«Timeout»Es gibt ein Argument für Biel: Kevin Schläpfer
Biels Trainer hat die einmalige Chance, Cinderella zurück ins Stadion zu holen. Das ist bisher noch keinem Coach gelungen. Kann Kevin Schläpfer es schaffen?
Wenn sich ein Hockey-Wunder ereignet wie Biels letztjährige Playoff-Qualifikation, dann sprechen die Nordamerikaner von einer «Cinderella-Story». In Anlehnung an das Märchen mit dem Aschenputtel (englisch: Cinderella), das zur Prinzessin wird. Wenn bei einem Team später der Alltag einkehrt und vom Glück verlassen wird, heisst es: «Cinderella has left the Building.» Und wenn Aschenputtel das Stadion verlässt, so geht die Regel, dann kehrt es in der gleichen Saison nicht mehr zurück.
Aschenputtel hat im Laufe dieser Saison das Bieler Eisstadion verlassen: Unglückliche Niederlagen, regelmässige Hiobsbotschaften von der Transferfront (unter anderem der Abgang von Goalie Reto Berra) und Verletzungen von Schlüsselspielern wie Aron Spylo. Die Magie von «Hockeygott» Kevin Schläpfer schien nicht mehr zu wirken.
Schläpfer redet Spieler grösser, breiter und schneller
Nun ist Aschenputtel entgegen allen vermeintlichen Naturgesetzen des Hockeys doch ins Stadion zurückgekehrt. Die Bieler haben in Langnau aus einem 0:2 im Schlussdrittel ein 4:2 gemacht und sich so in eine optimale Ausgangslage gebracht: Sie können mit einem Sieg nach 60 Minuten im letzten Spiel gegen Zug die Playoffs aus eigener Kraft schaffen. Sie sind nicht auf Schützenhilfe von Lugano (spielt gegen Biels Konkurrenten Kloten) angewiesen.
Trainer schiessen keine Tore. Sie stehen ohnmächtig an der Bande, wenn die Tore fallen – oder nicht fallen wollen. Aber bedeutungsschwere Partien wie jene am Dienstag zwischen Biel und Zug werden in den Köpfen der Spieler entschieden. Deshalb können in solchen Dramen charismatische Bandengeneräle wie Kevin Schläpfer trotz der Ohnmacht an der Bande ihre Männer zum Sieg führen. Weil sie in der Kabine jenen Groove heraufbeschwören, der die Spieler so auftreten lässt, als seien sie ein paar Kilo schwerer, ein paar Zentimeter grösser und ein paar km/h schneller. Weil sie für ein paar magische Stunden spielerische Aschenputtels in Prinzessinnen verwandeln können.
Wer einmal erlebt hat, wie Kevin Schläpfer die ganze VIP-Loge im Bieler Eisstadion mit seinen Spässen zu unterhalten versteht, der kann erahnen, welche Wirkung er in einer Spielerkabine entfaltet. NHL-Star Patrick Kane, der während des Lockouts für Biel und Davos (am Spengler Cup unter Arno Del Curto) spielte, hat einmal gesagt, an etwas werde er sich sein Leben lang erinnern: An die zwei verrückten Coaches, für die er in der Schweiz gespielt habe. Kevin Schläpfer und sein Stil sind das stärkste Argument, das am letzten Tag der Qualifikation für Biel spricht.
Schicksalsschlag in der Familie
Kein Wunder, ist es dem Baselbieter als einzigem Coach in der Schweizer Hockeygeschichte gelungen, seine Mannschaft zweimal hintereinander im 7. Spiel einer Liga-Qualifikation zu retten. Ein Spezialist fürs grosse Hockeykino. Aber er will von solchem Lob oder gar Vorschuss-Lorbeeren nichts hören. «Es ist auch möglich, dass ich in drei Wochen entlassen werde - wenn wir die Playoffs nicht schaffen und am Schluss in die Liga-Qualifikation geraten.»
Wenn Kevin Schläpfer das Wunder einer Playoff-Qualifikation wiederholen kann, dann ist er nicht mehr bloss ein lokaler «Hockey-Gott» – sondern definitiv ein grosser Trainer. Biel zweimal im siebten Spiel der Liga-Qualifikation gerettet, Biel zweimal im letzten Spiel der Qualifikation in die Playoffs gecoacht: Ein Trainer, der das schafft, gehört in die Hubraumklasse eines Arno Del Curto.
Kevin Schläpfer sagt, manchmal werde die Belastung schon etwas gross. «Ich möchte auch einmal schon kurz nach Weihnachten schon für die Playoffs qualifiziert sein.» Dann hält er inne, wird nachdenklich und sagt: «Eishockey ist manchmal nur eine Nebensache. Aber wenn wir die Playoffs schaffen, dann wird in dieser Woche für mich alles ein wenig leichter zu ertragen sein.» Am Donnerstag wird Kevin Schläpfers Mutter beerdigt.