«EM-Verschiebung kann für uns eine Chance sein»

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Pierluigi Tami«EM-Verschiebung kann für uns eine Chance sein»

Pierluigi Tami, SFV-Direktor der Nationalmannschaften, spricht über die EM-Verlegung, das Coronavirus und Xherdan Shaqiri.

Fabian Ruch
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Fabian Ruch
Wird die Schweiz in diesem Sommer nicht anführen: Granit Xhaka. Die Uefa hat die Europameisterschaft auf Sommer 2021 verschoben.
Die Schweiz ist bei der EM in einer Gruppe mit Italien und seinem Top-Torjäger Ciro Immobile. Dazu stehen Spiele gegen die Türkei und Wales an.
Damit steigen die Chancen, dass die nationalen und internationalen Ligen und Wettbewerbe zu Ende gespielt werden können.
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Wird die Schweiz in diesem Sommer nicht anführen: Granit Xhaka. Die Uefa hat die Europameisterschaft auf Sommer 2021 verschoben.

Keystone/Gian Ehrenzeller

Wie erleichtert sind Sie, Pierluigi Tami, wird die Euro 2020 um ein Jahr verschoben? Das war alternativlos und ist die einzig richtige Entscheidung. Das gibt immerhin den nationalen Ligen die Möglichkeit, die aktuelle Saison bis Ende Juni zu beenden. Wobei das natürlich auch sehr schwierig wird, weil niemand abschätzen kann, wie sich das Coronavirus entwickelt.

Glauben Sie denn daran, dass die Ligen die Saison beenden können? Das weiss auch ich nicht. Es wird auf jeden Fall sehr eng, und irgendwann wird man sich überlegen müssen, wie die Ligen möglicherweise verkürzt zu Ende gespielt werden können. Durch die Verlegung der Europameisterschaft wurde nun immerhin Raum geschaffen.

Für die Schweizer Nationalmannschaft ist die Verschiebung vielleicht gar nicht so schlecht. Einige Leistungsträger wie Dortmunds Manuel Akanji sind nicht in Form, andere wie Xherdan Shaqiri sind schon länger verletzt. Das ist ein interessanter Punkt, wobei man auch berücksichtigen muss, dass es Nationalspieler gibt, die in guter Verfassung sind. Und wer weiss schon, wie die Situation in einem Jahr aussehen wird. Wir hätten die EM natürlich gerne in diesem Jahr bestritten, unsere Planungen waren darauf ausgerichtet, wir haben hohe Ambitionen. Nun ist alles anders, und das ist bitter für uns. Wobei im Moment selbstverständlich die Gesundheit aller Menschen viel wichtiger ist.

Wie beunruhigt sind Sie, ist Shaqiri ständig verletzt? Das ist natürlich nicht schön, er hat nun schon seit langer Zeit nicht mehr gespielt. Wir stehen mit allen Nationalspielern regelmässig in Kontakt und sind überzeugt, dass auch Shaqiri die richtigen Entscheidungen trifft. Alle wissen, wie wertvoll er für die Schweiz ist.

Hätte er nicht schon lange den Club wechseln sollen, weil er bei Liverpool kaum eingesetzt wird, wenn er mal nicht verletzt ist? Es ist nicht an mir, das zu beurteilen. Auch hier vertrauen wir auf die Spieler. Und bei Shaqiri ist es nun vor allem wichtig, dass er wieder gesund wird. Die Spielpause im Frühling ist auch eine Gelegenheit für verletzte Fussballer, in Ruhe zu genesen und nicht unter dem Druck des dichtgedrängten Kalenders zu stehen.

Im Juni werden sie ein Jahr im neu geschaffenen Amt des Direktor der Nationalmannschaft sein. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung in den letzten Monaten? Wir sind bemüht, einen frischen Wind zu verbreiten und offener zu sein. Dieser Weg stimmt und ich finde, wir präsentieren uns anders und besser. Das hängt auch stark mit dem neuen Kommunikationschef Adrian Arnold zusammen, der eine grosse Hilfe ist und unsere Philosophie mitträgt. Was vor meiner Zeit war, kann und will ich nicht beurteilen. Aber uns ist es wichtig, dass wir ständig im Austausch mit den Medien und der Öffentlichkeit sind und uns transparent zeigen.

Auch Nationaltrainer Vladimir Petkovic soll sich offener präsentieren, hat der Verband nach der Vertragsverlängerung mit ihm erklärt. Wie ist die Zusammenarbeit mit ihm? Sehr gut, wir leben ja beide im Tessin, die Wege sind kurz. Aber ernsthaft: Mit Vladimir Petkovic gibt es überhaupt keine Probleme, er hat die Nationalmannschaft auf ein hohes Niveau geführt. Und auch er profitiert von den neuen Strukturen im SFV und der offenen Kommunikationspolitik.

Nun dürfte es für lange Zeit keine Länderspiele mehr geben, selbst wenn der Nationalmannschafts-Termin Anfang Juni von der Uefa tatsächlich noch nicht gestrichen worden ist. Es ist doch total unrealistisch, dass dann noch Testspiele wie jene der Schweiz gegen Deutschland und Liechtenstein stattfinden sollen, wenn die nationalen Ligen ihre Saison bis Ende Juni beenden wollen. Die Entscheidung, die EM zu verschieben, ist erst am Dienstag gefällt worden. Nun gibt es Arbeitsgruppen, die sich Gedanken um den Kalender machen. Ich bin selber sehr gespannt, wie das aussehen wird. Und die Schwierigkeit ist ja eben, dass niemand weiss, wie es mit dem Coronavirus weitergeht. Meine Hoffnung ist, dass bald wieder Länderspiele stattfinden werden.

Vermutlich erst Anfang September, wenn die Nations League beginnt mit sechs Terminen im Herbst. Wäre es nicht sinnvoll, diesen Wettbewerb auszusetzen, um Druck aus dem Terminplan zu nehmen? Das finde ich nicht. Für die Nationalmannschaften sind die Länderspiel-Termine wichtig. Nun gibt es Ende März für uns kein Vierländerturnier in Katar, die Euro ist verschoben, irgendwann möchten wir wieder spielen. Alle müssen verzichten, nicht nur die Nationalteams. Die Nations League ist ein guter Wettbewerb. Und im Übrigen wird es ja 2021 auch schon wieder sehr kompliziert, weil im Frühling die WM-Qualifikation beginnt, in der es im Sommer eigentlich auch Partien geben würde, die nun wegen der EM verschoben werden müssen. Das wird alles nicht so einfach.

Im SFV sind diverse Umstrukturierungen im Gange. Was planen sie genau im Nachwuchs? Wir haben die Strukturen verändert, seit dieser Woche bin ich dabei, diese Dinge genauer auszuarbeiten. Wobei wir wegen des Coronavirus natürlich derzeit auch nur eingeschränkt arbeiten können. Es geht im Kern darum, den Nachwuchsbereich neu aufzustellen, weil wir in den letzten Jahren schlechtere Resultate erzielt haben.

Seit kurzem sind alle U-Auswahlen bis runter zur U-15 Ihnen unterstellt. Was wollen Sie konkret verändern? Es ist zu früh, um darüber detailliert Auskunft zu geben. Es gibt im SFV sehr gute Projekte für die jungen Fussballer, diese werden eng begleitet und individuell gefördert. Entscheidend ist, dass die Talente ihre Qualitäten in den Dienst der Mannschaft stellen können. Wir werden das in aller Ruhe mit den Trainern und Technikern im Verband anschauen. Ich bin überzeugt, dass wir das Potenzial der ausgezeichneten Nachwuchsarbeit in der Schweiz noch stärker ausreizen können. Wobei es ja jetzt schon beachtlich ist, wie viele Fussballer in grossen Ligen spielen. Und dafür haben wir nun wegen des Coronavirus viel mehr Zeit als erwartet, das müssen wir nutzen. Die EM-Verschiebung kann auch eine Chance für uns sein.

Sind Sie selber eigentlich derzeit wie der am Coronavirus erkrankte SFV-Präsident Dominique Blanc in Quarantäne? Ja, ich hatte am Mittwoch letzte Woche Kontakt mit ihm und befinde mich nun ein paar Tage zu Hause. Es ist absolut entscheidend, dass sich alle Leute an die Massnahmen halten, die derzeit verlangt werden. Leider ist das nicht überall der Fall, was die Lage nicht verbessert. Und deshalb wird es auch schwieriger, das Coronavirus so schnell wie möglich einzudämmen. Ich hoffe sehr, dass bald alle Menschen den Ernst der Situation erkannt haben.

Wie ist das Leben derzeit im Tessin? Sehr eingeschränkt, weil wir enorm strenge Regelungen haben. Aber das ist absolut richtig so. Wir wurden schon sehr früh mit dem Coronavirus konfrontiert, weil die Lombardei in Europa ja zuerst betroffen war. Deshalb wissen wir, wie verheerend es ist, wenn man sich nicht an die Schutzmassnahmen hält und rechtzeitig Regeln aufstellt. Mittlerweile stehen so viele europäische Länder im Kampf gegen die Pandemie, dass endlich langsam ein Umdenken stattfindet. Und das ist entscheidend, damit die Situation nicht noch viel schlimmer wird und wir so schnell wie möglich wieder ein normales Leben führen können.

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