«Ein Fudiklaps ist sinnlos, schadet aber nicht»

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Gewalt gegen Kinder«Ein Fudiklaps ist sinnlos, schadet aber nicht»

Braucht es strengere Gesetze, um Gewalt gegen Kinder zu verhindern? Die Politiker sind sich nicht einig.

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42 Prozent der Kinder, die von Forschern der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften befragt wurden, sagten, sie hätten schon leichte Gewalt erlebt.
Besonders oft schlagen Eltern aus niedrigen sozialen Schichten oder mit Migrationshintergrund aus Portugal oder dem Balkan zu.
SP-Nationalrätin Chantal Galladé ist über die Zahlen schockiert. Sie will deshalb einen neuen Vorstoss einreichen, der ein Verbot leichter Tätlichkeiten an Kindern im Zivilgesetzbuch festschreiben soll. Bisher war sie mit dem Anliegen im Parlament gescheitert.
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42 Prozent der Kinder, die von Forschern der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften befragt wurden, sagten, sie hätten schon leichte Gewalt erlebt.

iStock / Symbolbild

Jedes fünfte Kind in der Schweiz wird von seinen Eltern verprügelt, mit Fusstritten und Schlägen traktiert oder mit Gegenständen geschlagen. Weitere 42 Prozent erleben laut einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften leichte Gewalt wie eine Ohrfeige oder Stossen. Besonders oft schlagen Eltern aus niedrigen sozialen Schichten oder mit Migrationshintergrund aus Portugal oder dem Balkan zu.

SP-Nationalrätin Chantal Galladé ist über die Zahlen schockiert. «Nein. Wirklich? So hoch?», fragt sie, als die Zeitung «Nordwestschweiz» sie anruft. Bereits in der Vergangenheit setzte sich Galladé dafür ein, dass auch leichte Tätlichkeiten wie eine Ohrfeige verboten werden, in der Schweiz sind diese momentan erlaubt (siehe Box). Sie reichte eine entsprechende Motion im Parlament ein, die jedoch abgelehnt wurde.

Galladé plant neuen Vorstoss

Nun plant sie einen neuen Vorstoss, der ein Verbot leichter Tätlichkeiten an Kindern im Zivilgesetzbuch festschreiben soll. Das Verbot solle an Präventionsmassnahmen, vielleicht an eine Kampagne geknüpft werden. «Ich bin mir sicher, ein Bewusstsein lässt sich eher schaffen, wenn wir den Eltern sagen können: ‹Hey, es ist in der Schweiz verboten, dein Kind zu schlagen›», sagt Galladé.

Fraktionskollegin Yvonne Feri, die auch Präsidentin der Stiftung Kinderschutz Schweiz ist, unterstützt Galladés Vorhaben im Endziel. «In Schweden hat man Gewalt in der Erziehung von Kindern explizit verboten, die Zahlen sind sofort deutlich gesunken.» Zu dem Verbot habe es dort eine Präventions- und Sensibilisierungskampagne gegeben. Für Feri ein Element, das es zu politischen Forderungen zwingend braucht, in der Vergangenheit hierzulande aber fehlte. «Es braucht mehr Mittel, damit beispielsweise Gemeinden Kurse für werdende Eltern anbieten können. Dort können sie lernen, wie sie mit dem Kind auch in stressigen Situationen richtig umgehen können.»

«Ein neues Gesetz bringt nichts»

Gegen ein Züchtigungsverbot im Gesetz stellt sich die ehemalige Kindergärtnerin und SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler. «Ein neues Gesetz bringt nichts. Tätlichkeiten stehen bereits heute unter Strafe. Wer sein Kind schlägt, kann dafür verurteilt werden.» Ein allfälliges neues Verbot betreffe höchstes einen Klaps aufs Hinterteil. «Ein Fudiklaps ist zwar keine sinnvolle Erziehungsmassnahme, schadet dem Kind aber auch nicht.»

Viel eher braucht es laut Geissbühler Angehörige, Nachbarn und Kinderbetreuer, die genau hinschauen. «Blaue Flecken sind ein Alarmsignal, bei dem man nachfragen und gegebenenfalls die Polizei informieren sollte.» Auch sie ist für eine bessere Information der Eltern, etwa durch Informationsbroschüren. «Gleich nach der Geburt sollte man ihnen eine Broschüre in die Hand drücken, in der Hilfsangebote aufgelistet sind. In schwierigen Situationen müssen überforderte Eltern diese Angebote in Anspruch nehmen.»

Bundesrat will keine Neuregelung

Auch der Bundesrat stellt sich gegen ein neues Verbot. «Es passiert nichts – nicht im negativen und leider auch nicht im positiven Sinn –, wenn Sie das Züchtigungsverbot ins Gesetz schreiben», sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga in der Parlamentsdebatte zu Galladés altem Vorstoss.

Der Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit sei bereits in der Bundesverfassung verankert, und zwar in Artikel 11 Absatz 1: «Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.»

Daraus leite man heute explizit ein Grundrecht auf gewaltfreie Erziehung ab. Der Bundesrat sei der Meinung, dass es angesichts dieser Rechtslage nicht notwendig sei, das Zivil- oder Strafrecht jetzt noch zusätzlich zu ändern. Gewalt in irgendeiner Form habe aber natürlich in der Erziehung keinen Platz.

Rechtslage in der Schweiz

Das Recht der Eltern auf Züchtigung wurde in der Schweiz zwar 1978 aus dem Zivilgesetzbuch gestrichen, es existiert aber kein Verbot von Körperstrafen, die nicht zu sichtbaren Schäden führen. Dies bedeutet gemäss Umkehrschluss, dass solche Körperstrafen wie eine Ohrfeige oder ein Klaps auf den Hintern erlaubt sind.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichts hat diese Schlussfolgerung bestätigt, indem sie körperliche Züchtigungen im Rahmen der Familie nicht als physische Gewaltakte betrachtet, wenn sie ein «gewisses von der Gesellschaft akzeptiertes Mass nicht überschreitet» und «nicht allzu häufig wiederholt wird».

Ein «von der Gesellschaft akzeptiertes Mass» kann jedoch nicht problemlos festgelegt werden, da zwischen den verschiedenen Generationen, Gemeinschaften und sozioökonomischen Gruppen keine Einigkeit bezüglich eines einheitlichen Masses an akzeptierter körperlicher Bestrafung besteht. Deshalb führt diese Handhabung zu einer Rechtsunsicherheit.

Quelle: Humanrights.ch

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