«Eine Katastrophe»Wegen ChatGPT: Lehrer laufen gegen Abschaffung von ABU-Prüfung Sturm
Die Abschlussprüfungen in Allgemeinbildung an Berufsschulen werden durch selbstständiges Arbeiten ersetzt. Der Präsident des Zürcher Lehrkräfteverbands ist schockiert, das Amt verteidigt die Entscheidung.
Darum gehts
Ab 2026 werden die Abschlussprüfungen des allgemeinbildenden Unterrichts (ABU) an Berufsschulen neu gestaltet.
Die Abschlussnote setzt sich künftig zu gleichen Teilen aus der Erfahrungsnote und einer Schlussarbeit zusammen.
Der Präsident des Zürcher Lehrkräfteverbands in der Berufsbildung (ZLB) warnt, dass durch Einsatz künstlicher Intelligenz das Können der Lernenden so schwer zu beurteilen sei.
Bund und Politik sehen die Reform positiv: Sie soll den Fokus von reiner Wissensabfrage auf die konkrete Anwendung vom Gelernten legen.
Vom verantwortungsvollen Umgang mit Geld über das Formulieren eigener Meinungen bis hin zu Abstimmungs- und Wahlprozessen – der allgemeinbildende Unterricht (ABU) in der Berufsschule behandelt praxisnahe Themen aus Gesellschaft und Kommunikation. Das Ziel: Lernenden Fähigkeiten zu vermitteln, die ihnen helfen, sich in der Arbeitswelt zurechtzufinden und sich erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren.
Bisher wurde der Stoff in Form einer Abschlussprüfung geprüft, sodass die Abschlussnote gleichmässig aus Zeugnisnoten, Vertiefungsarbeit und Schlussprüfung bestand. Ab 2026 wird aber eine Reform in Kraft gesetzt: Die Schlussnote soll sich neu zu gleichen Teilen aus Zeugnisnoten und einer Abschlussarbeit zusammensetzen, jeweils mit 50 Prozent.
Mehr ChatGPT und weniger Demokratie?
«Eine Katastrophe», findet Konrad Kuoni, Präsident des Zürcher Verbandes der Lehrkräfte in der Berufsbildung ZLB. «In Zeiten von ChatGPT ist es absurd, einer Abschlussarbeit noch mehr Gewicht zu geben», kritisiert er.
Kuoni betont, dass bei der Planung der Reform dieser Faktor noch nicht ausreichend berücksichtigt werden konnte: «2021 wurde die Idee initiiert, und Ende 2022 kam ChatGPT gross heraus.» Heute sei es nahezu unmöglich, eine Abschlussarbeit so zu bewerten, dass die Eigenleistung der Lernenden klar nachvollzogen werden könne.

Konrad Kuoni ist Präsident des Zürcher Verbandes der Lehrkräfte in der Berufsbildung ZLB und arbeitet selbst als ABU-Lehrer in Zürich.
PrivatKritik von Berufs- und Lehrverbänden
Zudem handle es sich beim ABU-Stoff nicht um beliebige Themen: «Diese Prüfungen decken essenzielle Bereiche ab wie Arbeitsrecht, Mietrecht, Versicherungen und zentrale Aspekte der Schweizer Politik. Wenn das nicht mehr ausreichend behandelt und geprüft wird, verliert unser demokratisches System langfristig an Stärke», warnt Kuoni, der selbst ABU-Lehrer in Zürich ist.
Mit seiner Kritik ist er nicht alleine: Im Vernehmlassungspapier, das 20 Minuten vorliegt, sprechen sich diverse Berufs- und Lehrerverbände kritisch zum Wegfall der ABU-Schlussprüfung aus. «Es ist unklar, wie eine angestrebte Aufwertung des ABU vereinbar ist mit dem Wegfall einer Schlussprüfung oder Schlussarbeit», heisst es da etwa.

Besonders KI-Techniken wie ChatGPT stehen im Fokus der Diskussion um die ABU-Reform. Gegner kritisieren, dass solche Technologien die Eigenständigkeit von Abschlussarbeiten schwer überprüfbar machten. Befürworter hingegen vertrauen darauf, dass mündliche Prüfungen deutlich zeigten, wer die Inhalte tatsächlich verstanden hat.
AFPBund weist Kritik zurück
Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), das für die Reform verantwortlich ist, weist die Kritik zurück. «Die Abschlussprüfung wird nicht abgeschafft, sondern anders gestaltet. Anstatt reine Fakten abzufragen, setzen sich die Lernenden in einer Schlussarbeit bewusst mit den Lerninhalten auseinander, zeigen Zusammenhänge auf und beweisen, dass sie ihre erworbenen Kompetenzen und ihr Fachwissen in der Praxis anwenden können», heisst es auf Anfrage.
Neu sei ausserdem, dass die Lernenden ihre Abschlussarbeit in einem vertiefenden Prüfungsgespräch vor mindestens zwei Experten verteidigen müssten. Auf den möglichen Einfluss von ChatGPT geht das SBFI nicht direkt ein.
Reform ist auch politisch umstritten
Umstritten ist die Reform auch bei Bildungspolitikerinnen. Mitte-Nationalrätin Regina Durrer spricht sich für einen kompetenzorientierten Ansatz aus, der auch mit einer schriftlichen Prüfung umsetzbar ist: «Nach meiner Erfahrung werden bei einer Abschlussprüfung mehrere Themenbereiche vertieft und vernetzt.» Zudem sei die Reform in der Vernehmlassung auf viel Kritik gestossen. «Bis zur geplanten Inkraftsetzung 2026 sollte diese Reform noch einmal kritisch diskutiert werden, um auch die Gegenstimmen ernst zu nehmen.»

Regina Durrer-Knobel, Mitte-Nationalrätin, fordert, die Reform noch einmal kritisch zu überprüfen.
regina-durrer.chGrünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber findet es «schade, dass einige in dieser Debatte von einer Abwertung des ABU sprechen», wo doch genau das Gegenteil der Fall sei. Die Reform bewirke, dass die Abschlussprüfung nicht mehr eine reine Wissensprüfung sei, sondern kompetenzorientiert gestaltet werde: «Fachwissen können die Lehrpersonen weiterhin während des Semesters abfragen – dies wird in die Erfahrungsnote eingebracht.»

Katharina Prelicz-Huber, Grünen-Nationalrätin, unterstützt die Reform der Abschlussprüfungen im allgemeinbildenden Unterricht.
20min/Matthias SpicherWas meinst du zur Umgestaltung der ABU-Abschlussprüfungen?
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