein Weg kostet mich jetzt nur noch eine knappe Stunde, was für mich total okay ist. Vor allem schätze ich, dass ich auf dem Rückweg im Auto gut abschalten kann. Meinen Feierabend kann ich dank der gewonnenen Zeit in vollen Zügen zu Hause oder mit Freunden geniessen.
Einen Job in meiner Nähe annehmen würde ich nicht. Schliesslich darf ich im Salon in Steinhausen die Verantwortung für die Lernenden übernehmen und komme in den Genuss, Weiterbildungen zu besuchen.»
Raphael Oerer (33), Manager: «Früher hatte ich mit dem Auto zwei Minuten zu meinem Arbeitsort in Oetwil am See. Jetzt gehe ich zwei Stunden früher aus dem Haus und habe einen Arbeitsweg von einer Stunde. Dafür verlasse ich das Büro auch eher, um der Stosszeit zu entkommen. Den längeren Weg nehme ich freiwillig auf mich. Da ich an meinem alten Wohnort in Oetwil am See kaum Freunde in der Nähe hatte, entschied ich mich, nach Villmergen AG zu ziehen.
Das Pendeln ist schon eine harte Nuss. Aber zu wissen, dass ich nun meine wichtigsten Freunde direkt in meiner Nähe habe, hebt den Nachteil der Pendlerroute wieder auf. Zudem fahre ich gern Auto und darf jeden Tag mit der Fähre fahren. Während dieser 20 Minuten kann ich lesen oder auch schnell die Augen schliessen.»
*Name der Redaktion bekannt.