«Weiterer kaum entschuldbarer Fauxpax»Russland bot der Schweiz Impfstoff Sputnik an – BAG reagierte nie
Russland soll zweimal mit einem Angebot für seinen Impfstoff Sputnik V beim Bund aufgelaufen sein, sagt Russlands Botschafter gegenüber 20 Minuten. Mehrere Politiker und der Ex-BAG-Vizedirektor sind darüber schockiert – und drängen auf eine Prüfung von Sputnik.
Darum gehts
Ein russischer Botschafter machte das BAG zweimal auf den Impfstoff-V aufmerksam und erhielt beide Male keine Antwort.
Das BAG als Krisenorganisation habe die Pflicht, alle Impfstoffangebote zu prüfen, sagt Andreas Faller, Ex-Vizedirektor des BAG.
Parlamentarier sprechen von einem unentschuldbaren Fauxpas oder zeigen sich schockiert.
Den russischen Impfstoff halten bürgerliche und linke Politiker für prüfenswert.
Der Wind hat sich gedreht: Seit dem russischen Impfstoff Sputnik-V eine Wirksamkeit von 91, 6 Prozent zugesprochen wird und der Westen mit Impfengpässen kämpft, ist das Misstrauen gegenüber dem russischen Vakzin gesunken.
«Am liebsten wäre mir natürlich ein Schweizer Impfstoff», sagt SVP-Präsident Marco Chiesa. Da ein solcher aber nicht vorhanden sei und es Probleme mit dem Impfplan gebe, halte er den russischen Impfstoff für dringend prüfenswert.
«BAG müsse Herstellern Hilfe bieten»
Laut dem russischen Botschafter Sergei Garmonin stiess Moskau beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) jedoch zweimal auf taube Ohren. Nach eigenen Angaben nahm er mit der Schweiz am 17. August und am 22. Dezember 2020 Kontakt auf und signalisierte die Bereitschaft, den Impfstoff auch der Schweiz zur Verfügung zu stellen. Beide Male habe er keine Antwort (siehe Box) erhalten, sagt Garmonin.
Andreas Faller, Anwalt für Gesundheitsrecht und Ex- Vizedirektor des BAG, kann das Vorgehen nicht nachvollziehen. «Nicht antworten ist für eine Krisenorganisation ein No-Go», sagt er. Das BAG als Krisenorganisation habe die Pflicht, alle Impfstoffangebote zu prüfen. Das BAG müsse den Herstellern Hilfe bieten, damit diese so schnell wie möglich ein Gesuch stellen könnten. «Es wäre unverzeihlich, bei der Beschaffung von Impfstoffen nicht alle Opportunitäten zu prüfen.»
«Vorgehen des BAG schockiert mich»
Auch Parlamentarier üben Kritik. «Das Vorgehen des BAG schockiert mich geradezu», sagt SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer. Der Run auf Impfstoffe sei enorm. «Auf ein Angebot nicht zu reagieren, ist gegenüber Russland und der Schweizer Bevölkerung respektlos.»
Das BAG habe dem Botschafter nicht geantwortet, weil die offizielle Schweiz den russischen Impfstoff belächle, vermutet Schläpfer. «Auch in Anbetracht der weltweiten Lieferschwierigkeiten der Impfstoffe sollte das BAG jetzt aber dringend Kontakt aufnehmen mit dem russischen Botschafter, sodass Swissmedic Sputnik-V wie jeden anderen Impfstoff prüfen kann.»
Auch GLP-Nationalrat Martin Bäumle sagt: «Sollte die Information des russischen Botschafters stimmen und die Schweiz bereits seit August ein Angebot für Sputnik V erhalten und offenbar nicht mal geantwortet haben, wäre das ein weiterer, kaum entschuldbarer grober Fauxpas des BAG in der Impfsache.»
«Hohe Arbeitsbelastung»
Nachsicht walten lässt Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. «Es ist unschön. Das macht man nicht.». Dennoch dürfe man die hohe Arbeitsbelastung der BAG-Mitarbeiter nicht vergessen. «Dort wird rund um die Uhr gearbeitet. Was die Mitarbeiter seit bald einem Jahr leisten, ist übermenschlich.»
Den russischen Impfstoff hält Prelicz-Huber grundsätzlich für prüfenswert. Dringend nötig sei dieser aber nicht, da der Bund zusätzlichen Impfstoff gekauft habe. «Die SVP will sich mit der Forderung vor allem wieder einmal prominent in Szene setzen», sagt sie. Beginne die Schweiz aus einer Panik heraus alle möglichen Impfstoffe zu prüfen, steige die Fehlergefahr. «Ich bin ja gespannt, ob Herr Chiesa bereit wäre, sich für die Kosten von Impfschäden einzusetzen.»
Sputnik-V beschleunige Öffnungen nicht
FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen will die Reaktion des BAG nicht beurteilen. Fest steht für ihn, dass Sputnik-V zu prüfen sei. «Wenn man von Anfang an Impfstoffe ausschliesst, ist man in dieser Situation nicht gut bedient.» Aufgrund der langen Prüfdauer werde dieser Impfstoff in Bezug auf Öffnungen im März leider keine Rolle spielen.
Für SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer ist die Debatte zum russischen Impfstoffs nicht die zentrale Frage. «Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit sollen möglichst viele Menschen geimpft werden», sagt sie. Dieses Ziel erreiche man nur, wenn die Corona-Impfpatente temporär aufgehoben würden. «Dann kann mehr produziert und in allen Ländern mehr und schneller geimpft werden.»
Ablauf für Impfstoffgesuche
Für die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen ist das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zuständig. Will ein Hersteller der Schweiz einen Impfstoff anbieten, wendet er sich demnach zuerst an das BAG. Zeigt das BAG Interesse, stellt der Hersteller in einem zweiten Schritt dem Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic ein Zulassungsgesuch. Voraussetzung dafür ist, dass der Gesuchsteller einen Firmensitz für ein pharmazeutisches Unternehmen in der Schweiz hat. «Für Sputnik-V liegt uns kein Gesuch vor», sagt Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi.
Erst wenn eine Gesuchstellerin das Zulassungsdossier mit allen Ergebnissen der Studien, die sie durchführe, einreiche, würden diese begutachtet. Swissmedic behandle alle Gesuche in Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie prioritär, ohne Abstriche bei der wissenschaftlichen Prüfung und damit bei der Sicherheit zu machen.
Laut Jaggi ging das diversifizierte Vorgehen des BAG bei der Impfstoffbeschaffung auf. Zu Beginn der Beschaffungsverhandlungen im letzten Sommer habe die Behörde noch nicht gewusst, welcher der verschiedenen Impfstoffkandidaten es auf den Markt schaffen werde. Mit Pfizer-Biontech und Moderna habe das BAG zwei der vielversprechendsten Kandidaten früh identifiziert und damit auf die richtigen Pferde gesetzt.
Das sagt das BAG
Auf die Vorwürfe des russischen Botschafters, Russlands Angebote ignoriert zu haben, schreibt das BAG: «Da die Entwicklung der Pandemie schwierig einzuschätzen ist, steht der Bund weiterhin mit verschiedenen Impfstoffherstellern in Kontakt ̶ auch mit den Vertretern von Sputnik.» Seit wann man mit Russland in Kontakt stehe, lässt die Behörde offen. Sie dementiert damit auch nicht, dass die russischen Angebote im August und im Dezember unbeantwortet blieben. Allgemein schreibt das BAG weiter: «Ein Impfstoff muss durch Swissmedic zugelassen werden, bevor er in der Schweiz zum Einsatz kommen darf. Oberste Priorität bei jedem Impfstoff haben die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit.» (pam)
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Hier findest du Hilfe:
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BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92
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Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
Hotline bei Angststörungen und Panik, Tel. 0848 801 109
Pro Juventute, Tel. 147
Dargebotene Hand, Tel. 143