Waffen-ExperteEin Buchhalter entlarvt Syriens Kriegsparteien
Eliot Higgins ist ein arbeitsloser Buchhalter – und äusserst gefragter Syrien-Experte: In seinem Wohnzimmer in England analysiert er die tägliche Videoflut aus dem Bürgerkriegsgebiet.
Er ist kein Kriegsreporter, er war noch nie in einem Kriegsgebiet und er spricht auch kein Arabisch. Trotzdem ist Eliot Higgins derzeit einer der gefragtesten Syrien-Experten weltweit. Von seinem Wohnzimmer in Leicester, über 3000 Kilometer von Damaskus entfernt, analysiert der Engländer täglich die neusten Youtube-Videos aus dem Bürgerkriegsgebiet. Amnesty International, die «New York Times» und sogar das britische Parlament stützen sich auf seine Arbeit: Er dokumentiert, welche Seite welche Waffen einsetzt.
Higgins ist von Haus aus Buchhalter – keine optimalen Voraussetzungen für einen Waffenexperten, müsste man meinen. Doch er bringt eine andere, wesentlich wertvollere Eigenschaft mit: Akribie. Die ist nötig, um die tägliche Flut von Amateur-Videos aus Syrien zu sichten und zu analysieren. Jeden Tag klappert er zu diesem Zweck hunderte von Youtube-Kanälen ab. Seit er im vergangenen Oktober arbeitslos wurde, hat er sich das nötige Fachwissen über Waffen autodidaktisch angeeignet.
Heikle Waffenlieferungen aus dem Westen?
Seine Hartnäckigkeit hat sich schon mehrmals ausbezahlt: Der 34-jährige Familienvater belegte als erster den grossflächigen Einsatz von Streumunition durch Regierungstruppen, obwohl Damaskus dies vehement bestreitet. Zuletzt entdeckte er Raketenwerfer kroatischer Herkunft – ein Hinweis für Waffenlieferungen des Westens an die Rebellen. Brisant: Auf einem Video wird dieser Waffentyp von Islamisten eingesetzt. Das bestätigt weitverbreitete Ängste, Waffen aus dem Westen könnten in den falschen Händen landen.
Menschenrechtsorganisationen sind voll des Lobs für Higgins: «Eliot ist sehr gewissenhaft, er hat ein Adlerauge und weiss, worauf Waffenkontrolleure achten», sagt Kristyan Benedict von Amnesty International gegenüber der ARD. Der Engländer bleibt indes bescheiden: «Meine Arbeit ersetzt nicht den Kriegsreporter vor Ort», betont er gegenüber dem «Guardian». Er helfe lediglich, die Geschichte zu erzählen. Vor dem Arabischen Frühling habe er nicht mehr über Waffen gewusst, als ein «durchschnittlicher Xbox-Benutzer». «Damals wusste ich nur das, was ich von Arnold Schwarzenegger und Rambo gelernt hatte», sagt er.
Seine Frau bezahlt die Rechnungen
Zu Beginn seiner Tätigkeit arbeitete er anonym. Der Name seines Blogs, «Brown Moses», rief Verschwörungstheoretiker jeglicher Couleur auf den Plan: «Die Leute denken, dass ich schwarz und Jude bin, manche wurden rassistisch ausfällig», sagte Higgins. Des weiteren wurde er der Kollaboration mit den Geheimdiensten CIA, MI5, MI6 und Mossad bezichtigt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund beschloss er unlängst, seine Identität preiszugeben. Der Name «Brown Moses» geht übrigens auf einen Song von Frank Zappa zurück.
Higgins ist «arbeitslos». Er arbeitet ohne Entgelt und stellt seine Analysen für jedermann kostenlos auf seinem Blog zur Verfügung. Neben seiner Tätigkeit als Waffenexperte passt er auf seine 18 Monate alte Tochter auf. Die Rechnungen der dreiköpfigen Familie bezahlt seine Frau mit ihrem Gehalt als Postangestellte.