Ukraine – «Ein Krieg der Bomben» – Fotograf zeigt den Schrecken in Schwarz-Weiss

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Ukraine«Ein Krieg der Bomben» – Fotograf zeigt den Schrecken in Schwarz-Weiss

Eddy van Wessel, mehrfach ausgezeichneter Fotograf, dokumentiert den Krieg in der Ukraine. Derzeit sei er in Charkiw nahe der russischen Grenze, erzählt er am Telefon. 

Mykola Malinchyk las zu Hause in Mykolajiw die Zeitung, als eine Bombe sein Haus traf. Er lag Stunden unter dem Schutt, bevor Retter ihn befreien und mit schweren Verbrennungen ins Spital bringen konnten.
Im Stadtzentrum von Charkiw: Die Wasserleitungen sind durch das anhaltende Bombardement zerstört, das herausströmende Wasser ist in den noch kalten Tagen in der Ostukraine zu Eis gefroren.
Kriegsfotograf van Wessel will noch eine weitere Woche in der Ukraine bleiben. 
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Mykola Malinchyk las zu Hause in Mykolajiw die Zeitung, als eine Bombe sein Haus traf. Er lag Stunden unter dem Schutt, bevor Retter ihn befreien und mit schweren Verbrennungen ins Spital bringen konnten.

Eddy Van Wessel

Darum gehts

«Die Sicherheitslage ist ziemlich verrückt hier. Allein heute habe ich 80 Einschläge gehört.» Später am Abend schreibt van Wessel, dass die Bombardements noch einmal zugenommen hätten: «Einschläge alle 20 Sekunden, es ist gerade russisches Roulette hier.» Er mache sich auf den Weg in den Bunker.

Der gebürtige Niederländer übernachtet im ostukrainischen Charkiw in einem regulären Hotel. «Ich schlafe nicht im Bett, sondern im Badezimmer. Denn das Schlafzimmer ist direkt zur Front ausgerichtet. Die ist zwar immer noch sieben Kilometer entfernt, aber das reicht.» 

Einsätze und Tagesablauf verlangen ihm viel ab. «Ich stehe um fünf Uhr auf, trinke Kaffee, recherchiere und plane den Tag, indem ich Live-Karten studiere, schaue, was sich zum Vortag verändert hat, wo neue No-Go-Gebiete sind.» Dann fahre er los, fotografiere, bis die Sonne untergehe, und sichte dann sein Material. «Es sind 20-Stunden-Tage, an denen man kaum isst und schläft.» 

«Viel effizienter als in Tschetschenien oder Syrien»

Gegenüber Schussweste und Helm hat der 65-Jährige eine grosse Abneigung. «Der Schutz schafft eine Distanz zu den anderen Menschen, die keine Schutzausrüstung haben. Man ist ja nichts Besseres oder schützenswerter als andere. Aber hier ist es wirklich nötig.»

Van Wessel fotografiert Kriege und Konflikte in aller Welt. Der Ukraine-Krieg ist für ihn aber anders. «Die Raketen und Bomben sind viel effizienter, als sie früher waren, etwa in Tschetschenien oder Syrien – leider ein sehr trauriger Fortschritt», sagt er. Russland setzt in seinem Angriffskrieg eine ganze Palette an todbringenden Waffen ein, von Smertsch-Raketen (320-Millimeter-Geschosse) über Uragan-Raketen (240 Millimeter) bis zu den berüchtigten Grad-Raketen (122-Millimeter-Kaliber). Es sind allesamt Salvenfeuer-Systeme mit besonderer Durchschlagskraft. «Es ist ein absoluter Krieg der Bomben», so van Wessel. 

«In solchen Momenten habe ich wirklich Angst»

Die Folgen sind entsprechend brutal: «In Mykolajiw im Süden der Ukraine sah ich die Folgen von Clusterbomben. Zehn schlugen aufs Mal ein. Und dann lagen da überall tote Kinder. Grauenhaft.»
Ja, er habe sehr wohl Angst – «gerade in diesem Krieg», sagt van Wessel. «Die Luftschläge lassen sich nicht vorhersagen, man weiss nie, wo die Bomben einschlagen werden.»

Als er in Mykolajiw Fotos von getöteten Soldaten schoss, landete eine Rakete nur etwa hundert Meter entfernt. «Ich glaube, sie hatte das Ziel verfehlt, und hätte die Baracke treffen sollen, wo ich stand. In solchen Momenten habe ich wirklich Angst.» Die Angst sei allerdings kontrollierbar. «Jedenfalls solange die Neugier überwiegt. Wenn sich das aber ändert und die Angst Überhand nimmt, ist es Zeit zu gehen.» 

Charkiw: Von pro-russisch zu pro-ukrainisch

Van Wessel will noch eine weitere Woche in der Ukraine bleiben. Gerade Charkiw hat es ihm angetan. «Die Stadt hat eine grosse pro-russische Bevölkerung. Jetzt wird diese von russischen Bomben im Minutentakt beschossen. Wie wird eine Russland-freundliche Stadt damit fertig, vom einstigen Freund angegriffen zu werden?»

Er habe festgestellt, dass die Gemeinschaft Charkiws stark und in sich geschlossen sei und sich schnell von einer pro-russischen in eine pro-ukrainische oder zumindest anti-russische Stadt gewandelt habe. «Alle russischen Symbole und Beschriftungen, die es zuvor überall gab, sind abgenommen worden. Und Putin, so sagen mir hier viele, wünscht man direkt den Tod.»

«Zeigen, worum es wirklich geht»

Ist er verrückt, sich diesen Gefahren auszusetzen? Van Wessel lacht: «Das fragen mich meine Freunde auch. Meine persönliche Motivation ist es, im Zentrum des Krieges zu sein, um zeigen zu können, worum es wirklich geht, wie er aussieht, was damit alles einhergeht.»

Seine Aufnahmen sollten den Menschen die Folgen des Krieges bewusst machen. «Die meisten Ukrainer hätten vor zwei Monaten niemals gedacht, dass es im ganzen Land Krieg geben würde. Doch er könnte auch an unserer Tür klopfen.»

«Sonst wird der Krieg etwas Theoretisches» 

Einige Medien in der Schweiz haben sich dazu entschlossen, keine Bilder aus dem Krieg mehr zu zeigen, da diese die Lesenden verstörten. Was hält der Niederländer davon? «Gar nichts. Denn so wird der Krieg etwas Theoretisches, etwas Abstraktes. Ich würde dem nie zustimmen – aber ich bin ja auch Fotograf, und meine Sprache sind natürlich Bilder.»

An die Schrecken des Krieges gewöhnt sich Eddy van Wessel nicht. «Und nein, die Kamera wirkt auch nie wie ein schützender Puffer zur Realität. Man nimmt ja immer noch alles mit den eigenen Augen auf», so van Wessel. «Die Kamera sollte auch nicht als Schutz wirken. Je ungefilterter, desto besser das Foto.»

Kriege in Schwarz-Weiss

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