Risiko in der Schweiz«Ein solches Beben ist auch bei uns möglich»
In der Nacht auf Mittwoch hat ein Erdbeben Italien erschüttert. Es gab viele Tote. Eine solche Katastrophe könnte auch die Schweiz treffen.
Ein Erdbeben der Stärke 6,1 hat in der Nacht auf Mittwoch um 3.36 Uhr Mittelitalien erschüttert. Mehrere Dutzend Menschen kamen ums Leben.In Italien kommt es auf Grund seiner geografischen Lage immer wieder zu Erdstössen. Doch wie sehr sind wir in der Schweiz von solch schwerwiegenden Erdbeben gefährdet?
Die Erdbebengefährdung der Schweiz liegt im europäischen Vergleich auf mittlerem Niveau, schreibt das Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf seiner Webseite. Starke Erdbeben bis zu einer Magnitude 7 seien möglich, aber deutlich seltener als in hochgefährdeten Gebieten wie Italien oder der Türkei.
«Erdbeben mit Stärke 6 in der Schweiz alle 100 Jahre»
Michèle Marti, Leiterin Kommunikation des Schweizerischen Erdbebendienstes, sagt: «Auch bei uns muss mit solchen starken Erdbeben gerechnet werden.» Ein Beben mit Stärke 6 gebe es in der Schweiz im Schnitt alle 50 bis 150 Jahre. Besonders gefährdet sind die Regionen Wallis, Basel, Zentralschweiz und das St. Galler Rheintal. Das letzte Mal passierte es 1946 im Wallis: Es gab drei Tote und zahlreiche Verletzte.
Opfer könnten auch heute wieder zu beklagen sein, denn: «Es gibt erst seit 1989 eine Erdbebennorm für Häuser in der Schweiz», erklärt der emeritierte ETH-Professor und Erdbebenexperte Hugo Bachmann. Bei rund 80 Prozent der Gebäude wisse man heute nicht, ob sie genügend gegen Erdbeben gesichert sind. Hier wäre gemäss Bachmann ein Gesetz gefragt: «In den meisten Kantonen gibt es keine Kontrollen, ob die Erdbebenvorschriften des Schweizer Ingenieur- und Architektenvereins eingehalten werden.» So seien wir «nach wie vor nicht gut gewappnet» und es könne auch bei uns in einer solchen Situation «viele Tote geben».
«Wir sind nicht gut gewappnet»
Ausserdem gebe es bei uns wie auch in Italien viele Backsteingebäude. Diese sind weniger resistent als Stahlbetonbauten, so Bachmann. Ansgar Gmür, Direktor des Schweizer Hauseigentümerverbands, entgegnet: «Eine Sanierung all dieser Gebäude würde mindestens 300 Milliarden Franken kosten.» Während den Bauarbeiten müssten die Bewohner anderswo untergebracht werden und folglich würden die Kosten für die Wohnungen steigen. Ausserdem sei die Schweiz «kein typisches Erdbebenland» und wir hätten eine massiv bessere Bausubstanz als andere Länder. «Dadurch sind wir auch schon in gewisser Weise besser gegen die Auswirkungen von Erdbeben geschützt», so Gmür.
Aber auch der Bundesrat sieht Lücken beim Schutz vor Erdbeben. In einem am Mittwoch verabschiedeten Bericht schreibt er, es sollen im Rahmen des Programms «Erdbebenvorsorge 2017-2020» Massnahmen ergriffen werden. Unter anderem sollen im Bauwesen einheitliche Normen für naturgefahrengerechtes Bauen gelten und das Risikobewusstsein in der Bevölkerung soll verbessert werden.
«Auch die Tiefe des Bebens spielt eine Rolle»
Um seinen Neubau gegen Erdbeben zu sichern, muss man nicht tief in das Portemonnaie greifen: «Die Kosten dafür betragen maximal ein Prozent der Bausumme», sagt Michèle Marti vom Schweizerischen Erdbebendienst. Man kann sich auch durch vorbereitende Massnahmen bis zu einem gewissen Grad vor den Auswirkungen eines Erdbebens schützen. «Gut ist auch, wenn man versucht herauszufinden, was mir bei einem Beben auf den Kopf fallen könnte – wie zum Beispiel das grosse Wörterbuch auf dem Bücherregal der Familie.»
Welche Auswirkungen ein solches Erdbeben hat, hängt von verschiedenen Faktoren ab. «Zentral ist die Magnitude, je stärker ein Beben, desto grösser die zu erwartenden Schäden. Zudem gilt, je dichter an einer stark besiedelten Region oder Stadt das Epizentrum des Bebens ist, desto schlimmer sind die Auswirkungen», erklärt Marti. Doch auch die Tiefe des Bebens spielt eine Rolle: «In Italien war das Beben nur 4 Kilometer unter der Erdoberfläche.» Das könne die Schäden massiv verstärken.
Der Schweizerische Erdbebendienst gibt auf seiner Webseite verschiedene Verhaltensempfehlungen für vor, während und nach einem starken Erdbeben.
So wirken sich Erdbeben aus und so misst man sie
Die Stärke von Erdbeben wird mit Seismographen gemessen. Sie zeichnen die Stärke von Bodenbewegungen auf, die sogenannte Magnitude.
Erdbeben können unterschiedliche Auswirkungen haben. Meist gilt:
- Stärke 1-2: Nur durch Instrumente nachzuweisen
- Stärke 3: Nur in der Nähe des Epizentrums zu spüren
- Stärke 4-5: 30 Kilometer um das Zentrum spürbar, leichte Schäden
- Stärke 6: Tote und schwere Schäden in dicht besiedelten Regionen
- Stärke 7: In weiten Gebieten stürzen Häuser ein, viele Menschen sterben
- Stärke 8: Verwüstungen im Umkreis Hunderter Kilometer, sehr viele Opfer
Mit jedem Stärke-Punkt Unterschied steigt die Erschütterungsenergie um mehr als das 30-Fache. (SDA)