SchweizDrogen und keine Kondome – Chemsex-Partys werden zum Problem
In der Schweiz finden vermehrt Sexpartys statt, an denen illegale Substanzen konsumiert werden. Über den Trend zeigen sich Expertinnen und Experten besorgt.
Darum gehts
Partys, an denen sich Männer mit anderen Männern zum Sex verabreden und dabei gewisse illegale Substanzen konsumieren: sogenannte Chemsex-Partys machen Experten und Expertinnen in der Schweiz Sorgen. «Der Trend ist steigend. Wir behandeln immer mehr Patienten», sagt Claudia Bernardini, Leitende Ärztin Innere Medizin und Infektiologie im Zentrum für Suchtmedizin Arud in Zürich. Genaue Zahlen gebe es nicht. Auch die Gründe für die Zunahme seien unklar. Eine Möglichkeit sei die Digitalisierung mit Dating Apps, die das Sexualleben vieler Menschen verändert hat und auch eine Verbreitung der Trends fördern kann.
Chemsex an sich ist nicht neu und seit Jahren vor allem in Grossstädten wie London und Berlin verbreitet. In der Schweiz finden die Partys laut Fachpersonen meistens in privaten Räumen statt. «Hier ist es noch ein sogenanntes Underground-Phänomen und weniger sichtbar», sagt Bernardini. Sie selbst betreut Patienten und Patientinnen, die an Chemsex-Partys teilgenommen haben. Dabei handle es sich grösstenteils um Männer zwischen 20 und 50 Jahren, die aus allen sozialen Schichten stammen. «Oftmals haben die Betroffenen eine gute Ausbildung und gehen einem gut bezahlten Job nach», so Bernardini.
Die bei den Chemsex-Partys am häufigsten verwendete chemische Substanz ist laut Bernardini Crystal Meth – Methamphetamin – aber auch Kokain. «Manchmal werden auch K.O.-Tropfen – GHB/GBL – oder Ketamin konsumiert, vor allem bei härterem Sex, unter anderem um die Schmerzen zu lindern, aber auch um die Lust zu steigern.» Der Effekt: Weniger Angst und Scham. «Einige schämen sich für ihre sexuelle Orientierung, ihren Körper, haben Schwierigkeiten mit Einsamkeit und Nähe oder trauen sich nicht, ihre sexuellen Wünsche auszuleben. Die Substanzen sollen die Hemmschwelle senken», so Bernadini.
Erste Chemsex-Tagung in der Schweiz geplant
«Werden während des Sex Substanzen konsumiert, werden Empfindungen und auch das Gefühl nach Intimität verstärkt», erklärt Falk von Staufenberg, Psychologe bei Arud. Die Hemmungen gegenüber der sexuellen Partnerinnen und Partner werden abgebaut, so dass sexuelle Bedürfnisse einfacher kommuniziert und ausgelebt werden können. «Manchmal führt auch der Wunsch nach neuen Erfahrungen, Experimentierfreudigkeit oder auch psychische Krisen zu einem ersten Substanzgebrauch», sagt von Staufenberg.
Das Problem dabei: Viele vergessen während des Konsums, Medikamente wie unter anderem PreP (Präexpositionsprophylaxe), die vor einer HIV-Ansteckung schützen, zu nehmen oder auch Kondome zu verwenden. Hinzu komme, dass die Substanzen abhängig machen können: «Ich habe Betroffene behandelt, die nach solchen Sexpartys abhängig wurden», sagt Falk von Staufenberg, Psychologe bei Arud. Einige hätten ihren Job verloren und seien in eine schwere Substanzabhängigkeit gerutscht.
Das Zentrum für Suchtmedizin Arud organisiert zusammen mit dem Checkpoint Zürich im September die erste Chemsex-Tagung in der Schweiz. Einerseits möchte man darüber informieren. Andererseits sollen negative Stereotypen, wie unter anderem, dass die Betroffenen selber Schuld seien, abgebaut werden.
Denn eine Diskriminierung der «Chemsex-Community» sei problematisch. «Sie kann dazu führen, dass Menschen, die Hilfe bräuchten, diese nicht in Anspruch nehmen», sagt Dominique Emch, Psychologin im Checkpoint Zürich. Auch Stereotypen gegenüber der LGBTQI+ können zu Schwierigkeiten beim Aufsuchen der Behandlung führen.
«Chemsex-Partys bedeuten nicht ‹häufig Sex ohne Kondom›»
Auch Florian Vock, Leiter Key Populations Aids-Hilfe Schweiz, ist das Phänomen Chemsex bekannt. Ob es einen Anstieg in der letzten Zeit gegeben habe, könne aber nicht gesagt werden. Man beobachte stetig, wie sich die Situation verändert.
Dennoch sei das Phänomen Realität. «Als Aids-Hilfe Schweiz sind wir daran interessiert, wie wir Harm reduction machen können. Das heisst, wie können wir verhindern, dass Schäden entstehen, wie beispielsweisse Überdosierungen», sagt Vock. «Dafür machen unsere Fachstellen schweizweit Präventionseinsätze und bieten Beratungen für alle an, die sie beanspruchen wollen.»
Vock betont aber auch: «Chemsex-Partys bedeuten nicht ‹häufig Sex ohne Kondom›. Wir wissen, dass Menschen, die Chemsex betreiben, sehr bewusst mit ihrem Schutzverhalten umgehen und sich regelmässig testen lassen.»
Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Problem mit illegalen Drogen?
Hier findest du Hilfe:
Sucht Schweiz, Tel. 0800 104 104
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Feel-ok, Informationen für Jugendliche
Infodrog, Information und Substanzwarnungen