Dürrenmatts Flirt mit den Nazis

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Dürrenmatts Flirt mit den Nazis

Friedrich Dürrenmatt, eine der literarischen und moralischen Instanzen der Schweiz, war mit 20 Jahren ein begeisterter Fröntler.

Der Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt war in seiner Jugend kurze Zeit Mitglied einer frontistischen Organisation. Das wusste man bereits. Was man nicht wusste: Wie begeistert der junge Dürrenmatt die Sache der Nazi-Freunde vertrat.

Der Journalist Jürg Schoch hat in einem Artikel im «Tages-Anzeiger» die rechtslastige Phase in den jungen Jahren des Büchner-Preis-Trägers beleuchtet. Er belegt mit Quellen aus dem Bundesarchiv, dass Dürrenmatt Mitglied der Fröntler-Vereinigung «Eidgenössische Sammlung» war.

Den Vater provozieren

Dürrenmatts Vater war protestantischer Pfarrer - eine Respektsperson, eine Person auch, die «eine moralische Position einnimmt», wie Dürrenmatt selber beobachtete. Als der junge Fritz in den Dreissigerjahren nach Mitteln und Wegen suchte, sich wirkungsvoll von seinem Vater abzugrenzen, stiess er auf einen «christlichen Bürgerschreck» aus dem nördlichen Nachbarland: Adolf Hitler.

Dürrenmatt selber hat später dieses «nebulöse Parteinehmen für Hitler», das er «allein als Schutz gegen die väterliche Welt des Glaubens errichtete», in seinen Erinnerungen erwähnt. So habe er sich «für einige Wochen einer frontistischen Jugendorganisation» angeschlossen.

«Nur ein paar Wochen»

Dürrenmatt habe die Hinweise auf seine frontistischen Aktivitäten knapp gehalten, urteilt Schoch. Seine Mitgliedschaft in der frontistischen «Eidgenössischen Sammlung» habe tatsächlich nur «ein paar Wochen» gedauert (Dürrenmatt trat der Organisation im Mai 1941 bei und verliess sie im September wieder). Doch Dürrenmatt wechselte bei seinem Abgang lediglich von den aktiven Mitgliedern zu den «FdE», den «Freunden der ES».

Für den «Anschluss»

In der Hochschulgruppe der ES wurde Dürrenmatt dann im November 1941 aktenkundig: Als diese sich zu einem konspirativen Treffen in einem Berner Lokal traf, war Dürrenmatt dabei - und anwesend war auch die politische Polizei, deren Rapport jetzt im Bundesarchiv liegt. Dürrenmatt habe «in der Diskussion den Wunsch geäussert, auch extreme Nationalsozialisten, also solche, die für einen Anschluss seien, in die ES ... aufzunehmen. Seines Erachtens komme sowieso nur noch ein Anschluss in Frage», rapportierte der Beamte der politischen Polizei.

Deutsche Musiker und Stalingrad

Nach seinen Auftritten in der Hochschulgruppe der ES im November 1941 gibt es keine Belege mehr für frontistische Aktivitäten Dürrenmatts. Dass er nach wie vor Sympathien für die deutsche Sache hegte, zeigt sich in einem Passus aus einem Brief an seine Eltern, den Schoch anführt.

Der Fall von Stalingrad habe immerhin «den Vorteil, dass die Deutschen sich während 3 Tagen besinnen, dass sie die grössten Musiker besitzen», schreibt Dürrenmatt. Zur Erinnerung: Stalingrad fiel im Februar 1943 - zu einem Zeitpunkt also, da der Charakter des Nazi-Regimes in Deutschland auch dem naivsten Beobachter längst klar sein musste.

Kein zweiter Grass

Schoch geht trotz allem nicht hart ins Gericht mit Dürrenmatt. «Die neuen Funde machen aus Dürrenmatt keinen zweiten "Fall Grass"», schreibt er. Sie seien zwar nicht schmeichelhaft, beschädigten aber weder Werk noch Person des «grossen Schriftstellers».

«Überraschend ist der späte Zeitpunkt»

In einem Interview auf Radio DRS 2 zeigt sich Ulrich Weber, der im Schweizer Literaturarchiv den Nachlass von Friedrich Dürrenmatt betreut, überrascht über den späten Zeitpunkt der dürrenmattschen Verirrung. Aus Dürrenmatts Erzählungen habe man eher den Eindruck gewinnen können, dass sein Flirt mit den Frontisten im Gymnasium stattgefunden habe.

Gleichwohl sei es nicht notwendig, ein neues Dürrenmatt-Bild zu entwerfen. Die Parallelen zum Fall Grass seien nur vordergründig; Dürrenmatt habe sich ja auch nie moralisch über andere zu erheben versucht.

dhr

Die Frontisten

Die deutschen Nazis fanden in der Schweiz - besonders in der Deutschschweiz, besonders im Frontenfrühling 1933 - einige begeisterte Anhänger, die sich in Fronten zusammenschlossen. Die wachsende Arbeitslosigkeit bescherte diesen rechtsextremen Bewegungen Zulauf: Die «Nationale Front», 1933 gegründet, war zeitweise mit einem Sitz im Nationalrat vertreten. 1940 wurde ihr Präsident verhaftet und die Partei löste sich auf. Nachfolgeorganisationen wie die «Eidgenössische Sammlung» wurden 1943 verboten.

Die Frontenbewegung, deren Einfluss weit in die bürgerlichen Parteien hineinreichte, sprach vor allem Leute aus dem unteren Mittelstand an. Die Fröntler pflegten dasselbe Feindbild wie die Nazis: Ihr Hass richtete sich gegen Juden, Freimaurer, Kommunisten und die «internationalen Hochfinanz».

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