Ukraine-KriegSabotageakte und Drohnenangriffe – so kämpfen Partisanen gegen den Kreml
Seit dem Start der Ukraine-Invasion durch Moskau kommt es immer wieder zu Sabotageakten. Ein Einblick in den Kampf gegen Putins Regime hinter den eigenen Reihen.
In der Dokumentation «Russlands Anti-Putin Untergrund» erzählen russische Partisanen, wie sie im Land gegen die Kriegsziele des Kremls kämpfen.
Youtube/Popular FrontDarum gehts
Brennende Rekrutierungsbüros, gesprengte Zuggleise: Seit Februar 2022 kommt es in Russland immer wieder zu Sabotageakten.
Dahinter vermutet werden Widerstandsorganisationen wie die Kampftruppe der Anarcho-Kommunisten.
Im ganzen Land soll es 30 solcher Widerstandszellen geben, die im Kampf gegen das Regime täglich ihr Leben riskieren.
Während die Ukraine mit Drohnenangriffen auf Tankdepots in und um die Krim-Halbinsel ihre seit längerem angekündigte Gegenoffensive womöglich aufgleist, haben die Armee und auch der Rest der Regierung von Wladimir Putin auch im eigenen Land mit Problemen zu kämpfen.
Das aktuellste Beispiel ist ein Güterzug, der am Abend des 2. Mai 2023 in der Grenzregion Brjansk entgleiste. Dabei sind laut der russischen Eisenbahn RZD nebst der Lokomotive auch rund 20 Waggons von den Schienen abgekommen. Grund für die neueste in einer Reihe von Zugentgleisungen an der russisch-ukrainischen Grenze war ein «unbekannter Sprengkörper», wie der Gouverneur der Region schreibt.
Immer wieder kommen nach solchen Angriffen Gerüchte auf, dass es sich um einen Angriff der CIA oder einer ähnlichen westlichen Organisation gehandelt haben müsse. Laut dem britischen Filmemacher Jake Hanrahan, dem Gründer der Medienorganisation «Popular Front», stecken aber meist russische Partisanen hinter den Sabotage- und Störaktionen, etwa der Beschädigung eines Spionageflugzeugs auf einem Flugplatz in Belarus durch eine Drohne. «Wie wäre es, wenn einige Russen die Nase von Putin so gestrichen voll haben, dass sie etwas gegen das Regime unternehmen?», kontert er das CIA-Argument.
Gespräch mit Partisanen unter höchster Geheimhaltung
Hanrahan hat im Dokumentarfilm «Russlands Anti-Putin Untergrund» (17 Minuten Laufzeit) russische Partisanen begleitet und interviewt. Der Film beginnt in einem verschneiten Wald in Osteuropa, unweit der russischen Grenze. Der Filmemacher hat Koordinaten von den Partisanen erhalten, vor Ort angekommen erhält er einen neuen Treffpunkt in der Nähe des ersten vereinbarten Ortes. Dann erscheinen zwei Männer mit Rotlicht-Taschenlampe und Sturmmaske aus der Dunkelheit, die zur Organisation BOAK gehören sollen.
«Wenn nicht jetzt den Widerstand ergreifen, wann dann?»
Im Gespräch mit Hanrahan berichten die beiden Partisanen von Aktionen, bei denen sie direkt beteiligt gewesen seien. So hätten sie, teils mit Sprengsätzen oder durch das Entfernen von Schrauben und Muttern, Bahnstrecken zerstört und lahmgelegt, aber auch Mobilfunkantennen und andere elektronische Infrastruktur nahe der ukrainischen Grenze sabotiert. Ausserdem unterstützen sie die Organisation weiterer Widerstandsgruppen – im ganzen Land soll es bereits 30 Partisanenorganisationen geben, die gemeinsam den Kreml unterminieren wollen. Die Widerstandskämpfer bekannten sich auch zum Anschlag auf Darja Dugina.
Partisanen rekrutieren auf Telegram
Ihr Widerstand ist für die Partisanen simpel erklärt: «Es ist nicht Putins Land, es ist unser Land», so einer der Kämpfer und fügt hinzu: «Wenn nicht jetzt den Widerstand ergreifen, wann dann?» Seit Kriegsbeginn hat sich die BOAK nebst ihrem Langzeit-Ziel auch vorgenommen, den Ukraine-Krieg zu beenden. Seither würde man auf Kanälen wie Telegram, wo aktiv Saboteure rekrutiert werden, starkes Interesse verzeichnen.
«Besser stirbt man, als unter Folter womöglich Informationen zu verraten»
Über diesen Weg hat auch Hanrahan die Gruppe kontaktiert. Um die Authentizität der Gruppe zu prüfen, forderte der Journalist noch unveröffentlichtes Material von Sabotage-Aktionen an – und erhielt «mehr als genug», wie Jake Hanrahan sagt. Laut dem Reporter, der seit mehreren Jahren über verschiedenste anarchistische Gruppen berichtet, handle es sich bei der BOAK um «echte Partisanen».
Ihre Geo-Informationen würden die Widerstandskämpfer von Wikimapia beziehen – auf der Open-Source-Plattform kann jedermann Fotos und Beschreibungen zu Objekten an bestimmten Orten hinzufügen. «Man öffnet einfach die Website und sieht: ‹Ok, hier hat es ein Militärobjekt›», so einer der Partisanen. Nach mehreren Spähermissionen attackieren die Saboteure dann – oft mit selbstgebastelten Sprengsätzen oder handelsüblichem Benzin.
«Einige Russen gehen enormes Risiko ein, um Ukrainern zu helfen»
Für ihre Einsätze riskieren die Partisanen ihr Leben – und wollen es im Notfall auch selbst beenden. «Es ist besser, zu sterben, als gefoltert zu werden und dabei vielleicht Informationen zu verraten. Wir würden Schusswaffen, Messer oder was auch immer wir finden, benutzen, um uns bis auf den Tod zu verteidigen», sagen die maskierten Männer. Hanrahan will derweil mit dem Film eine Gegen-Perspektive bieten: «Viele Leute auf Twitter haben das Gefühl, dass alle Russen Orcs seien. Dabei gehen einige von ihnen das grösste Risiko ihres Lebens ein, um Ukrainern, die sie nicht kennen und nie treffen werden, zu helfen. Und das sagt eine Menge aus», so der Dokumentarfilmer.
Das ist die BOAK
Die Kampforganisation der Anarcho-Kommunisten, im Russischen mit BOAK abgekürzt, ist eine militante Widerstandsorganisation, die in Osteuropa agiert. Als Hauptziel strebt sie eine libertäre sozialistische Gesellschaft an, also eine Regierungsform ohne eigentlichen Staatsapparat – seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine konzentriert sie sich darauf, Logistikwege zu unterbrechen und Materiallieferungen zu stören und damit indirekt den Kriegszielen des Kremls entgegenzuwirken.
Die BOAK ist mindestens seit September 2020 aktiv, laut Mitgliedern soll die Organisation aber bereits seit Jahren bestehen – anlässlich des Ukraine-Krieges habe man sich aber nun für den offenen Widerstand entschieden. Am 19. April 2023 wurde Dmitry Petrov, einer der Gründer der Organisation, in der Schlacht von Bakhmut getötet, während er für die ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte kämpfte.
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Beratungsangebot (Deutsch, Ukrainisch, Russisch), von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 058 105 05 55
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