«Pornografie» aus VenezuelaEin Foto wird zur Staatsaffäre
Nackte Tote in einer Leichenhalle – das Foto auf der Titelseite einer venezolanischen Tageszeitung lässt die Wogen hochschlagen. Dabei geht es nur am Rande um die Frage der Pietät.
Miguel Otero, der Verleger von «El Nacional», steht auch fünf Tage nach der Veröffentlichung eines dramatischen Fotos auf dem Titelblatt seiner Zeitung hinter seiner Entscheidung: Das farbige Bild zeigte etwa ein Dutzend Leichen, die meisten nackt und auf Bahren liegend, in einer Leichenhalle der Hauptstadt Caracas. Es sollte einen Bericht über die zunehmende Gewalt im südamerikanischen Land illustrieren.
Doch die Regierung von Präsident Hugo Chávez sah die Sache etwas anders. Das Schockbild sei Ausdruck des «pornografischen Journalismus», der im Land betrieben werde, hiess es von offizieller Seite. Ausserdem sei mit der Veröffentlichung des Fotos ein Gesetz verletzt worden, das Kinder vor dem Anblick solcher Bilder schützen soll. Dem Medienunternehmen wurde deshalb umgehend zur Auflage gemacht, «keine Bilder, Informationen oder Werbungen zu publizieren, auf denen Blut, Waffen oder Gewaltdarstellungen jeglicher Art zu sehen sind».
Solche Bilder «helfen»
«Mit der Veröffentlichung verfolgten wir die Absicht, einen Schock auszulösen», erklärt Otero. «Die Leute sollen auf die Tatsache reagieren, dass die Regierung nichts gegen die Gewalt in unserem Land tut.» Die verhängte Strafe sei darum «unverhältnismässig». Bilder, die Gewalt und Tod zeigen, wie das aus dem Leichenhaus, würden täglich in anderen Zeitungen veröffentlicht, nur nicht so prominent, rechtfertigt sich der Verleger. «Der Persönlichkeitsschutz in Venezuela ist ein absolutes Chaos. Die Zahlen (von Gewaltverbrechen, Anm. d. Red.) wachsen, wachsen und wachsen bis zu einem Punkt, an dem sie ausser Kontrolle geraten», sagt Otero.
Die Regierung von Präsident Chávez beschwerte sich hingegen, dass das verwendete Bild älteren Datums und die Leichenhalle heute in einem viel besseren Zustand sei. Das stimme nicht, kontert Otero. Das Bild sei im Dezember 2009 aufgenommen worden. Trotz des Verbots werde er weiter solche Bilder in seiner Zeitung abdrucken, droht er.
Auch Menschenrechtsorganisationen nahmen Stellung zu dieser Affäre: Das Verbot sei Teil der Strategie der Regierung, die Pressefreiheit einzuschränken. Die Antwort der Regierung liess nicht lange auf sich warten: Das Bild sei Teil einer Kampagne, mit der der Opposition zum Sieg bei den Parlamentswahlen im kommenden September verholfen werden solle. Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Verbrechen in Venezuela rückläufig.