Dürfen Sozialdetektive in Zürich bald «schnüffeln»?

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Abstimmung vom 7. MärzDürfen Sozialdetektive in Zürich bald «schnüffeln»?

Der Kantonsrat möchte eine rechtliche Grundlage für die Überwachung von verdächtigten Sozialhilfebetrügern schaffen. Am 7. März stimmen die Zürcher darüber ab.

Der Kanton Zürich stimmt am 7. März darüber ab, ob und wie Sozialhilfebetrüger überwacht werden dürfen.
Bisher gab es dafür keine einheitliche rechtliche Grundlage im Kanton. Jede Gemeinde konnte selbst entscheiden.
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Der Kanton Zürich stimmt am 7. März darüber ab, ob und wie Sozialhilfebetrüger überwacht werden dürfen.

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Darum gehts

  • Am 7. März stimmt der Kanton Zürich darüber ab, ob und wie Sozialhilfebetrüger überwacht werden dürfen.

  • Der Kantonsrat hat eine Initiative ausgearbeitet, die den Einsatz von Sozialdetektiven erlaubt, jedoch die Verwendung von GPS-Geräten und unangemeldete Hausbesuche verbietet.

  • 49 Gemeinden und verschiedene Parteien lehnen die Initiative ab.

  • Andere befürworten die Schaffung einer rechtlichen Grundlage.

Dürfen Sozialhilfebezüger im Kanton Zürich bei einem Verdacht auf Betrug von sogenannten Sozialdetektiven observiert werden? Darum geht es bei einer Vorlage, über die am 7. März an der Urne abgestimmt wird. Bisher gab es dafür keine einheitliche rechtliche Grundlage im Kanton. Jede Gemeinde konnte selbst entscheiden. Das soll sich nun ändern.

Der Zürcher Kantonsrat hat basierend auf einer parlamentarischen Initiative der FDP und SVP von 2017 ein Gesetz ausgearbeitet. Der Kantonsrat hat dabei jedoch zwei Punkte aus der Initiative gestrichen: unangemeldete Hausbesuche und den Einsatz von Ortungstechnologien wie GPS-Geräte. Ergänzt wurde, dass neu jede Überwachung durch den Bezirksrat bewilligt werden muss.

Was ist die Vorgeschichte?

Im Sommer 2007 wurden in der Stadt Zürich mehrere Missbrauchsfälle im Sozialwesen aufgedeckt. Als Reaktion führte die damalige Sozialvorsteherin Monika Stocker Sozialdetektive ein. Diese durften fortan bei einem Betrugsverdacht Personen observieren. Andere Gemeinden folgten dem Stadtzürcher Vorbild. 2017 endete diese Handhabung. Eine Zürcherin klagte vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Eingriff in ihre Privatsphäre. Sie erhielt recht, da es laut dem Urteil für die Observation keine gesetzliche Grundlage gegeben habe. Der Einsatz von Sozialdetektiven wurde als Folge in Zürich eingestellt. Über die neu geschaffene Rechtsgrundlage des Kantonsrats wird nun abgestimmt.

Was sagen Fachleute?

Laut dem Zürcher Sozialdepartement hat sich der Einsatz von Sozialdetektiven in der Bekämpfung von Missbrauch in der Sozialhilfe bewährt. Zwischen 2007 und Anfang 2017 habe das Inspektorat der Stadt Zürich jährlich in rund hundert Fällen mit Verdacht auf missbräuchlichen Leistungsbezug ermittelt. «In den meisten Fällen war eine Observation notwendig, weil die Mittel der Sozialarbeitenden dafür nicht ausreichen», sagt Sprecherin Debora Komso. Man brauche jedoch eine klare Rechtsgrundlage, die für alle Gemeinden gelte. Aus diesem Grund unterstützt die Sozialbehörde der Stadt Zürich den Vorschlag des Kantonrats. «Bei einer Ablehnung der Gesetzesänderung würde der bestehende unklare Rechtszustand beibehalten. Das hätte zur Folge, dass auf unbestimmte Zeit entsprechende Verdachtsfälle nicht abgeklärt werden können.»

«Die Vorlage greift massiv in das von der Verfassung und Konvention garantierte Recht der Persönlichkeit ein», sagt Rechtsanwalt Philip Stolkin. «Und sie passt auch nicht zu unserem Rechtsstaat.» Die Sozialhilfe sei geschaffen worden, um die Menschen vor Bettelexistenz und Prostitution zu bewahren, um ihnen Würde zu geben. Überwacht man sie, legt man sie wie eine Testprobe unter das Mikroskop der Sozialhilfe, so Stolkin. Dabei bringe die Vorlage wenig Ersparnis, da die Invalidenversicherung und die Unfallversicherung die Menschen konsequent in die Sozialhilfe abschieben. «Wenn die Versicherungen das zahlten, was sie müssten, wären die Sozialkassen auch nicht so überlastet. Diese Fehlleistung der Sozialversicherungen darf nicht auf dem Rücken der Empfänger ausgetragen werden.» Laut Stolkin werden die Anforderungen der Sozialkassen sowieso immer weiter erhöht. «Bereits heute muss man alles belegen und vorweisen, um finanzielle Hilfe zu bekommen. Dann sollen nicht auch noch Sozialdetektive in die Privatsphäre der Menschen schnüffeln dürfen.»

Was sagen die Befürworter?

SP-Präsidentin Priska Seiler Graf: «Mit dem Gesetz können klare Grenzen gesetzt werden, was Sozialdetektive dürfen und was eben nicht.»
GLP-Kantonsrat Ronald Alder: «Es braucht eine gesetzliche Grundlage, die alle Personen schützt, die rechtmässig Sozialhilfe beziehen.»
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SP-Präsidentin Priska Seiler Graf: «Mit dem Gesetz können klare Grenzen gesetzt werden, was Sozialdetektive dürfen und was eben nicht.»

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Nach einer heissen Diskussion hat die SP Kanton Zürich die Ja-Parole gefasst. «Wir sind gegenüber dem Einsatz von Sozialdetektiven nach wie vor sehr skeptisch», sagt Co-Präsidentin Priska Seiler Graf. Mit der Änderung des Sozialhilfegesetzes werde jedoch eine gesetzliche Grundlage geschaffen, die Rechtssicherheit bringe und vor Willkür der Gemeinden schützen soll. «So können klare Grenzen gesetzt werden, was Sozialdetektive dürfen und was eben nicht», so die Nationalrätin.

Unterstützung gibt es auch von der GLP. «Es braucht eine gesetzliche Grundlage, die alle Personen schützt, die rechtmässig Sozialhilfe beziehen», sagt Kantonsrat Ronald Alder. Das neue Gesetz entkräfte den Generalverdacht gegenüber Sozialhilfebezügern. «Observationen aber sollen nur unter strengen Bedingungen und unter Einhaltung der Grundrechte zugelassen werden. Deshalb ist es wichtig, dass eine dritte Instanz die Verhältnismässigkeit überprüft.» Neben SP und GLP haben sich auch CVP, EVP und EDU für die Vorlage ausgesprochen.

Was sagen die Gegner?

Präsident der FDP des Kantons Zürich Hans-Jakob Boesch: «Die Sozialdetektive werden von ihren Instrumenten beraubt und zahnlos gemacht.»
Co-Präsident der Grünen des Kantons Zürich Simon Meyer: «Wir wollen in einem Land leben, das Armutsbetroffene vor privaten Schnüfflern schützt.»
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Präsident der FDP des Kantons Zürich Hans-Jakob Boesch: «Die Sozialdetektive werden von ihren Instrumenten beraubt und zahnlos gemacht.»

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Gegen die Vorlage haben 49 Zürcher Gemeinden das Referendum ergriffen – darunter etwa Dietikon, Wädenswil, Dielsdorf und Bassersdorf. Sie stellen sich aber nicht gegen die Observationen, sondern fordern griffigere Mittel wie etwa GPS-Tracker und keine Bewilligungspflicht durch den Bezirksrat, um die Observationen nicht zu verzögern. Aus unterschiedlichen Gründen gegen die Vorlage sind SVP, FDP, Grüne und AL.

«Wir haben die Nein-Parole beschlossen, weil die Vorlage die Handhabung der Sozialdetektive derart einschränkt, dass sie keine Wirkung mehr zeigt», so FDP-Präsident Hans-Jakob Boesch. Die Sozialdetektive würden ohne GPS und ohne unangemeldete Hausbesuche von ihren Instrumenten beraubt und zahnlos gemacht. Wie Boesch sagt, sei das Thema bei einem Nein nicht vom Tisch. «Wir wollen weiterhin eine gesetzliche Grundlage für die Sozialdetektive schaffen.»

Die Grünen stellen sich ebenfalls gegen die Gesetzesänderung. «Wir wollen in einem Land leben, das alle Bürgerinnen und Bürger vor dem Recht gleich behandelt und Armutsbetroffene vor privaten Schnüfflern schützt», sagt Simon Meyer, Co-Präsident der Grünen. Man sei der Ansicht, dass es weder verhältnismässig noch erforderlich sei, Armutsbetroffenen mit derartigen Mitteln zu observieren.

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